Was ist der Gehalt der Globalisierungsdebatte?

Die Globalisierungsdebatte(1) hat in der deutschen Öffentlichkeit ihre Wirkung nicht verfehlt. Es kann vermutet werden, daß die Eroberung und Verwüstung des Globus durch das Kapital selten so wenig legitimationsbedürftig war wie heute. Ein Effekt der Globalisierungsdebatte scheint in der Tatsache zu liegen, daß die Perspektive, sich dem allgegenwärtigen “Imperialismus des Ökonomischen” in alle Lebensbereiche entziehen zu können, gänzlich abhanden gekommen ist: Die Ineinssetzung des eigenen Lebensraums mit dem “Standort Deutschland” ist in aller Munde, die unmittelbare Beziehung zwischen Lebenschancen und Kapitalinteressen ist in allen Köpfen.

Die Diskussion legt nahe, daß es ein neues, bedrohliches Niveau des Gegeneinan- derausspielens von nationaler und internationaler Politik und internationaler und nationaler Wirtschaft gibt.

Dem Staat sei es bisher erfolgreich gelungen, die ökonomische Macht der Konzerne einzuschränken und Ressourcen(2) im Sinne eines sozialen Ausgleichs umzuverteilen, so der Tenor der Diskussion. Mit der Globalisierung setze nun eine Flucht des Kapitals aus nationalem Territorium ein, der gegenüber nationale Politik ohnmächtig ist. Nationale Politik verliere im Zuge der Globalisierung an Bedeutung. Kriterien und Grenzen nationaler Politik wären von den Erfordernissen des Standortwettbewerbs vorgegeben. Im Zuge der Globalisierung ist der schlanke Staat gefragt, der gezwungen ist, soziale Ausgaben zu reduzieren, um im globalen Standortwettbewerb konkurrenzfähig zu sein. Die Folge wäre ein schleichender Souveränitätsverlust des Staates. Staatliche Souveränität würde durch die Ausweitung der nationalen Volkswirtschaft zur globalen Ökonomie stark relativiert, die staatlichen Regulierungsmöglichkeiten in Bereichen Wirtschafts-, Sicherheits-, Forschungs- und Umweltpolitik stark eingeschränkt.

Im Zusammenhang mit der Rede vom Souveränitätsverlust des Staates ist es wichtig, sich zunächst die Funktion des Staates im Kapitalismus vor Augen zu führen. Es ist zu diskutieren, ob und wie sich gegebenenfalls staatliche Politik mit der Ablösung des Wohlfahrtsstaats im Übergang zum globalen Neoliberalismus(3) verändert und welche Funktion diese Debatte in der Öffentlichkeit hat.

Das Spannungsfeld zwischen Nationalstaat und internationalem Kapital ist nichts Neues im Kapitalismus, sondern von Anfang an ein Wesensmerkmal dieses Systems. Die Souveränität der Nationalstaaten ist als Mythos Bestandteil der Funktionsweise des Kapitalismus. Der Staat war nie eine autonome politische Einheit, die Machtposition eines Staates ist bestimmt von der Fähigkeit, in den eigenen Grenzen Kapital anzuhäufen zu fördern. Dabei haben die Kapitalisten schon immer ihre Macht dazu benutzt Staaten gegeneinander auszuspielen.

Aufgabe staatlicher Politik ist es, Infrastruktur für Kapitalanhäufung herzustellen und polarisierende Umverteilung der ausbeuterisch angeeigneten Mehrarbeit der Menschen zugunsten weiterer Kapitalanhäufung vorzunehmen. Dabei galt es immer glaubhaft zu machen daß diese Infrastruktur und die staatliche Umverteilung von Ressourcen die Lebensbedingungen der Menschen sichert und sozialen Ausgleich schafft.

Dem entspricht auch das Bild von der Funktion des Staates, das in der Globalisierungs-debatte gezeichnet wird. Tatsächlich gilt es dabei zu verschleiern, daß staatliche Politik die Funktion hat, Bedingungen herzustellen, die die systematisch einseitige Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten der Herrschenden gewährleisten, also letztlich die Institutionalisierung und den Fortbestand von Ausbeutungsstrukturen sicherzustellen. Es wird suggeriert, daß der gesellschaftliche Reichtum von “oben nach unten” verteilt wird, in Wirklichkeit wurde schon immer vermittelst der Aneignung der Pfründe der Arbeit der Menschen von “unten nach oben” verteilt.

Zur These vom Regulationsverlust(4) des Staates: Die Rede von der neuen “Enge” staatlicher Regulierung und vom “Sachzwang Weltmarkt”, der gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten auslöscht, hat vor allem legitimatorische Funktion: Es werden objektive Sachzwänge und politische Fixpunkte vorgegeben, die eine Scheinobjektivität erzeugen, der man sich zu fügen hat. Tatsächlich arbeitet die Globalisierungsdebatte einem von konkreten Personen initiierten Herrschaftsprojekt zu, die dem Kapitalismus eine neue, neoliberale Gestalt geben wollen. In diesem Rahmen werden den Nationalstaaten von den herrschenden politischen Akteuren neue Gestalten und     Funktionen zugewiesen.

