Während im „Standort Deutschland“, für dessen Aufblühen wir alle unseren Gürtel enger schnallen müssen, die Unternehmensgewinne kräftig wachsen, wächst auf der anderen Seite die „neue“ Armut.
Preiswerter Wohnraum wird immer knapper
Beim Grundbedürfnis Wohnen hat dies auch in Solingen konkrete Auswirkungen: Betrug die Zahl der EmpfängerInnen von Wohngeld oder Sozialhilfe vor zehn Jahren noch 9621, so gibt es heute ca. 20 000 Wohngeld- bzw. Sozialhilfeempfängerinnen. Die SolingerInnen, die staatliche bzw. städtische Unterstützung für ihre Mietzahlungen benöti gen, sind die finanziell schwächsten Konkurren tInnen auf einem hartumkämpften Markt. 1994 waren 1600 wohnungssuchende Haushalte beim Wohnungsamt gemeldet. Es gibt einen besonders hohen Bedarf an preiswerten Wohnungen und die Nachfrage danach wird ständig hö her. Preiswerter Wohnraum findet sich vor allem im Sozialwohnungsbestand mit öffentlichen Mitteln geförderte Wohnungen, deren Mieten in einem erträglichen Rahmen bleiben müssen sowie im Altbaubestand der Genossenschaften und dem der Stadt Solingen. Gerade der Sozialwohnungsbestand gerät jedoch in den nächsten Jahren unter besonderen Druck: Nach Auskunft des Wohnungsamtes der Stadt laufen bei ca. 40% der derzeit 11 000 Sozialwohnungen bis zum Jahr 2000 die Bindungen ab, das heißt die Vermieterinnen können die Mietpreise Schritt für Schritt auf das teure Preisniveau des „freien Wohnungsmarktes erhöhen. 1994 war zusätzlich der Neubau vom Land geförderte Wohnungen mit nur 108 auf einem Tiefstand angekommen.
Stadtverwaltung will 70% der Mietwohnungen verkaufen
Wie verhält sich nun die Stadt Solingen ange sichts der Wohnungsnot? Gab es 1986 noch 1516 Wohnungen in 518 Mietwohnungshäusern (ohne Notunterkünfte, so schrumpfte deren Anzahl in den zehn Jahren danach trotz einer rot-grünen Mehrheit im Stadtrat auf 1150 Wohnungen in 400 Gebäuden, obwohl der Mietwohnbesitz der Stadt insgesamt sogar Gewinne abwirft. Der Rest wurde verkauft oder abgerissen.
Doch damit nicht genug. In einer Vorlage vom Oktober 95 schlug der Stadtkämmerer Predeick den Verkauf von ca. 70% des städtischen Wohnungsbestandes vor. Die Wohnungen sollen in den nächsten zwei Jahren den MieterInnen zum Kauf angeboten werden. Was passiert, wenn diese nicht an einem Kaufinteressiert sind, bzw. ein derartiger Kaufvöllig außerhalb ihrer finanzellen Möglichkeiten liegt. Für diesen Fall schlägt die Verwaltung einen „Verkauf der Objekte an Dritte oder Kapitalanleger“ vor, „falls die Cebäuden der beschriebenen zweijährigen Verkaufsaktion nicht oder nur unvollständig zum Verkauf gelangen.“
Zur Abwicklung der Verkäufe wurden schon intensive Gespräche mit der Firma Dr. Lüpke sowie der Stadtsparkasse geführt. Diese sollen die Ermittlung der Wohnungsgröße, Verkaufsverhandlungen und die Erarbeitung von Finanzierungsmodellen im Auftrag der Stadt überneh men. Von den geschätzten 60 Millionen DM Verkaufserlösen wollen die beiden Unternehmen ca. 5% = 3 Millionen DM kassieren – ein einträgliches Geschäft
Wird der „ohnehin schwierige Boden vergiftet“?
