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Versuchte Kriminalisierung der „Störer“ einer Ratssitzung
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Beschlagnahmeaktion beim Solinger Tageblatt
Eine parteiische Anklage …
Vor einigen Wochen fand vor dem Amtsgericht Solingen ein Verfahren gegen drei Angeklagte statt, denen seitens der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt wurde, die Ratssitzung vom 2.3.1995 „in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit gesondert verfolgten Mittätern die Durchführung der öffentlichen Ratssitzung im Stadttheater dadurch unmöglich gemacht zu haben, daß Transparente entrollt, Parolen skandiert“ und „der mitgeführte Bauschutt ausgekippt worden sei und daß die Täter erst nach Androhung, die Polizei zu verständigen, den Stzungssaal verlassen hätten“ (Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Solingen, zitiert nach dem Urteil des Amtsgerichts Solingen vom 2.1.1996) „Unmöglich gemacht“ worden war die Sitzung allerdings keineswegs. Insofern kann man der Anklage durchaus den Vorwurf machen, daß die seinerzeitigen Ereignisse tendenziös und parteiisch vorgetragen wurden, der Inhalt der Anklageschrift teilweise der Wahrheit nicht entsprach.
… und der tatsächliche Sachverhalt
Folgendes hatte sich abgespielt. Während die Sitzung bereits im Gange war, betraten einige jüngere ungebetene „Gäste“ den Sitzungssaal. Ihr Besuch stand im Zusammenhang mit der Räumung und dem Abriß des 800-qm-Wohnhauses an der Teschestraße, das für einen Parkplatz des neuerrichteten City-Club-Hotels geopfert worden war – mit der witzigen Rechtfertigung, das Haus sei baufällig. Dies war schon ein dreistes Stück, und man kann sich nur freuen, daß es Leute gibt, die noch mutig genug sind, derartige Sauereien anzuprangern. Daß die Stadtratssitzung der richtige Ort war, weil dort die Entscheidungsverantwortlichen zusammen kamen, liegt auf der Hand. Schwerpunktmäßig wurde seitens der Protestierenden die Forderung vorgetragen, die zeitweiligen Besetzer des Hauses Teschestraße nicht zu kriminalisieren und die inzwischen gegen sie angestrengten Verfahren einzustellen.
In einer kurzen Rede über Megaphon wurden die genannten Forderungen begründet. Währenddessen forderte Oberbürgermeister Kaimer die Protestierenden wiederholt auf, den Saal unverzüglich zu verlassen. Diese gingen aber noch nicht sofort, sondern schütteten, so das Urteil, „mitgeführten Bauschutt in geringfügiger Menge“ aus – den sie dem großen Müllberg entnommen hatten, in den die Stadtoberen das schöne Mietshaus an der Teschestraße hatten verwandeln lassen. Nachdem die oben erwähnte Rede beendet war, trollten sich die ungebetenen Gäste, daraufhin wurde die Ratssitzung fortgesetzt. Der gesamte Zwischenfall hat nach Angaben von Augenzeugen ca. 7 Minuten gedauert. Nach und nach traf die verständigte Polizei mit einigen Streifenwagen vor dem Stadttheater ein, um dort sogleich die Personalien von „verdächtigen Personen“ aufzunehmen – von dort aus fuhren Beamte auch „verdächtigen“ Autos nach. Beweiskräftige Feststellungen konnten je doch von keinem der Beamten getroffen werden.
Die Hauptverhandlung
So kann nur verwundern, daß einige Zeit später seitens der Staatsanwaltschaft Solingen gegen insgesamt neun Personen Anklage wegen Hausfriedensbruch erhoben wurde. Und so geriet dann auch die hier geschilderte Hauptverhandlung gegen drei von ihnen mehr zu einer Art Justizlotto-Show. Dem interessierten Beobachter wurde in keiner Weise erkennbar, warum ausgerechnet diese Angeklagten dort saßen und nicht etwa Lieschen Müller oder Jupp Schmitz. Oberbürgermeister Kaimer, als Zeuge vor Gericht vernommen, konnte sich an nichts erinnern, was mit den Angeklagten in irgendeinem Zusammenhang stand: weder an die Kleidung der „Störer“, noch ob sie Männlein oder Weiblein gewesen seien, noch ob einer eine Brille getragen habe usw. usw. … Erst recht mußte er bei der Cretchenfrage passen, ob die vor ihm sitzenden Angeklagten unter den Personen gewesen seien, die seinerzeit in die Ratsitzungen gedrungen seien – nein, dies könne er, Kaimer, nicht sagen.
Von den Bekundungen der neun PolizistInnen, die vor Gericht vernommen wurden, war auch nicht ein Satz zu vernehmen, der geeignet ge: wesen wäre, die haltlos wirkende Anklage zu rechtfertigen. Stattdessen kamen einige unwillkürliche Lacher zustande. Zum Beispiel hatte einer der vernommenen Beamten zu seiner Mitwirkung am seinerzeitigen Ermittlungsgeschehen zu vermelden: „Ich war auf den Malediven.“
Einziges Beweisergebnis der Hauptverhandlung war, daß einer der in Solingen zum Einsatz gekommenen Polizistinnen bekundete, daß er einen der Angeklagten seinerzeit vor dem Stadttheater gesehen habe. Das war magerer als mager.
Staatsanwalt sauer: Hausdurchsuchung beim Tageblatt
Den folgenden Freispruch durch den amtierenden Richter „quittierte“ Staatsanwalt Heinrichs mit seinem Bekunden, in Berufung gehen zu wollen. Angesichts einer für ihn niederschmetternden Hauptverhandlung erschien dieser Schritt – um es vorsichtig auszudrücken – reichich verkrampft.
Doch vermutlich hatte Heinrichs zuvor schon mit dem Staatsschutz in Wuppertal konferiert – hatte sich dort womöglich bereits Rückendekkung geholt für den Härtefall, den er – mit richterlicher Billigung – am 12.02.96 in den Redaktionsräumen des Solinger Tageblatts (ST) in Szene setzte: Staatsschutzbeamte verlangten die Herausgabe der Fotos, die der ST-Fotograf Preuß am 2.3.95 während der besagten Ratsitzung im Stadttheater geschossen hatte. Die Verantwortlchen vom ST weigerten sich, daraufhin wurden die Fotos beschlagnahmt.
Die Stellungnahmen der Presseverbände am nächsten Tag waren unmißverständlich. Alle Stimmen waren sich darin einig, daß die im ST vorgenommene Durchsuchungs-aktion de facto rechtswidrig war. Der Deutsche Journalistenverband bekundete seinen „scharfen Protest“ gegen den „unverhältnismäßigen Eingriff in die Pressefreiheit“, genauso auch der Bundesverband Deutscher Zetungsverleger. Dieser erhob schwere Bedenken gegen die im mer häufiger werdenden polizeilichen Übergriffe gegen die Pressefreiheit und stellte dabei dennoch heraus, daß eine derart unverhältnismäßge Durchsuchungsaktion wie beim ST in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig sei. Bei geringfügigen strafrechtlichen Vorwürfen wie vorliegend seien noch vor einigen Jahren Eingriffe in das Redaktionsgeheimnis undenkbar gewesen. Das ST hat Beschwerde beim Amtsgericht Solingen eingelegt. Die Beschwerdeschrift führt aus:
„… Denn schließlich wird das Vertrauen der Bürger in eine freie und Presse nachhaltig erschüttert, wenn sie sich willfährig zum Handlanger der Justizbehörden machen läßt.“