„Denn man geht unmöglich mit diesen Menschen um…”

 Interview mit Fatima Hartmann von Rom e.V. Köln

Seit der Wiedervereinigung hat sich die Situation der Roma und Sinti in der BRD dramatisch  verschlechtert  Wieder  wird  in Deutschland mit den alten Vorurteilen Hatz auf Minderheiten, besonders auf Roma, gemacht. Politiker und Zeitungen verbreiten eine Hetze aus Halbwahrheiten und Lügen gegen Minderheiten. Trauriger Höhepunkt war die Quasi-Abschaffung des Asylrechts. Die Roma werden bis heute als Minderheit von der Bundesregierung nicht anerkannt. Somit wird auch die Existenz der Sprache der Roma, das Romanes, geleugnet und muttersprachlicher Unterricht verweigert. Keine bundesdeutsche Regierung hat bislang versucht, den Völkermord an den Roma wiedergutzumachen. Asylsuchende Roma haben außerdem kaum eine Chance, langfristig in Deutschland zu leben. In dieser Situation sind Organisationen wie die Rom e.V. in Köln von großer Bedeutung, da Roma keine Lobby besitzen. Der Verein, der sich aus Roma und Deutschen zusammensetzt, kämpft auf politischem, sozialem und kulturellem Gebiet für ein menschenwürdiges Leben der Roma in der Bundesrepublik. Das folgende Interview wurde mit Fatima Hartmann, der Vorsitzenden der Rom e.V. geführt.

tacheles: Seit wann gibt es Rom e.V.?

Fatima: Die Rom e.V. besteht seit 8 Jahren. Zuvor waren wir eine Initiative, die sich aus Menschen zusammensetzte, deren Ziel es war, die Lage der Roma, die Zuflucht in Köln vor Bürgerkrieg und Verfolgung in den osteuropäischen Staaten suchten, zu verbessern. Die Romaflüchtlinge lebten nämlich in erbärmlichen Verhältnissen. Außerdem war die Stadt Köln und der deutsche Staat nur darauf aus, diese Menschen abzuschieben. Neben der Versorgung mit Kleidung, Decken und Nahrungsmitteln ging es deshalb vor allem um die Verhinderung der Abschiebung dieser Menschen. So wachten wir bei den Romafamilien oftmals Tag und Nacht. Wir waren so etwas wie ein Schutz für diese Menschen, d.h. wenn die Polizei kam, waren wir vor Ort und verhinderten mögliche Abschiebungen. Wir haben auch auf politischer Ebene immer wieder Demonstrationen organisiert und die Medien eingeschaltet. Durch Gespräche mit der SPD, den Grünen und der Stadt Köln haben wir schließlich erreicht, daß diese Romafamilien ein Bleiberecht bekamen. Damals entwickelten wir zudem ein Partnersystem, d.h. eine deutsche Familie solidarisiert sich mit einer Romafamilie und hilft ihr hier weiterzukommen.

tacheles: Was macht Rom e.V. sonst noch?

Fatima: Wir führen eine wöchentliche Rechtsberatung durch und begleiten die Romas zu den Behörden. Denn man geht unmöglich mit diesen Menschen um. Weil sie Probleme mit der deutschen Sprache haben und sie oftmals nicht lesen und schreiben können, meinen einige Beamte, mit den Romas willkürlich umgehen zu können. Als Organisation stehen wir jetzt hinter den Romas und können gegen den Beamten gegebenenfalls ein Disziplinarverfahren einleiten. Darüberhinaus bieten wir Alphabetisierungskurse an. Diese Arbeit wird ehrenamtlich gemacht.

tacheles: Worin liegt für Euch der Wert der Rechtsberatung?

Fatima: Roma werden als Asylbewerber in der BRD nicht anerkannt. Unsere Aufgabe liegt nun darin, mögliche Abschiebungen mit allen zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln zu unterbinden. Berühmt geworden ist der Fall Pamporowa. Hier wurde eine Romafrau abgeschoben, während ihre Familie in Deutschland zurückblieb. Diese Frau haben wir dann wieder illegal nach Deutschland geholt und den Fall in den Medien bekannt gemacht. Das Erschreckende daran war, daß die faschistische Deutsche Liga sich anmaßte, den Rechtsstaat zu unterstützen, indem sie ein Kopfgeld von 1.000 DM auf diese Frau aussetzte. Dieses Kopfgeld wurde dann von den Bundesfaschisten auf 10.000 DM erhöht. Die Frau lebt mit ihrer Familie heute noch im Untergrund. Fünf weitere illegal in Köln lebende Familien werden auch von uns betreut.
Wir leisten außerdem kulturelle Arbeit, in der wir uns nach außen hin vermitteln möchten. Viele denken: ,,Lustig ist das Zigeunerleben“, Zigeuner wollen wandern usw. Dem ist aber nicht so. Ca. 90% unserer Menschen sind seßhaft, möchten gerne arbeiten, möchten gerne, daß ihre Kinder zur Schuhe gehen. Wir versuchen, am Schicksal der Menschen zu zeigen, daß wir doch ein anderes Leben möchten als daß, was sich die Nicht-Roma vorstellen. Zu diesem Zweck geben wir eine Zeitung heraus, halten Referate oder stellen uns durch Theater und Musik in der Öffentlichkeit dar.