Offensichtlich sollte die Meinungsbildung in den Ratsfraktionen über diesen einschneidenden Beschluß in aller Stille und ohne öffentliche Diskussion geschehen. Als die Grünen Mitte Januar an die Presse gingen und die nichtöffentlichen Pläne bekanntmachten war die Empörung entsprechend groß. Die in der Pressekonferenz der Grünen von Julia Freiwald geäußerte Befürch tung, daß Mieterinnen in Folge der Verkäufe in die Obdachlosigkeit abgleiten könnten, wurde von ST-Chefredakteur Kob so kommentiert: „Dies ist fahrlässig, wenn nicht verantwortungslos, weil es den ohnehin schwierigen Boden vergiftet.“ (ST 20.196). Nachdem die Pläne öffentich geworden waren, sah sich die Verwaltung gezwungen, an die Öffentlichkeit und an die MieterInnen heranzutreten:
Stadtdirektor Predeick bezeichnete Befürchtungen, MieterInnen könnten durch die Verkäufen die Obdachlosigkeit oder in die Überschuldung getrieben werden als „einfach absurd.“ Im Fe bruar erhielten die Mieterinnen ein Anschreiben vom Oberstadtdirektor. Darin heißt es ua: „Der Kaufpreis wird Sie nicht wesentlich höher belasten als die jetzige Miete – falls Sie den jetzt gen Standard beibehalten.“ (SM 20.2.96) Dies trifft jedoch allenfalls für solche MieterInnen zu, die Kinder haben und eine dauerhaft gesicherte Arbeitsstelle besitzen. Es ist zu beürchten, daß sich Viele aus Angst vor einem Verkauf ihrer Wohnungen an Dritte verschulden, um ihre Wohnung kaufen zu können. Was passiert, wenn sie später ihre Arbeit verlieren und sogar zu SozialhilfeempfängerInnen werden? Dann wird das Sozialamt erst zahlen, wenn die Betroffenen bereit sind, ihre Wohnung zu Verkaufen.
Die Drohung, die Wohnungen an Dritte zu verkaufen, falls die Mieterinnen nicht fähig oder willens sind, ihre Wohnung selbst zu kaufen, wird auch durch den in Aussicht gestellten 10jährigen Kündigungsschutz nicht erträglich: Wer kennt nicht die Methoden, unliebsame Mieterinnen auch bei Kündigungsschutz aus der Wohnung zu treiben? Wieviel Mieterhöhung können die Einzelnen ertragen? Wer weiß schon, ob mensch in zehn Jahren im überfüllten Solinger Wohnungsmarkt eine passende Wohnung findet?
Keine Chance mehr gegen Vorurteile auf dem Wohnungs„markt“?
Ein wesentliches Argument gegen den Verkauf der städtischen Wohnungen ist der damit verbundene Verlust an preiswerten Mietwohnungen für den Solinger Wohnungsmarkt. Gerade Mietwohnungen auf dem unteren Preisniveau finden sich häufig im städtischen Hausgrundbesitz. Diese Wohnungen sind wichtig, um die hohe Nachfrage von finanziell schwachen Men schen zu decken. Selbst wenn die Wohnungen an finanziell besser ausgestattete MieterInnen verkauft werden, stehen sie auf Dauer, das heißt, in aller Regel auch nach Auszügen, nicht mehr als preiswerter Mietwohnraum zur Verfügung. Das Freiwerden von städtischen Mietwohnungen kam 1994 in 60 Fällen vor, dies ist keine sehr hohe Zahl, aber es ist doch eine wichtige Möglichkeit für das Wohnungs- und das Sozialamt, diejenigen Wohnungssuchenden unterzubringen, gegen die auf dem „freien“ Wohnungsmarkt Ressentiments vorherrschen: Das sind z. B. alleinerziehende Mütter, AusländerInnen, kinderreiche Familien und Behinderte. So sind z. B. AusländerInnen im städtischen Mietwohnungsbesitz prozentual stärker vertreten, da die Vorurteile gegen sie bei vielen privaten VermieterInnen leider besonders hoch sind
Wie verhalten sich die Parteien im Stadtrat dazu?
