Hohe Investitionskosten, kurze Lebenszyklen und in der Regel rote Zahlen

Professorin Louise Bielzer zu Multifunktionsarenen und dem Solinger Plan, eine solche für das Bergische Land zu entwickeln

Dr. Louise Bielzer ist Professorin für internationales Event-Management an der Fachhochschule Heilbronn. Renate Bernhard hat sie interviewt:

Was halten Sie von der Idee einer Event-Arena für das Bergische Land in Solingen?
Multifunktionshallen sind mit der schwierigste Veranstaltungsimmobilien-typ, den man planen kann. In Deutschland schreiben sie in der Regel rote Zahlen. Sicher sind nur die hohen Investitionskosten, die Betriebskosten und die vergleichsweise kurzen Lebenszyklen.
Man muss sich deshalb im Voraus sehr genau darüber klarwerden, was man bereit ist, dafür zu bezahlen und ob man sich das leisten kann und will. Es bedarf hier eines detaillierten Nutzungskonzepts und einer genauen Risikoabschätzung, denn es ist nicht leicht, so eine Halle auch nur ansatzweise profitabel zu betreiben.
Wenn Konzept und Rahmenbedingungen stimmen, lässt sich im Betrieb womöglich eine schwarze Null erreichen. Darüber hinaus jedoch auch einen Bau zu refinanzieren, ist fast nicht möglich.
Es sind viele Kosten zu bedenken, für den Betrieb, die Instandhaltung und für Reinvestitionen, also die über die Jahre der Nutzung nötigen Renovierungen und Modernisierungen, für die man entsprechende Rückstellungen bilden muss. Die Bauunterhaltskosten werden bei Multifunktionsarenen je nach Nutzungsintensität mit 1-4% der ursprünglichen Bausumme veranschlagt.

Aktuelle Planung für die in Solingen, Piepersberg-West anvisierte Halle ist, dass die drei Städte Wuppertal, Solingen und Remscheid über die bergische Wirtschaftsförderung lediglich Vorarbeiten machen, die Halle dann ausschließlich privat betrieben wird. Was halten Sie von einer möglichen Partnerschaft der Städte mit einem privaten Investor?
Da ich keine Verträge kenne, kann ich nur grundsätzlich antworten: Public-Private Partnerships sind für die öffentlichen Partner immer mit einem Risiko verbunden. Wenn etwa ein privater Eigentümer und Betreiber einer Veranstaltungsimmobilie Insolvenz anmelden muss, kann es sein, dass das Gebäude an die Stadt zurückfällt und sie Versicherung, Unterhalt, Instandhaltung etc. für das Gebäude übernehmen muss. Das kann je nach Projekt mehrere hunderttausend Euro pro Jahr und mehr bedeuten.
Bei voll privatem Investment hat die Stadt zwar erst mal nichts damit zu tun. Aber im Fall einer Insolvenz wird es sehr schwierig sein, die Halle in eine andere Nutzung zu überführen. Das kann für eine Stadt dann ebenso zu einem Problem werden, wenn die Halle an prominent sichtbarer Stelle gebaut wurde.

In Solingen wird immer wieder argumentiert, die Stadt sei hoch verschuldet und brauche dringend neue Gewerbegebiete, um mehr Gewerbesteuern generieren zu können. Wie viele Arbeitsplätze könnten denn durch so eine Halle entstehen?
Das Personalkonzept hängt vom Betriebskonzept ab. Es gibt Hallen mit einem festen Stamm von 8-10 Mitarbeitern, die fast alle zentralen Funktionen, z. B. Buchführung, Marketing etc. ausgegliedert haben und sich auf Gastveranstaltungen fokussieren. Andere Hallen, die Eigenveranstaltungen entwickeln und die Gastronomie selbst betreiben, können auch um die 100 Arbeitsplätze oder mehr schaffen. Im Eventhallen-Management wird generell häufig mit externen Dienstleistern gearbeitet, und man kann nicht damit rechnen, dass das immer ortsansässige Firmen sind.

