Artikel in der Frankfurter Rundschau zum Kissel-Prozeß

Mit seiner „Aufmunterung“ rückte sich Kissel ins ultrarechte Licht

Gericht spricht Studenten frei, der die Gesinnung des Solinger Bauunternehmers auf den Punkt gebracht hatte

Von Ingrid Müller-Münch (Wuppertal)

Der Bauunternehmer Günther Kissel darf seit Dienstag ungestraft „Volksverhetzer und Auschwitzleugner“ genannt werden. Kissel ist in Solingen stadtbekannt.

In einer Berufungsverhandlung vor dem Wuppertaler Landgericht hat die 3. Strafkammer einen Studenten von dem Vorwurf freigesprochen, den Unternehmer Kissel beleidigt zu haben. Anders als ein Solinger Amtsrichter in erster Instanz, sah die Wuppertaler Kammer durch Äußerungen Kissels den Tatbestand der Volksverhetzung und Auschwitzleugnung sehr wohl erfüllt.

Der Kammervorsitzende Hans-Jürgen Müller bezog sich dabei auf schriftliche Ausführungen Kissels, die der Student als verantwortlicher Redakteur der Solinger Stadtzeitung tacheles im November 1995 veröffentlicht hatte. Das Blatt kam in dieser Ausgabe zu dem Schluß, bei dem inzwischen 80jährigen Besitzer eines alteingesessenen Solinger Bauunternehmens handele es sich um „einen aktiven rechtsextremistischen Drahtzieher, Volksverhetzer und Auschwitzleugner“.

Um diese Behauptung zu stützen, hatte tacheles unter anderem aus einem Rundbrief Kissels zitiert, den der Unternehmenschef „zur Aufmunterung“ im Januar 1992 an seine etwa 140 Mitarbeiter verschickt hatte. Darin war von „Fremden“ die Rede, die „schlau feixen und verstohlen firstclass per Jet, per Bahn und per Taxi zur deutschen Behörde“ kämen. Die hereinströmten „in gewaltiger Flut“, wofür wir „zahlen und zahlen und zahlen“. Sie würden „lügen, betrügen und prahlen“ und blieben dafür „ungeschoren“. Zudem lebten sie „von unseren Moneten“.

Nach Ansicht des Wuppertaler Berufungsgerichts stellte dieses Gedicht einen eindeutigen Angriff auf die Menschenwürde dar. Durch seine Äußerungen spreche Kissel Fremden das soziale Lebensrecht ab. Die Kammer bezog sich bei ihrer Entscheidung unter anderem auf das Bayerische Oberlandesgericht, das 1994 einen Sachbearbeiter in der Ausländerabteilung eines Landratsamtes verurteilt hatte. Dieser hatte an die Wand seines Dienstzimmers ein Flugblatt mit der Überschrift „Der Asylbetrüger“ gehängt, auf dem Asylbewerber pauschal als Aidskranke bezeichnet und als Faulenzer, Rauschgifthändler und Betrüger diffamiert wurden.

Der Wuppertaler Staatsanwalt, der ebenfalls Freispruch für den tacheles-Redakteur gefordert hatte, wertete Kissels Äußerungen über Fremde als „vom Inhalt her noch wesentlich schlimmer“ als dieses in Bayern aufgetauchte Gedicht. Der Anwalt des angeklagten Studenten bezeichnete es als „unglaublichen Vorgang“ und „völliges Mißverhältnis“, daß nicht von vornherein Günther Kissel wegen Volksverhetzung angeklagt worden sei, sondern statt dessen sein Mandant, der doch nur Kissels Äußerngen öffentlich gemacht habe.

Günther Kissel ist seit Jahren schon Gegenstand heftiger Kontroversen in der bergischen Klingenstadt. Spätestens seitdem er 1979 seine Teilnahme an einem Stammtisch von ehemaligen Waffen-SS-Mitgliedern in einem Leserbrief verteidigte, protestieren aufgebrachte Bürger immer wieder dagegen, daß Kissel häufig von der Stadt Solingen mit umfangreichen Bauaufträgen bedacht wird.

In einem Leserbrief hatte Kissel seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS verteidigt und sich bitter darüber beklagt, wie wenig das Vaterland den hohen „Blutzoll“ gedankt habe, den diese „Elitetruppe“ der Wehrmacht durch ihre Schwerpunkteinsätze im Krieg gezahlt habe. Den Fuhrparkt seiner Firma ließ er schon mal mit Aufklebern wie „Freiheit für Rudolf Heß“ ausstatten.

In einem Fernsehinterview zum Prozeß gegen einen ehemaligen KZ-Aufseher, der wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, hatte Kissel geäußert, seiner Meinung nach sei der „Zionismus“ die treibende Kraft hinter diesem Verfahren. In zahlreichen Schreiben setzte sich der Bauunternehmer seinerzeit auch vehement dafür ein, den inhalftierten Auschwitzleugner Thies Christophersen freizulassen.