Der Brandanschlag und seine Folgen — eine Betrachtung
Es ist schon merkwürdig was sich dieser Tage in Lübeck abspielt. Da kommen Mitte Januar bei einem Großbrand in einem Lübecker Flüchtlingsheim 11 Menschen ums Leben und rund 50 werden zum Teil schwer verletzt. Schon bald ist klar: ein technischer Defekt wird als Brandursache ausgeschlossen, so daß es sich um einen Fall von Brandstiftung handeln muß. Bleibt also „nur“ noch die Frage nach dem Täter bzw. der Täterin. Und hier beginnen alle Ungereimtheten.
Zunächst galten vier deutsche Jugendliche aus einem benachbarten Ort als die Tatverdächtigen. Doch dann verlautete von den Ermittlungsbehörden, daß sie über ein wasserdichtes Alibi verfügen würden. Stunden nach der Freilassung der Deutschen wurde der Libanese Safoan E. festgenommen. Der Haftbefehl stützte sich auf die Aussage eines Feuerwehrsanitäters, Safoan habe in der Brandnacht mit den Worten „Wir waren es“ eine Art Geständnis abgelegt. Safoan selber bestreitet dies und sagt, daß er gesagt habe: „Sie waren es“, womit er sich auf Informationen bezogen haben will, die ihm sein Vater vermittelt habe. Ein weiteres Indiz ist aus Sicht der Ermittlungsbehörden das angebliche Täter wissen Safoans. Es bedeutet, daß er den Brandherd gekannt haben soll, doch Safoans Anwalt erklärt dazu, sein Mandant habe lediglich das weitererzählt, was ihm sein Vater zugetragen habe – und dessen Zimmertür war schließlich nur einen Meter von dem Brandherd entfernt. Weshalb, so läßt sich fragen, hätte Safoan sein Leben und das seiner Eltern aufs Spiel setzen sollen. Ferner, wie steht es mit der Glaubwürdigkeit des Feuerwehrmannes ? Denn außer dieser einen Aussage gibt es keine Indizien für die vermeintliche Aussage von Safoan.
Nicht weniger widersprüchlich ist das mutmaßliche Tatmotiv. So vermuten die Ermittlungsbehörden, daß ethnische Konflikte zur Tat geführt hätten. Dieses scheint jedoch eher unwahrscheinlich zu sein. Denn Fakt ist: Der Zeuge, Gustave S., von dem die Polizei behauptete, er habe mit dem Libanesen Streit gehabt, bestreitet dies. So verwundert es nicht, daß einen Tag nachdem Gustave S. den Angaben der Polizei widersprochen hatte, eine vorläufige Nachrichtensperre verhängt wurde, die bis heute anhält. Aussagen der Hausbewohner und eines Betreuers des Heimes lassen ebenfalls nicht auf schwerwiegende Konflikte innerhalb des Hauses schließen. Ausschließlich die Ermittlungsbehörden haben bisher gegenteilige Behauptungen aufgestellt. Und auch von den versuchten Brandanschlägen auf das Flüchtlingsheim im vergangenen Jahr, von denen die Hausbewohner berichtet hatten, wollen die Fahnder nichts wissen.
Die Widersprüchlichkeit von Aussagen der Polzei und der Hausbewohner zeigte sich auch auf einer Mitte Februar abgehaltenen Pressekonferenz der Flüchtlinge. Gemeinsam wiesen sie Behauptungen der Staatsanwaltschaft, nach denen es im Haus „ethnische Konflikte“ gegeben habe, entschieden zurück und forderten die Freilassung von Safoan E. Mit allen Mitteln versuche die Polizei ihre Version in den Ermittlungen durchzusetzen.