Die Städte Wuppertal, Solingen und Remscheid werden aktuell von drei SPD-Bürgermeistern regiert, die diese Eventhalle wohl gern als Vorzeigeprojekt ihrer überregionalen politischen Zusammenarbeit aus der Taufe heben würden. Das Wort „Leuchtturmprojekt“ ist schon gefallen.
Wenn die Städte sich das leisten können, ist es sehr interessant, Kultur und Sport in einer Eventhalle zu verbinden. Wenn man so etwas aber erfolgreich betreiben will, muss man vorab sehr genau untersuchen, was an diesem Standort möglich ist und was nicht.
Wichtig auch: der Veranstaltungsmarkt ist kann sich schnell verändern. Wenn es attraktive neue Veranstaltungsstätten im Umfeld gibt, kann es sein, dass das angedachte Konzept nicht mehr funktioniert. Man sollte also auch Worst Case Szenarien durchspielen, um alle Risiken vorab abzuschätzen.
Wenn man eine multifunktionale Halle will, in der kleine ebenso wie große Veranstaltungen einen Platz finden können, braucht man entsprechende bauliche Voraussetzungen, z.B. für flexibel verschiebbare Wände oder abzuhängende Ränge. Die führende Arena der Welt, was Multifunktionalität anbelangt, ist das Staples Center in Los Angeles. Das hat solche flexiblen Raumkonzepte und eine entsprechende technische Ausstattung – aber das Gebäude hat 400 Millionen Dollar gekostet.

Für wie realistisch halten Sie also die für die Solinger Multifunktionshalle anvisierten Baukosten? Die Rede ist von 15 Millionen Euro für 6000 Zuschauer. 4-5 Millonen sollen aus der Landesförderung für den Spitzensport kommen.
Es gibt keine Regel bezüglich der Baukosten. Es gibt Hallen für 10 Millionen. Die berühmten Hallen in Deutschland haben aber mehr als das Zehnfache gekostet, z.B. die Mercedes-Benz-Arena in Berlin 165 Millionen für 17.000 Zuschauer. Die Lanxess-Arena in Köln für maximal 20.000 Zuschauer: 153 Millionen. Lage, Standortgegebenheiten, Architektur, Multifunktionalität, technische Ausstattung und viele weitere Faktoren stehen in direkter Wechselwirkung mit den Baukosten.

Düsseldorf, Köln und das Ruhrgebiet sind nicht weit. Der Solinger Konzert- und Show-Experte Marc Kirchheim meint, es gäbe schon zu viel Angebot im Umfeld und Künstler, die in Oberhausen, Düsseldorf, Köln, Bochum oder Dortmund auftreten, tun das nicht auch noch in Solingen.
Ja, es ist viel entstanden in den vergangenen Jahren, es gibt sehr viel Wettbewerb. Auch alte Hallen wurden renoviert, wie etwa 2011 die Mitsubishi-Halle in Düsseldorf. Zusätzlich verschärft sich die Konkurrenz in verschiedenen Marktsegmenten (z. B. Tagungen) auch durch immer vielfältigere Special-Event-Locations.

Wenn Kulturveranstaltungen in der Eventhalle gemacht würden, wäre das nicht Konkurrenz für die bestehenden Theater im bergischen Land und würde ihnen schaden? Ähnliche Verdrängungswettbewerbe kann man ja im Einkaufsbereich beobachten, wo jetzt viel von Outlet-Centern geträumt wird. In Solingen gab es die Clemensgalerien, dann wurde mit dem Hofgarten ein weiteres Einkaufszentrum gebaut, das den Läden in den Clemensgalerien Konkurrenz machte. Ein Investor wollte dort dann ein Outletcenter eröffnen. Den noch verbliebenen Ladenbesitzern wurde gekündigt. Das groß angekündigte Outletcenter aber lässt auf sich warten – und die Clemensgalerien mitten in der Innenstadt stehen nun leer …
Nach Ihren Erfahrungen mit solchen Hallen: Was überwiegt? Kulturbeförderung oder kultureller Verdrängungswettbewerb?
Multifunktionsarenen sind nicht primär für klassische Kulturveranstaltungen geeignet, sondern mehr für die populäre Unterhaltung. Im Konzertbereich also eher Rock und Pop oder Comedy, eventuell auch Kabarett, aber das kommt dann auf den Künstler an. Das heißt es gibt Überschneidungen im Kulturbereich, aber nicht so sehr mit dem klassischem Schauspiel und Ballet. In den Arenen sind es Veranstaltungen mehr aus dem Unterhaltungsbereich: Sport, manchmal kann auch Volksmusik solche Hallen füllen, in einigen Fällen auch Ausstellungen und Messen.

Würden Schulklassen und Sportvereine von der neuen Eventhalle profitieren können?
Wenn man Spitzen- und Breitensport in einer Halle unterbringen will, braucht dann Umkleiden für die verschiedenen Nutzergruppen, also mehr Raum. Auch lassen die Betriebskosten einer Multifunktionsarena kaum mit Breitensportnutzung vereinbaren. Schulklassen unter der Bühnenbeleuchtung für den Spitzensport spielen zu lassen, wird sehr teuer. Wenn man für so unterschiedliche Nutzung gerüstet sein will, kostet das beim Bau mehr.

