Geplante Gewerbegebiete im Ittertal: Gesamtgutachten bestätigt massive ökologische Auswirkungen

Das am 9.12.2013 vom Stadtentwicklungsausschuss (ASUKM) beschlossene „Gesamtgutachten Ittertal“ wurde jetzt, 2 ¼ Jahre danach, endlich vorgelegt. Es empfiehlt, das Gewerbegebiet Buschfeld (nördlich Garzenhaus) nicht weiter zu verfolgen und Keusenhof (Wilzhauser / Kuckesberger Weg) zunächst nicht weiter zu verfolgen. Trotz hoher Umweltauswirkungen sollen aber bei Piepersberg-West (westlich Piepersberg-Ost) und Fürkeltrath II (nördlich Holz) die Flächen im Besitz der Wirtschaftsförderung Gewerbegebiete werden.
Obwohl im Beschluss des ASUKM „in Bezug auf die weitere Bebauung des Ittertals, insbesondere durch Gewerbeansiedlungen, die Erstellung eines Gesamtgutachtens unter Nachhaltigkeitsaspekten und ökologischen Gesichtspunkten“ gefordert wurde, interpretierte die Verwaltung dies ganz in ihrem Sinne: Zwar wurden die Auswirkungen der vier auf Solinger Seite des Ittertals geplanten Gewerbegebiete untersucht. Die Folgen der darüber hinaus gehenden zusätzlichen weiteren Bebauung des Ittertals wurden jedoch nicht bewertet. Dazu gehören u.a. das noch nicht bebaute Gewerbegebiet Fürkeltrath I, weitere Wohnbebauungen auf Solinger- sowie zusätzliches Gewerbe auf Haaner Seite. Auch die sich anhäufende Wirkung der zahlreichen, gerade nahe den Quellen des Ittertals eng zusammenstehenden, geplanten bzw. vorhandenen Gewerbegebiete wurde nur unzureichend betrachtet.
Dennoch bestätigen die Gutachten-Teile „Ökologische Aspekte“ und „Ergänzung zur Raumwiderstandsanalyse“, beide vom Aachener Büro BKR, die Gefährdung des Ittertals durch die Planungen. Im Folgenden – kursiv gesetzt – Auszüge daraus:

Buschfeld: Schädigung des Naturschutzgebietes,
Klimaveränderungen im Ittertal …

– „sehr hohe ökologische Auswirkungen auf das Schutzgut Boden sowie hohe Auswirkungen auf die Schutzgüter Mensch, Pflanzen / Tiere“
– „hohe Bedeutung als Puffer und Ergänzungsflächen zum NSG mit entsprechendem Entwicklungspotenzial (…) Verlust von Acker- und Grünlandflächen mit Habitatfunktionen für verschiedene planungsrelevante Tierarten (Avifauna, Fledermäuse), z.T. auch essenzielle Habitatfunktionen nicht auszuschließen – insbes. Kleinkolonie der Rauchschwalbe. Beeinträchtigung von Vorkommen planungsrelevanter Tierarten im Umfeld je nach Gewerbeart nicht auszuschließen.“
– „Buschfeld stellt eine große, zusammenhängende Freilandfläche dar, die sich im Fall einer Bebauung zu einer großen lokalen Wärmeinsel wandeln könnte. (…) Mit einem Kaltluftbildungspotenzial-Anteil von rund 9 % bezogen auf die Kaltluftflächen des südlichen Ittertals käme es im Fall einer Bebauung der Fläche Buschfeld zu einer deutlichen Reduzierung der Kaltluftströmung.“
Dies würde eine starke Klimaveränderung im Ittertal selbst bedeuten.
– „Durch Überbauung / Versiegelung erfolgt ein vollständiger Funktionsverlust bedingt naturnaher besonders schutzwürdiger Böden, die zu den fruchtbarsten Böden des Stadtgebietes zählen“

Keusenhof: Enorme Erschließungskosten,
Zerstörung eines der fruchtbarsten Böden Solingens …

– „sehr hohe Auswirkungen auf das Schutzgut Boden“
– Mit geschätzten Erschließungskosten in Höhe von 5.360 T € „schneidet der Standort Keusenhof insbesondere aufgrund der schlechten verkehrlichen Anbindung vergleichsweise ungünstig ab.“
– „Durch Überbauung erfolgt eine Zerstörung überwiegend bedingt naturnaher besonders schutzwürdiger Böden, die zu den fruchtbarsten Böden des Stadtgebietes zählen“
– „Verlust hauptsächlich von Acker- und Grünlandflächen voraussichtlich überwiegend mit Nahrungshabitatfunktion für verschiedene planungsrelevante Tierarten (Avifauna, Fledermäuse)“

