Mühlenplatzbebauung:

Vom Verschwinden des öffentlichen Raumes

Das ungeordnete Kommunizieren, das keinem Konsumzwang unterliegende „Herumsitzen“ der Obdachlosen und jugendlichen Unangepaßten hat in den Augen vieler braver BürgerInnen diesen größten Innenstadtplatz geradezu dafür geschaffen, ihn einer Ordnung, einer kompletten dem Ziel des Konsums völlig untergeordneten Bebauung zuzuführen.

Mit Inbrunst wird vorgetragen: Diese Stadt braucht die Erneuerung, sie braucht die Clemens-Galerien.

Ein kurzes Blitzlicht auf einen langen Planungsprozeß:

Zu Beginn des Planungsprozeßes für die Umgestaltung der Innenstadt stand die Gutachterauswahl. Der Gutachtervorschlag des Büros AKOPLAN zum Mühlenplatz: “So ließe sich durchaus vorstellen, z.B. den Mühlenplatz – in Anlehnung an seine frühere Funktion – zu einem Stadtgarten umzugestalten: als grüne Mitte der Stadt“ hatte schon zu diesem frühen Zeitpunkt keine Chance.

Auch die Vorschläge der parallel zu den Gutachten durchgeführten Bürgerwerkstatt, bei der interessierte Menschen eigene Ideen zum Mühlenplatz entwickeln sollten, gingen von einem Stadtplatz aus, der stärker begrünt werden, auf dem mehr Sitzgelegenheiten geschaffen werden und der vermehrte öffentliche Nutzungen (Bibliothek, Stadtinformation, Fahrradständer, Gepäckannahme für ÖPNV-Kunden) erhalten sollte.

Aus der BürgerInnenbeteiligung und den zwei Gutachten zum Innenstadtkonzept wurden die Vorgaben der Stadt für die Umgestaltung des Mühlenplatzes entwickelt. Wie werden diese im nunmehr veränderten Konzept der Multi Development Corporation, die den Mühlenplatz bebauen wird, umgesetzt?

1.) „Die Kernstadt (…) muß Aufenthaltsqualität bekommen; sie darf nicht nur Ort des Konsums sein, sondern auch Ereignisort und Kulturstätte“ (aus der Vorlage zum Ratsbeschluß vom 3.3.94). Nun, dieses Ziel ist wohl teilweise erfüllt worden. Sollen auf dem Mühlenplatz doch Neubauten für Stadtbücherei und VHS gebaut werden. Ob die dafür von der Stadt aufzubringenden 32 Millionen DM städtischer Mittel nicht besser für die Entwicklung des mageren kulturellen Lebens als für Neubauten auf dem teuersten Grundstück der Stadt verwendet werden könnten bleibt allerdings offen. Ebenso, ob die Kulturlandschaft durch ein Multiplexkino jetzt auch in Solingen wirklich aufgewertet wird, oder ob die Stadt damit nur noch verwechselbarer wird.

2.) „Der Wochenmarkt kann und sollte erhalten bleiben (…). Ein umgebauter Mühlenplatz bietet in Verbindung mit dem neu gestalteten Fronhof und dem ‘Alter Markt’ eine Platzfolge mit hoher städtebaulicher Qualität“.

Von einer Platzfolge kann kaum mehr gesprochen werden. So scheiterte die schöne Idee einer Passage zwischen Fronhof und Mühlenplatz an der Sturheit der betroffenen Kaufhäuser. Der Mühlenplatz mit seiner Marktnutzung von heute 3200 m² wird fast komplett überbaut. Es verbleibt ein gegenüber dem ersten Konzept der Holländer nochmals verkleinerter Platz von 1750 m². „Der Charakter des jetzt entworfenen Platzes ist der eines versiegelten Freiraums, der im Prinzip die innere Verkaufsfläche erweitert und zum Center gehört“, urteilte die von den Grünen zur Diskussion eingeladene Raumplanerin Birgit Pohlmann-Rohr schon über das erste Konzept. Dies hat sich mit der Umplanung des Konzeptes durch die Betreiber noch verstärkt: Durch eine Tieferlegung des Platzniveaus gegenüber der Hauptstraße wird der Charakter des Platzes als Teil des privaten Einkaufszentrums und nicht des öffentlichen Raumes noch betont. Der Platz wird nicht im öffentlichen Besitz verbleiben, sondern den Center-Betreibern gehören. Zwar ist vorgesehen, die Marktnutzung rechtlich abzusichern, aber es ist offen, welchen Einfluß der Betreiber auf die Kosten der Standplätze, die Auswahl der Standbetreiber und die Art der öffentlichen Veranstaltungen auf diesem Platz nehmen kann.

3.) „… sollte der Flächenanteil für den Einzelhandel 2000 qm Verkaufsfläche nicht überschreiten“. Diese Vorgabe wurde völlig über den Haufen geworfen: Inzwischen liegt der Schwerpunkt der Planung auf der Schaffung von Einkaufsflächen und die Verkaufsfläche wird ein Vielfaches betragen. Auch die Anforderung, Wohnungen in dem Gebäudekomplex zu errichten, um eine Nutzungsmischung zu erreichen, die der Verödung der Innenstadt vorbeugen würde, wurde völlig aufgegeben: Entgegen dem ersten Konzept der Holländer wird es keine einzige Wohnung geben.