Die Entscheidung über den Verkauf der Wohnungen wird Mitte des Jahres im Zusammenhang mit der Haushaltsverabschiedung fallen. Die Verwaltung begründet die Verkaufsabsichten damit, daß das im Haushaltssicherungskonzept anvisierte Ziel, 100 Millionen DM an Erlösen aus dem Verkauf von Vermögen zu erzielen nicht anders zu realisieren sei. In seiner Genehmigung des Haushaltes 1995 schrieb der Regierungspräsident jedoch: „Allerdings ist mir der dort eingestellte Anteil an Vermögenserlösen eindeutig zu hoch.“ Andere Einsparmöglichkeiten als die Vermögensverkäufe wie zB der Verzicht auf weitere kostenträchtige Straßenbauvorhaben wie die Südumgehung Wald oder ein zeitweiliger Beförderungsstop für Beamtinnen des mittleren und höheren Dienstes, scheitern regelmäßig daran, daß die Lobby für diese Ausgaben weit stärker ist als die für städtische Mietwohnungen. Wie dem auch sei, die Debatte stendich auf dem Tisch. Der momentane Stand der Meinungsbildung der Fraktionen scheint folgender zu sein:
Die SPD hatte schon vor einiger Zeit beschlossen, bis zu maximal 50% der städtischen Wohnungen zu verkaufen, unter der Voraussetzung daß sie ausschließlich an die MieterInnen verkauft werden. In der Reggaethek im Bürgerfunk vom 2.2,96 wollte sich der Fraktionsvorsitzende der SPD, Ulrich Uibel, nicht auf eine Zahl der zu verkaufenden Wohnungen festlegen, sagte aber: „Ich gehe davon aus, daß wir mehr Wohnungen als der Kämmerer, Herr Predeick, bisher beabsichtigt in unserem Bestand halten müssen“ um sozial Schwachen die Sicherheit des dauerhaften Mietverhältnisses zu geben. Er befürwortete den Verkaufener großen Zahl von Wohnungen an die MieterInnen, ohne jedoch einen Verkauf an Dritte völlig auszuschließen. Immerhin sagte er einschränkend zum Thema Kauf durch die MieterInnen: „Alle diejenigen, die das entweder nicht können oder nicht wollen, und da denke ich insbesondere auch an alte Menschen, die teilweise lebenslang in den Wohnungen sind, müssen ein lebenslanges Mietrecht in ihren Wohnungen eingeriumt bekommen von der Stadt.“ Wie das bei PolitikerInnen so üblich ist, bleibt bei dieser letzten Formulierung ein wenig offen, ob alle nun wirklich alle meint, oder nur alte Menschen, die teilweise ebenslang in den Wohnungen sind. Wie dem auch sei, hier scheint der SPD noch eine spannende Debatte mit ihren SozialpolitikerInnen bevorzustehen.
Die CDU stellt sich hinter das CDU-Mitglied Stadtkämmerer Predeick und befürwortet eindeutig einen Verkauf städtischer Wohnungen, will sich aber auch noch nicht auf eine Prozentzahl des Wohnungsbestandes festlegen. Fraktionsschef Franz Haug befürwortete einen „Verauf möglichst an die Mieter.“ Ein lebenslanges Wohnrecht will er allerdings nur Alteren einräumenlassen. „Bei Jüngeren würde ich sagen, dann sind zehn Jahre eine Übergangsfrist, die man scherlich dann auch nutzen kann, um sich Ersatzwohnraum zu beschaffen.“
Bündnis 90/Die Grünen hatten sich immer gegen den seit Jahren von der Verwaltung vorgeschlagenen Ausverkauf des Wohnungsbestandes gewandt, vor einiger Zeit jedoch dem Verkauf der 1- und 2-Familienhäuser – das sind ca. 90 Wohnungen – an die Mieterlnnen zugestimmt. Sie beschlossen folgendes Vorgehen: Die Absichten der Verwaltungsollen öffentlich gemacht werden, ein Großteil (ca. 1000 der 1150 städtischen Wohnungen sollen im Besitz der Stadt bleiben, der Verkauf der übrigen soll ausschließich an die Mieterinnen erfolgen. Spannend wird es werden, wenn die SPD die Verabschiedung des Etats (die in den letzten Jahren immer gemeinsam von SPD und Grünen erfolgte) vom Verkauf eines großen Teiles der Mietwohnungen abhängig machen sollte. Ob die Grünen dann genauso umfallen wie bei der von ihnen immer geforderten Wiedereröffnung des Aufderhöher Freibades, welche die SPD mit ihrem Nein zu Fall brachte?
krabat