Piepersberg-West: Gefährdung eines der wichtigsten rechtsrheinischen Biotopverbünde, Erhebliche Veränderung des Talraums …

– „hohe ökologische Auswirkungen auf die Schutzgüter Boden, Landschaftsbild, Pflanzen / Tiere“
– „Hauptsächlich direkter Verlust von landwirtschaftlichen Flächen mit mittlerer allgemeiner Bedeutung als Lebensraum, jedoch mit hoher Bedeutung für den Biotopverbund. Hierdurch in Verbindung mit den Gewerbeflächen Piepersberg-Ost Verschmälerung des verbleibenden Verbundkorridors auf eine Breite zwischen 135m und 180 m (Richtwert für regionale Korridorbreite 500 m gem. Projektgruppe Umweltplanung der Städte Remscheid, Solingen und Wuppertal 1996). Aufgrund dieser kumulativen Wirkung wird die Inanspruchnahme des Lebensraums und des Biotopverbunds insgesamt als hoch bewertet.“

Das Luftbild zeigt das obere Ittertal und die größtenteils erst noch geplante bauliche Verdichtung von Haan über Wuppertal bis Gräfrath. F-1 + F-2 = Fürkeltrath I und II, P-O + P-W = Piepersberg Ost und West.

Das Luftbild zeigt das obere Ittertal und die größtenteils erst noch geplante bauliche Verdichtung von Haan über Wuppertal bis Gräfrath. F-1 + F-2 = Fürkeltrath I und II, P-O + P-W = Piepersberg Ost und West.

Damit wäre eine bedeutende Schwächung des Kernstücks eines der wichtigsten überregionalen Biotopverbünde im Rechtsrheinischen verbunden, der sich bis heute in der dicht bebauten Metropolregion Rhein-Ruhr erhalten hat. Der gefährdete Biotopverbund verbindet das Großbiotop Burgholz / Tal der Wupper, über das Ittertal mit der Hildener- und der Ohligser Heide. Er setzt sich südwestlich der Ohligser Heide fort als Biotopverbundachse zwischen Rheinaue und Heideterrasse (zwischen Hilden-Erikasiedlung und Richrath bzw. zwischen Garath und Baumberg) bis hin zur Urdenbacher Kämpe am Rhein. Zusätzlich erweitert sich der Biotopverbund westlich der Hildener Heide über Elbsee, Unterbacher See bis zum Eller-, Hasseler- und Benrather Forst. Im vom Landesumweltamt erstellten Fachbeitrag zum Regionalplan werden in diesem zusammenhängenden Freiraum durchgängig Flächen als „Biotopverbund -herausragende Bedeutung-“ und „Biotopverbund -besondere Bedeutung-“ bewertet, so auch Piepersberg-West und große Teile von Fürkeltrath II. Besonders wichtig ist der Biotopverbund für wandernde Vögel und Fledertiere. So hieß es schon im Umweltbericht zu Piepersberg-Ost: „Das Plangebiet stellte jedoch eine Haupt-Flugroute (Verbindungsstrecke vom Schlafplatz zum Jagdplatz) vom südlichen Ittertal zur Wupper dar.“
– „Der Talraum ist künftig beidseits von gewerblichen Bauflächen eingegrenzt, die mit großvolumigen Gebäuden und Lichtimmissionen eine erhebliche Veränderung des Landschaftsbildcharakters des Talraums bedingen.“

Fürkeltrath II: Großflächige Veränderung des Landschaftsbildes,
massive Beeinträchtigung der ökologischen Landwirtschaft …