Die Opfer der Planung:

Das Abholzen sämtlicher Bäume auf dem Mühlenplatz beeinträchtigt das Klima in einem „stadtklimatisch besonders kritischen Bereich“ und verstärken das „Reizklima, das besonders für alte oder kranke Menschen zu enormen physiologischen Belastungen führt (…). Das ‘grüne’ Erscheinungsbild des Mühlenplatzes wird durch die geplante Bebauung zerstört und kann durch geplante Straßenbaumpflanzungen und Dachbegrünung  vor  allem  in  den  ersten Jahren nicht annähernd wieder hergestellt werden.“ Diesem Urteil des Gartenamtes folgte die Empfehlung, die 79 abzuholzenden Laubbäume und die anderen Gehölzflächen durch Dachbegrünung und die Anpflanzung von 24 großkronigen Laubbäumen auszugleichen. Ein Ausgleich der klimatischen Funktion kann jedoch auf dem Gelände des jetzigen Mühlenplatzes nicht erreicht werden. Deshalb wird vorgeschlagen, den Graf-Wilhelm-Platz durch Baumpflanzungen aufzuwerten. Allerdings gibt es auch im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens zum Mühlenplatz hierfür keinerle rechtlich verbindliche Festlegungen. Die geplante Tiefgarage unter dem Zentrum mit ca. 550 Stellplätzen wird zu einem Anstieg des Individualverkehrs in der Innenstadt und zu Fahrgastverlusten für den Öffentlichen Personennahverkehr führen.

Doch nun zu dem wichtigsten Problem der Planung. In einer Stellungnahme des Gartenamtes vom November 96 wird die soziale Funktion des heutigen Mühlenplatzes benannt: „Grünanlagentypische Aneignungsformen wie Aufenthalt, Ausruhen, und Kommunikation sind hier wesentliche Elemente. Aber auch Freizeitaktivitäten dürfen hier nicht vergessen werden. Der Streetballkorb ist ein Anziehungspunkt für Jugendliche, während sich an den Freiluft-Schachbrettern meist Rentner und arbeitslose Erwachsene treffen. Insofern stellt der Mühlenplatz auch einen der wenigen Aufenthaltsorte dar, an dem mehrere Generationen gleichzeitig ihre Freizeit verbringen. Hier ist auch ein wichtiger Veranstaltungsort für z. B. Wochenmarkt,
Zöppkesmarkt und sonstige Veranstaltungen (…) Durch die geplante Bebauung verschwindet ein Stadtplatz, der bisher eine große Bedeutung für Kommunikation, Freizeitaktivitäten, Veranstaltungen aber auch für soziale Randgruppen hatte. Der geplante Platz vor den Clemens-Galerien kann aufgrund geringerer Größe und anderer Ausstattung nicht mehr alle Funktionen erfüllen. (…) Ungeklärt bzw. nicht vorhersehbar ist die Stuation der Obdachlosen und der Sozialschwachen. Diese beiden Personenkreise werden möglicherweise an einen anderen Ort verdrängt. (…) Somit wird deutlich, daß andere Plätze im Kernbereich der Stadt soziale Funktionen übernehmen müssen.“ Dem ist wenig hinzuzufügen außer der Feststellung, daß es keine Konzepte gibt, wo denn ein anderer Ort für diese sozialen Funktionen gefunden werden soll. Widerstand der Betroffenen gegen diese Verdrängung und gegen die Privatisierung des öffentlichen Raumes ist kaum zu vermelden, sieht man einmal von dem Hund eines Obdachlosen ab, der den Stadtplanungsamtsmitarbeiter Wendenburg bei dessen Versuch, das Ganze den Obdachosen zu erklären, kräftig ins Bein biß. Schade, daß auch die Grünen dem Bebauungsplan für den Mühlenhof wegen des Neubaus von Stadtbücherei und VHS zustimmten, obwohl ihre Forderungen zu der Planung fast sämtlich abgebügelt wurden. Es drängt sich die Frage auf, wo die Menschen in Solingen sind, die sich zur sozialen und ökologischen Bewegung zugehörig fühlen und die sich einmischen in diesen Prozeß, der
„ihre“ Innenstadt umkrempelt und zum Konsumenebniszentrum umbaut? Oder ist es gar nicht ihre Innenstadt, ist das immer nur der Ort des Kapitals, der großen Umsätze und der leuchtenden Erlebniswelten gewesen, in dem einfache Menschen mit wenig Geld nie einen Platz hatten? In den Umschlagsorten des Geldes gibt es immer auch viele Obdachlose, Rentnerinnen, Jugendliche … kurz Menschen, die keine große Kaufkraft bringen, für die die Innenstadt aber einen wichtiger Kommunikationsort darstellt. Der Prozeß der Verdrängung dieser Gruppen aus den Innenstädten ist in den letzten Jahren in den Metropolen stark vorangeschritten. Sollte es sich in Solingen bei der Mühlenplatzplanung um eine andere Variante dieser Politik handeln? Schaffen es diejengen, die sich für eine Innenstadt der Kommunikation ohne Konsumzwang einsetzen, genügend Kraft zu entwickeln, um Räume zu erhalten und zu besetzen, um für Bäume und Spielplätze in der Innenstadt zu kämpfen? Es ist notwendig, daß Ihr Alle Euch endlich einmischt in diesen Prozeß
Dietmar Gaida
P. S: Der Bebauungsplan Mühlenhof legt bis zum 13. Februar im Rathaus Solingen-Wald, Stadtplanungsamt zur Einsicht aus Wer schriftlich Bedenken äußern will, kann diese bis zum 13. zum Stadtplanungsamt schicken.

Dietmar Gaida