Die ganzen Ungereimtheiten des Lübecker Brandanschlags erinnern stark an zurückliegen de Mordanschläge. Waren in Mölln und Solin gen die Mörder angeblich verwahrloste jugendliche Einzeltäter, so sprachen die Behörden bei anderen Bränden allzuschnell von Unfällen. Ganz erfreut konnte beispielsweise Stuttgarts Oberbürgermeister Rommel am 16. März 1994 verkünden, die Ermittlungen nach den Ursachen eines Hausbrands hätten „keine Anzeichen auf einen fremdenfeindlichen Anschlag“ ergeben. Bei dem Feuer hatten sieben ausländische Menschen ihr Leben verloren. Ein Jahr später gestand ein 25jähriger, den Brand gelegt zu haben. Als Motiv gab er Ausländerhaß an. Die große Empörung und Betroffenheit von Politikerinnen, aber auch von Linken, blieb aus. Und auch der Fall daß Behörden nach Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime gegen die Opfer als Tatverdächtige ermitteln, ist nicht neu. So geschehen bei einem Brandanschlag auf ein von Ausländern bewohntes Haus am 5. Juni 1993 in Hattingen. Obwohl nach Berichten der Tagespresse zur Tatzeit drei junge Männer, einer davon Angehöriger der örtlichen Skinheadszene, in unmittelbarer Nähe des Hauses gesehen wurden, ließen die Behörden die Ermittlungen gegen Fremdtäter schnell fallen. Daß der stellvertretende Landesvorsitzende der mittlerweile verbotenen rechtsextremistischen FAP, Axel Zehnsdorf, in direkter Nachbarschaft wohnte, sei reiner Zufall. Trotz der widersprüchlichen Beweislage gegen die Bewohnerin, Frau Unver, die sich mit ihren fünf Kindern aus dem Schlafzimmerfenster retten konnte, erhob die Essener Staatsanwaltschaft im März 1994 gegen sie Anklage wegen schwerer Brandstiftung und Vortäuschung einer Straftat. Der Prozeß fand im Februar diesen Jahes statt.
Ins Bild paßt auch, daß bei vielen Straftaten mit rechtextremen Hintergrund viel zu lasch vorgegangen wird. Man muß sich nur einmal anschauen, welche Ermittlungsverfahren vom General bundesanwalt zwischen 1992 und 1994 geführt worden sind. Es waren 389 wegen Bildung und Unterstützung einer kriminellen oder terroristschen Vereinigung gegen Linke und nur 13 gegen Rechtsextreme. Das bestärkt die Rechtsextremen sicher.
Mal ganz abgesehen davon, wer der Täter des Lübecker Brandanschlages ist, muß es doch zu denken geben, daß ein rechtsradikaler Mordter ror nicht ausgeschlossen werden kann. Somit müssen unabhängig von den polizeilichen Ermittlungen politische Konsequenzen gezogen werden. So darf die Asylgesetzgebung nicht so bleiben wie sie ist. Seit der Änderung des Asylrechts ist der Rassismus nicht zurückgegangen, die Gleichung Weniger Asylbewerber = weniger Rassismus ist absurd, sie konnte nicht aufgehen. Das Grundrecht auf Asyl ist nahezu aufgehoben, stattdessen wird eine gnadenlose Ab schottung praktiziert. So kritisierte mit außergewöhnlich scharfen Worten der Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) die Abschiebepolitik der Bundesregierung und rief dazu auf, illegale Flüchtlinge zu schützen. Es sei unverständlich und unakzeptaber, so der Bürgermeister gegenüber Radio Bremen, daß der Staat in schrecklicher Weise das Ausländerrecht mit Abschiebungen exekutiere. Gerade von Lübeck aus müsse das Gegenteil aufgebaut werden und dazu bedürfe es zivilen Ungehorsam. Mit seiner Forderung Asylbewerberheime aufzulösen und Flüchtlinge dezentral unterzubringen sprach Bouteiller eine weitere Konsequenz an. Statt Flüchtlinge zughettoisieren und somit den Nazis die Gelegenheit zum Morden zu geben müssen, sie stärker integriert werden, dh sie sollten in ganz normalen Wohnungen untergebracht werden.
Ignatz wrobel