– „hohe ökologische Auswirkungen auf die Schutzgüter Boden, Pflanzen / Tiere“
– „Die Fläche besitzt eine erhöhte Empfindlichkeit aufgrund der Kuppenlage und der hiermit verbundenen großräumigen Sichtbarkeit. Diese bestehen vornehmlich von den gegenüberliegenden Hanglangen, eher weniger aus den bewaldeten Tallagen.
Großflächige Veränderung des Landschaftsbildcharakters durch großvolumige Gebäude und Lichtimmissionen. Einschränkung der Sichtbeziehungen. Hierbei auch kumulierende Wirkungen mit dem östlich anschließenden Gewerbegebiet Fürkeltrath I sowie auf Haaner Stadtgebiet.“
– „Von der vorgesehenen gewerblichen Entwicklung ist ein einzelner landwirtschaftlicher Hof innerhalb des Plangebietes betroffen – inwieweit der Hof integriert werden kann, obliegt einer konkreteren Planung.“
Zwar soll der hier gemeinte Kirberghof, der sich, urkundlich belegt, seit 1000 Jahren in Familienbesitz befindet, nach Verwaltungsempfehlung jetzt nicht mehr direkt mit Gewerbe überplant werden. Dieses soll aber nebenan entstehen, was sehr problematisch ist: Der Hof wird seit 20 Jahren ökologisch bewirtschaftet (BIOLAND-Betrieb). Es ist ein Lern-Bauernhof, der Grundschulen Kurse anbietet. Auf dem Hof wird ein neues Wirtschaftsmodell, die Solidarische Landwirtschaft, erprobt (siehe tacheles Nr. 61 + 63). Dazu kommt: Eine weitere Biobäuerin bewirtschaftet eine Pachtfläche auf Fürkeltrath II. Sie müsste dem Gewerbegebiet weichen.
– „Mittleres bis hohes Risiko einer Beeinträchtigung des im direkten Umfeld liegenden Holzer Baches insbesondere durch die Entwässerung. Mittleres Risiko einer Grundwasserverschmutzung aufgrund der teilflächigen zu erwartenden, geringen Grundwasserflurabstände in einem Gebiet ohne nennenswertes Grundwasservorkommen.“
– „Risiko für Störungen von Vorkommen planungsrelevanter Tierarten der ökologisch hochwertigeren Strukturen im Umfeld (insbesondere Holzer Bachtal, strukturreiche Gärten und Obstwiesen bei Gütchen).“

Hohe Erschließungskosten für Piepersberg-West und Fürkeltrath II
auch ökonomisch unsinnig

Unverständlich – und wohl der Einflussnahme der Wirtschaftsförderung geschuldet – sind die Empfehlungen des Gutachtens und der Stadtverwaltung für das weitere Vorgehen bei den Planungen zu Piepersberg-West und Fürkeltrath II: Trotz der benannten hohen ökologischen Auswirkungen soll der Besitz der Wirtschaftsförderung als Gewerbegebiet entwickelt werden. Dieser beträgt aber jeweils nur 45% des ursprünglichen Plangebietes. Die aufwändige Erschließung mit Geländeumformungen und Stützmauern für ebene Bauflächen, mit denen z.B. bei Fürkeltrath II Höhendifferenzen bis 12m terrassierend ausgeglichen werden müssen, lohnen sich nicht. Im von Stadtverwaltung und Wirtschaftsförderung erstellten Gutachten-Teil wird prognostiziert, dass 264 – 440 Beschäftigten auf Piepersberg-West arbeiten würden. Dass dies irrealer Wunschglaube ist, wird deutlich, wenn man weiß, dass die Stadt diese Fläche für die BHC-Halle mitten im Grünen ohne jede Anbindung an städtische Strukturen oder Nahverkehr nutzen will.
Im Gutachtenteil „Nachhaltigkeit“, der von der Stadtverwaltung und Wirtschaftsförderung erstellt wurde, werden zwar (schön gerechnete) Arbeitsplatz- und Gewerbesteuer-Erwartungen beschrieben. Nicht berechnet wird aber der Wertverlust durch den rasant fortschreitenden Flächenverbrauch sowie die Zerstörung von Naherholungsraum, Lebensqualität, Biologischer Vielfalt und Klima. Auch der Verlust von touristischer Attraktivität oder der Verlust von landwirtschaftlichen Flächen und -Arbeitsplätzen wird nicht berechnet.
Am 8.3. forderte der Landschaftsbeirat einstimmig „Abstand zu nehmen“ von den Planungen, „um dem Regionalen Grünzug Ittertal und der Ökologischen Bewertung Rechnung zu tragen“. Am 10.3. nahmen ca. 150 BürgerInnen an der Bürgerbeteiligung zum Gutachten teil. Sie wandten sich durchgängig gegen die Gewerbegebiets-Planungen. Die Auseinandersetzung um den Erhalt des Ittertals geht weiter, entscheidend werden die Voten von Stadtrat und Regionalrat im Herbst sein.

Dietmar Gaida