Im Sommer letzten Jahres fand die ”Bärenwoche” in Solingen statt. Dies war eine Aktionswoche zur internationalen Verständigung, organisiert vom Jugendamt, dem SCI und SOS-Rassismus.
Dabeiwurde in einer Arbeitsgruppe nach den Vorstellungen der beteiligten Jugendlichen von diesen gemeinsam mit Künstlern ein großes Graffiti in der Turmpassage Richtung Ohliger Tor gesprüht. Die CDU stellte daraufhin eine Anfrage, wer für diese ”tendenziösen” Darstellungen verantwortlich sei: ”Aus unserer Sicht wäre die Zustimmung der Bezirksvertretung Mitte für die Anbringung derartiger Darstellungen notwendig gewesen, da es sich um eine massive Veränderung des Stadtbildes handelt”. In der Sitzung der Bezirksvertretung Mitte am 29. 1. kam es dann noch doller: Die CDU beantragte, ”die beanstandeten Graffiti zu entfernen und künftige der BV im Entwurf vorzulegen und abstimmen zu lassen”. Frau Nagy von der CDU: ”Von mir aus kann SOS-Rassismus das in seinen eigenen Wänden darstellen.”
Nun ist es eine lange Tradition der Konservativen, zu meinen, alles was an künstlerischer oder sozialer Äußerung im öffentlichen Raum stattfindet, zensieren zu können. Ihre Zensurversuche in Solingen sind zahlreich: Als sie vor 1984 mit der FDP noch die Mehrheit im Stadtrat hatte, wurden dem lokalen Bürgerfernsehen Kanal 4 die Gelder wegen unbotmäßiger Berichterstattung gestrichen, Manfred Krauses Vortragsreihe zur Sozialgeschichte von Solingen wurde aus dem VHS-Programm gestrichen … Seit sie keine Mehrheit mehr hat, wird das etwas schwieriger: Der Versuch, die Veranstaltungsreihe von Jugendamt und Getaway zu stoppen, nachdem Gregor Gysi hier aufgetreten war, scheiterte. Und auch in der BV-Mitte hatte die CDU kein Glück: SPD, Grüne und sogar die FDP lehnten den Zensurversuch ab. Die CDU schäumte anschließend in einer Presseerklärung jedoch weiter: ”Es ist schon erstaunlich, daß die Verschandelung öffentlicher Flächen in der Innenstadt durch Graffiti-Sprühereien in der Turmpassage von Rot/Grün als normal angesehen wird.” Hier offenbart sich wieder einmal die Unfähigkeit der CDU, auf kulturelle Äußerungen jenseits von Rumtata, Mundartburleske oder Oper anders als mit Zensur zu reagieren – zuletzt bei der Groteske zum Techno-Wagen-Verbot durch Ex-CDU-Mitte-Chef Sommer zu beobachten. Aber es steckt mehr dahinter:
Am 11. 2. wurde die Katze dann vollends aus dem Sack gelassen. ” Der Zustand der Passage ist nicht mehr akzeptabel, so die Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der CDU, Gudrun Wüsthof … Wüsthof schlägt deshalb vor, die Passage zu privatisieren und in Erbpacht an Karstadt zu geben. Die Passage könnte dadurch zu einer privatrechtlichen Straße werden. Die Sicherheit könnte dann durch private Kräfte gewährleistet werden.“ (SM 11. 2. 1998)
Das würde ihnen so passen: Nachdem der öffentliche Platz Mühlenhof fast vollständig privatisiert wurde, soll als nächstes die Passage, eine von den SolingerInnen sehr stark genutzte öffentliche Wegefläche, nur noch nach Gutdünken des Inhabers betreten und genutzt werden dürfen.
Mit allen Folgen: Schwarze Sherrifs mit Hausrecht vertreiben BettlerInnen und Musiker-Innen, Obdachlose und herumstehende Jugendliche, die nicht genügend kaufen können oder wollen, werden nach draußen in die Kälte geschickt, politische Infostände können hier nicht mehr stattfinden, Wandbemalungen und Graffitis gibt’s nicht mehr, oder nur noch nach Willen des ”Eigentümers”…
Dietmar Gaida