Der neoliberale Umbau des sogenannten Sozialstaats läuft hierzulande keineswegs auf einen schwächeren, zurückgenommenen Staat hinaus, wie die Rede von “weniger” bzw. dem “schlanken” Staat nahelegt. Wenn von “Freisetzung  der  Marktkräfte”  gesprochen wird, hat das nicht weniger Staat zur Folge, sondern eine verschärfte Durchstaatlichung der Gesellschaft, die immer beschränkendere Lebensbedingungen der Menschen nach sich zieht und zur weiteren Verarmung der Gesellschaft führt. Beispiele für politische Maßnahmen und Gesetze in dieser Richtung sind die Infragestellung von Tarifverträgen, geplante Kürzungen der Sozialhilfe, Zuzahlungserhöhung für Medikamente. All das ist beispielhaft für die Ausweitung gesetzlicher Maßregelung des Staates, die die materielle Sicherheit von immer mehr Menschen in Frage stellen.

Die Globalisierungsdebatte verweist auf die Notwendigkeit, weltweit einen flexibleren Zugriff auf ausbeutbare Ressourcen in Form von Mensch und Natur für Herrschaftsinteressen zu finden. Dies bildet den Rahmen für die Suche nach neuen politischen Strategien auf nationaler und globaler Ebene.

Die Standortpolemik – der Standort Deutschland wäre zu sichern – dient dazu, die in vorangegangenen politischen Kämpfen errungenen Zugeständnisse wieder rückgängig zu machen.

Die vermeintlichen Errungenschaften des “sozialen Wohlfahrtsstaates” entspringen nicht der Absicht einer gerechten bzw. ausgleichenden Verteilung von Ressourcen, es handelt sich dabei vielmehr um Zugeständnisse, die in langwährenden politischen Kämpfen errungen wurden und in guten wirtschaftlichen Zeiten vor allem zur Herstellung des gesellschaftlichen Friedens dienten. Daß die im Rahmen bzw. bei Anerkennung der kapitalistischen Spielregeln für politische Auseinandersetzun-gen erkämpften Kompromisse nicht von Dauer sind und auch wieder zurückgenommen werden können, zeigt die aktuelle politische Wende zum Neoliberalismus: Soziale Kürzungen gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen, ist gegenwärtig an der Tagesordnung.

In der Klage über den Verlust des politischen Spielraums des Staates drückt sich auch die Unmöglichkeit aus, globale Gefährdungen im Nachhinein zu bewältigen, die aufgrund der Funktionsweise des Kapitalismus immer wieder systematisch entstehen: In der kapitalistischen Produktionsweise geht es nicht um die kollektive Herstellung von Gütern, die die Menschen zum Leben brauchen, sondern um die Unterordnung und Vernutzung von Mensch und Natur unter die Bedingungen des Kapitals zugunsten einseitiger Reichtumsanhäufung der herrschenden Klasse. Dabei ist wesentlich in Betracht zu ziehen, daß die kapitalistische Wirtschaft nur um den Preis der fortwährenden Zerstörung der Lebensgrundlagen von Mensch und Natur stattfinden kann. Kapitalistische Ausbeutung ist nur auf der Grundlage lebenslanger Zurichtung und Entmachtung der Menschen in den Organisationen dieser Gesellschaft möglich. Dies ist u.a. ein gewaltgestützter Prozess der Sozialisation der Menschen der in Institutionen wie Familie, Schulsystemen und Erziehung u.v.m. stattfindet.

Solange die Grundprinzipien dieser Produktionsweise nicht selbst in Frage gestellt werden, bleibt es dabei, daß immer wieder neu entstehende Probleme u.a. im Bereich natürliche Umwelt, weltweite Verarmung und psycho-soziale Verelendung im Nachhinein etwa durch Bildung immer neuer Organisationen auf nationaler und internationaler Ebene verwaltet bzw. gehandhabt und eben nicht bewältigt werden, denn dies würde einen echten Bruch mit den Prinzipien des Kapitalismus voraussetzten: In diesem System gehtes nicht darum, daß möglichst viele Menschen ein gutes Leben führen können, sondern es geht um die unendliche Anhäufung von Geld, bzw. Reichtum und Macht von sehr wenigen auf Kosten der Mehrheit der Menschen und der Natur.

Monika Schäfer

1) Seit etwa Ende der 80er Jahre lebt die sog. Globalisierungsdebatte. Im engeren, ökonomischen Sinne wird mit „Globalisierung“ die These verbunden, dass Wirtschaftsunternehmen in ihren Aktivitäten zunehmend nationalstaatliche Grenzen überschreiten und in diesem Sinne international agieren („global player“).
2) Mit Ressourcen sind hier vor allem Geldmittel in Form von staatlichen Transfer– bzw. Sozialleistungen gemeint.
3) Neoliberalismus bezeichnet kein in sich geschlossenes theoretisches oder gar politisches Konzept, sondern ist eher ein sich selbst legitimierendes Schlagwort. Es dient als Gegenbegriff zum sozialen Wohlfahrtsstaat und bündelt dabei Themen und Ideen wie Stärkung der Macht von Unternehmen, Kürzung von Sozialleistungen etc.
4) Regulation meint hier die Kompetenz des Staatsapparats die Wirtschaft vor allem mit den Mitteln der Politik zu organisieren bzw. zu strukturieren.