Die Flüchtlingshilfe Solingen e.V. erhält den Agenda 21-Preis

Auszug aus der Rede von Wolfgang Fudickar für den Preisträger

(…) Wir haben sie gesehen wie sie ankamen, mit leeren Augen, verängstigt, krank und traumatisiert und mit nichts Eigenem, außer ihrem Leben. Wir haben gesehen mit welcher Erwartung die Menschen, gespeist von falschen Versprechen, in der Hoffnung ein neues, anderes, besseres Leben beginnen zu können. Wir haben gesehen wie ernüchtert sie nach einiger Zeit, sich versuchten dem neuen Leben zu stellen.
Wir haben sie gesehen, die Menschen mit ihren Fähnchen, in München und auch anderswo in Deutschland, mit einem euphorischem, dem WM 2006 Sommermärchen gleichen Gefühl, dem hilfespendenden nach Mitmenschlichkeit aussehenden Sprung in die neue gemeinsame Zukunft.
Nur, die Flüchtlinge fuhren danach nicht wieder nach Hause in ihre Heimat, sondern kamen auch nach Solingen.
Wir haben kein Event gewünscht, sondern gemeinsam nach tatkräftigen Helfern gesucht und sie gefunden.

MitarbeiterInnen der Flüchtlingshilfe Solingen e.V. nach der Preisverleihung Foto: Flüchtlingshilfe Solingen e.V.

 

Was ist geblieben nach den ersten zwei Jahren?
· Unser Ehrenamt zeigt als eine Art gesellschaftliches Frühwarnsystem immer wieder Missstände auf. Leider konnten die bezahlten Fachkräfte in ihren festen Strukturen nur mit Verzögerung reagieren.
· Wir ärgern uns über die Selbstverständlichkeit, mit der verschiedene Arten von Gratisarbeit und Ehrenamt von allen Seiten eingefordert werden, versehen mit hehren Etiketten wie bürgerschaftliches Engagement. Das Ehrenamt wird mehr gebremst als gefördert.
· In der Politik setzt sich immer mehr die Meinung durch: warum sollen wir noch für notwendige Arbeiten bezahlen, wenn wir dafür auch Ehrenamtliche finden, die es umsonst machen und die wir am Ehrenamtstag mit einer Belobigung abspeisen können!
· Das Ehrenamt kann dem Staat zeigen, wo die Missstände der Gesellschaft liegen, ihm beharrlich einen Spiegel vorhalten und ihm immer wieder aufzeigen, wo er versagt.
· Wir haben 3,6 Millionen Unternehmen in Deutschland. Die Hälfte sind Kleinstbetriebe, die lassen wir mal raus. Wenn die andere Hälfte, die kleinen, mittleren, besonders aber die großen Betriebe in Solingen, jeweils einen Flüchtling einstellten, dann hätten wir ein Problem weniger.
· Vor Ort wird die Flüchtlingskrise sichtbar, nicht aber in den Berliner Koalitionsrunden.
· Wir, die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer können nicht alle Probleme einer verfehlten Politik lösen. Das muss sich die Politik klarmachen. Wann kommen die großen Politiker endlich mal an die Basis?
· Die meisten Ehrenamtlichen geben an, aus humanitären Gründen helfen zu wollen, jedoch wollen sie noch mehr bewegen. Sie wollen gesellschaftliche Verhältnisse mitgestalten und verbessern. Flüchtlingen zu helfen, ihnen zu zeigen, dass sie hier willkommen sind, ist dabei in gewissem Sinne zugleich eine gesellschaftliche Übung.
· Überall springen Bürger, sowie vielfach auch geflüchtete Menschen selber dort ein, wo stattliche Strukturen versagen. Mit ihrer zivilgesellschaftlichen Flüchtlingspolitik ‘von unten’ sind es eben diese Menschen, die in der Krise Europas eine lebendige Idee davon vermitteln, wofür das europäische Projekt stehen sollte: Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte.
· Es ist für uns sehr belastend, dass viele Asylbewerber, gleich aus welchem Land, in der Schwebe hängen, nicht wissen, ob sie ein vorübergehendes oder längeres Bleiberecht erhalten oder ihre Ablehnung bekommen oder abgeschoben werden. Man lebt auch als Betreuer in ständiger Angst. Ursprünglich haben wir uns engagiert, weil wir den Menschen helfen wollten. Heute wissen wir nicht mehr, ob wir diesem Land mit seiner kaltherzigen Politik noch beistehen sollen. Die Behörden wollen die Menschen loswerden und schrecken nicht davor zurück, sie in die Kriegsgebiete wieder abzuschieben.
· Wir haben hier ehrenamtliche Lehrer, die drei Stunden täglichen Deutschunterricht geben und viele Paten, die sich um die alltäglichen Belange unserer neuen Mitbürger kümmern. Aber aktuell hagelt es auch bei „unseren“ Neubürgern Ablehnungen des Bundesamtes für Migration (BAMF). Viele Bescheide lesen sich so, als ob über Schicksale mit Textbausteinen entschieden würde. Wenn eine Ablehnung kommt, übersetzen wir das mit den Betroffenen im Deutschunterricht oder die jeweiligen Paten übernehmen das. Für uns Helfer ist das ein enormer Spagat. Es ist für uns unerträglich zu sehen, was die eintreffenden Bescheide mit allen Beteiligten machen: den Flüchtlingen, deren Kindern und uns. Noch lange nicht auch nur ansatzweise vom Fluchttrauma erholt, bekommen sie nun eröffnet, dass ihnen, nach möglicher Abschlagung der Klage die Heimreise bevorsteht.
· Und was löst diese Entwicklung bei den hilfsbedürftigen Menschen und unseren Helfern aus?
· Wir fragen uns immer wieder, wie wir diese Entwicklungen unseren Kindern erklären. (…)