Gnadengesuchsteller entlarvt sich als brauner Propagandist
Das Anliegen, anläßlich des Jahrestages der Reichspogromnacht vom 9. November über den Fall des wegen fünf nachgewiesener Morde im KZ Auschwitz, rechtskräftig zu lebenslänglich Verurteilten Kissel-Schützling Weise kontrovers zu diskutieren, bestätigte eine alte Erfahrung: Mit verbohrten Nazis ist jede inhaltliche Auseinandersetzung kontraproduktiv!
Trotz alledem war diese Veranstaltung wichtig. Denn jeder demokratisch gesinnte Teilnehmer an diesem Lehrstück müßte begriffen haben, daß der Schoß, welcher die größten Verbrecher der bisherigen Menschheitsgeschichte gebar, nicht nur immer noch fruchtbar ist, sondern über den Kohl-Kinkelschen-Zeitgeist – wonach sich das vereinte, wiedererstarkte Deutschland als global Player in die Weltpolitik zurückmeldet, einen qualitativ neuen Sponsoren-Schub erhält.
Wie sonst ließe es sich erklären, daß unverbesserliche Auschwitzleugner sich erdreisten, in einer derart primitiven Form ihre menschenverachtenden Haßtiraden zu plazieren. Die Unbelehrbaren wittern – wahrscheinlich nicht ohne Grund – Morgenluft.
Da traut sich der Menschenfreund Karl Dimmig aus Neuss, seines Zeichens Bundesverdienstkreuzträger und Gnadenge-suchsteller für den unschuldigen, ehrenwerten, ach so kranken, als Nachbarn im Stadtteil Meigen, unbescholtenen Herrn Weise – der stetig bemüht ist, vom Ertrinken bedrote Insekten aus seinem Garten-Swimmingpool vor Todesqualen zu bewahren, zu behaupten, daß diejenigen, die im deutschen Faschismus eine unvergängliche Schuld sehen würden, heutzutage für die Überfremdung unseres (arischen) deutschen Volkes verantwortlich seien. (”Im Schatten dieser unvergänglichen Schuld wird unser Volk systematisch überfremdet.”) Der Kanthersche Populismus scheint dem Kriegsverbrecher Dimmig ( ”Ich habe Feindflieger abgeschossen und bin somit ein Kriegsverbrecher, weil ich deutsche Städte vor der Vernichtung bewahren wollte”) Kraftfutter zu geben.
Die ”distingiert aussehenden Herren in edlem Zwirn, aber mit tiefbrauner Gesinnung” (Tageblatt) im Gefolge des sauberen Herrn Dimmig ließen es ebenfalls an Eindeutigkeit nicht fehlen. Jede Schilderung der bestialischen Verhältnisse in Auschwitz, wo sich der SS-Mann Weise als ein besonders sadistischer Aufseher darstellte, wurde mit Gebrüll als ”Lüge” oder zionistische Greuelpropaganda verhöhnt. Selbst als Hans Frankenthal, der Podiumsvertreter des Internationalen Auschwitzkomitees und ehemaliger Häftling in diesem KZ, vom im jüdischen Glauben begründeten Verzicht auf Rache sprach, skandierte das braune Geschmeiß: ”Wir lieben alle Araber!”, womit wohl gemeint war, daß sie von ”den Arabern” das erwarteten, was den Nazis nicht gelang.
Unter den Augen der anwesenden Politischen Polizei, von der im übrigen strafrechtliche Konsequenzen zu erwarten wären, drohten sie ihm und anderen Antifaschisten mit einer nachträglichen Verurteilung durch den Reichsgerichtshof. Wer sich auf demokratische Werte berief, wurde kurzum mit ”Demokröte”, oder anderen verächtlichen Ausdrücken belegt.
Wer bis dahin in der Frage, ”Gnade für Weise”, noch keine eindeutige Position gehabt haben sollte, dem müßte der Auftritt dieser Freunde des ”Wilhelm Tell von Auschwitz” als Entscheidungshilfe ausgereicht haben.
Der 78jährige Solinger, welcher schon nach seiner ersten Verurteilung, für 300 000 Mark Kaution, Haftverschonung erhielt und sich nach Ablehnung seiner Revision der Verhaftung durch Flucht in die Schweiz entzog, lebt seit einiger Zeit wieder in Freiheit, im Kreise seiner Familie. NRW-Innenminister Kniola gewährte ihm die Gnade der Haftverschonung aus Krankheitsgründen. Der gleiche Innenminister stellte jüngst im neuen Verfassungsschutzbericht erschreckt fest, daß die Zahl der antisemitistischen Straftaten in NRW, im Vergleich zum Vorjahr, um fünfzig Prozent zugenommen habe und wertete dies, im Zusammenhang mit der flächendeckend geplanten Kandidatur der Republikaner zur Bundestagswahl 1998 als ein Alarmzeichen.
H. O. Bones
Kein Dialog mit Nazis!
Es bleibt allerdings zu fragen, ob es nicht klüger gewesen wäre, die tiefbraune Gesinnung von Karl Dimmig rechtzeitig in Erfahrung zu bringen und ihn gar nicht erst einzuladen. Eine einstündige Diskusssion mit Nazis zu führen, ist ein Unding und darf sich nicht wiederholen. Ein demokratischer Dialog mit Leugnern des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte, die dieses vermutlich jederzeit wiederholen würden, ist unmöglich.
Krabat
Gottfried Weise: Gentleman-Verbrecher
Erst wird Gottfried Weise die Ablehnung seiner Revision noch vor der Staatsanwaltschaft zugestellt, so daß er Zeit genug hatte, sich in die Schweiz abzusetzen. Dann kann die Fahndung nach dem zu lebenslänglich Verurteilten nicht greifen, weil ihn niemand erkennungsdienstlich erfaßt hat und somit weder Fingerabdrücke noch Fotos vorhanden sind. Warum diese routinemäßige Pro-zedur, der so mancher Schwarzfahrer im Wiederholungsfall unterzogen wurde, bei einem mehrfachen Mörder unterlassen wurde, bleibt ein Geheimnis. Weise würde heute noch am schönen Thuner See in der Schweiz leben und von seiner Familie – die natürlich nicht von der Polizei beschattet würde – regelmäßig besucht werden. Nur einem Zufall (falscher Krankenschein) war es zu verdanken, daß er den Schweizer Behörden auffiel.
Obwohl in mehreren bedeutenden NS-Nachkriegsprozessen erwähnt, wird er von der Justiz als Mitläufer eingestuft und erhält einen ”Persilschein”. Von seiner dann doch noch erhaltenen Strafe sitzt er nur wenige Jahre ab, weil der Staat ihm wegen Krankheit und Kautionszahlungen Haftverschonung gewährt. Jetzt sollen der NRW-Ministerpräsident über ein Gnadengesuch entscheiden. Gnade für diesen zu keinerlei Reue fähigen Menschenschinder wäre eine Verhöhnung seiner Opfer.
H.O. Bones