Ignaz Wrobel

Wer sind die Roma? – Heute leben in Europa zwischen 10 und 12 Millionen Roma. Die Roma stammen ursprünglich aus Indien. Ihre Sprache, das Romanes, ist bis heute mit den indischen Sprachen – zum Beispiel Hindi und Panjabi – eng verwandt. Die Roma sind Nachfahren tausender Familien, die in Zusammenhang mit den islamischen Invasionen Indiens im frühen Mittelalter aus ihrer Heimat verschleppt, schließlich als Sklaven in das byzantinische Reich gebracht wurden. Einigen Gruppen gelang die Flucht bereits im 14. Jahrhundert. Sie hießen sich in den verschiedenen Ländern West- und Nordeuropas nieder. Ihre Nachfahren sind unter anderen die Cinti in Deutschland. Als Cinti bezeichnet sich also diejenige Gruppe unter den Roma, die bereits seit etwa 600 Jahren in Deutschland lebt. Andere Gruppen von Roma, wie die Klederascha und Lovara, kamen in den Westen nach der endgültigen Abschaffung der Sklaverei im nördlichen Balkan, im Gebiet des heutigen Rumäniens, ab 1860. Die politischen und sozialen Probleme der Roma in den Ländern Südosteuropas gehen auf die Folgen der jahrhundertelangen Sklaverei zurück. Die Lage der Roma ist also gewissermaßen mit der Geschichte und Situation der Schwarzen in den USA vergleich-bar. Im Westen Europas wurden Roma seit ihrer Ankunft als Flüchtlinge von den Behörden und Institutionen der einzelnen Staaten verfolgt und vertrieben. Man hinderte sie immer daran, sich niederzulassen, erklärte sie dann zu „Nomaden”, die angeblich ein „Wanderleben” führen. Im Nationalsozialismus wurden Roma und Cinti zur Ausrottung verdammt und – ähnlich wie die Juden – zu Hunderttausenden in Konzentrationslager deportiert. Über eine halbe Million Roma und Cinti wurden in den Lagern ermordet. Nach dem Krieg blieben viele heimatlos, rechtlos und staatenlos. Viele von ihnen und deren Nachfahren sind heute noch von einer Abschiebung bedroht. Quelle:
VIA Magazin Nr.3 1994

Zur Gutscheinfrage

Eine kleine Erfolgsmeldung mit Wermutstropfen kann in der Gutscheinfrage berichtet werden: Im Juli beschloß der Sozialausschuß endlich die diskriminierende Gutscheinpraxis in Solingen weitgehend abzuschaffen. Dieser Beschluß, ist ein Ergebnis der Proteste von Flüchtlingsinitiativen. In dem von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschlossenen Antrag wurde jedoch wieder eine Hintertür eingebaut:
Das Sozialamt interpretiert ihn so, daß ihm gestattet sei, „in den begründeten Fällen von der oben vorgegebenen Form der Hilfegewährung abzuweichen, also statt Geldleistungen Gutscheine zu gewähren”. Voraussetzung dafür wäre, daß die Asylbewerberlnnen in Privatunterkünften oder in einem Haus heben, das nur von Menschen aus einer Nation bewohnt wird. Vorsicht Rückschlag: Die Bundesregierung will noch mehr an den Asylbewerberlnnen sparen. Sie beschloß am 24. Oktober 1995 eine Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Zum 1. Januar 1996 sollen alle Asylsuchenden und alle abgelehnten Asylbewerberlnnen, die aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden dürfen, unbefristet bis zum Abschluß ihres Asylverfahrens eine Kürzung ihrer Sozialhilfe auf 80 Prozent erleiden. Diese reduzierte Sozialhilfe soll durchweg nicht bar, sondern nur noch in Form von Sachleistungen gewährt werden. In Ausnahmefällen sollen die Flüchtlinge Warengutscheine erhalten.

Krabat

Kurz vor Redaktionsschluß erfuhren wir, daß ein Asylbewerber, der in einer Privatwohnung bei seinem Vater lebt, auch im November weiterhin Gutscheine erhält. Es zeigt sich, daß die Verwaltung jedes Schlupfloch nutzt, die diskriminierende Gutscheinregelung durch die Hintertür wieder einzuführen.