Hier ein Argument von Jörg Föste, Manager des Bergischen Handballclubs (BHC), warum er gerade Piepersberg-West so bevorzugt: Wenn man eine Firma als Geldgeber gewinnen will und die dann dafür mit ihrem Namen wirbt, sei die Sichtbarkeit der Halle sehr wichtig, ein Standort in der Nähe der Autobahn also „Gold wert“. Heißt das, dass die Anwohner dann zukünftig mit einer von weitem angestrahlten, hell erleuchteten Halle und mit noch mehr großen Werbeschildern an der Autobahn leben müssten? Wir haben an der A46 davon schon mehr als genug.
Veranstaltungsimmobilienstandorte mit guter Sichtbarkeit und hoher Frequenz sind für Sponsoren grundsätzlich attraktiv, das ist richtig. Wie sich Veranstaltungsimmobilien in ihrem direkten Umfeld auswirken, ist im Einzelfall verschieden und auch von der Architektur und Anmutung der Halle abhängig.

Abgesehen von der Beleuchtung, wie groß ist das Umfeld, in dem sich so eine Halle für die Anwohner bemerkbar macht, etwa durch Veranstaltungslärm oder zunehmenden Verkehr, wenn 6000 Menschen dort hinkommen und wieder wegfahren und es wie bei Piepersberg-West bis auf einen Bus keine direkte öffentliche Verkehrsanbindung gibt?
Die Herausforderung der verkehrlichen Anbindung haben viele Hallen. Meist wird dann ein veranstaltungsbezogener Pendelverkehr eingesetzt. In Innenstadtlagen, mit guter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, tritt das Problem nicht so auf.
Seit die Arenen größer wurden, entwickelte sich die Tendenz, in die Außengebiete zu gehen. Das ist vielfach auch von Vorteil für Anlieferung und Aufbau, was ebenfalls Verkehr erzeugt. Aber da ist dann kein ÖPNV-Netz. Eine gut geplante Verkehrsanbindung und die entsprechenden Parkplätze gehören also mit zur Planung für ein Hallenkonzept.
Licht- und Lärmbelastungen sind dann im Rahmen der Planungen Gegenstand vonLärm, Verkehrs- und Umweltgutachten, die die Auswirkungen abzuschätzen haben. All das kann aber erst zielgerichtet gemacht werden, wenn ein detailliertes Nutzungskonzept steht.

Blick auf Piepersberg West. Foto: Paul Bunse

Die Halle, die hier angedacht ist, soll in einem ökologisch wertvollen Gebiet im Ittertal gebaut werden. Piepersberg-West liegt im Bereich eines landesweiten Biotopverbundes mit besonderer Bedeutung. Der Bau der Halle würde die Natur des Tals an dieser Stelle auf circa 135 Meter einengen, also die Verbindung nahezu kappen – abgesehen davon, dass hier sehr fruchtbarer, für die regionale Ernährung wertvoller Boden zubetoniert würde.
Aus Ihren Erklärungen ist für mich herauszuhören, dass das Risiko, dass so eine Eventhalle in diesem Einzugsgebiet floppen könnte, sehr hoch ist. Wenn die Halle aber einmal gebaut, der Boden zubetoniert ist und das Gebäude steht, dann ist die Natur unwiederbringlich zerstört. Finden Sie, dass man das Risiko wirklich eingehen sollte, so eine Halle zu bauen? Ist der ökologische Preis, der Verlust an Natur und Naherholung dafür nicht viel zu hoch?
Natürlich kommt nichts an unberührte Natur ran und ein ökologisch wertvolles Gebiet ist sicherlich ein zentraler Faktor bezüglich der Standortqualität einer Stadt.
Es gibt auch innovative Veranstaltungsimmobilienkonzepte, die das Thema grün aufnehmen. In Bialystok, in Polen, zum Beispiel gibt es die so genannte „Grüne Oper“, ein Opernhaus, dessen Baukörper von Rasenflächen und Grünpflanzen bewachsen ist und das sich so gut in die umgebende Landschaft einfügt. Aber solche Konzepte stehen und fallen natürlich auch mit der Frage der Finanzen. Das wird Ihnen ein privater Investor wahrscheinlich nicht ohne Weiteres erfüllen.

Wir haben in Solingen bereits 50 ha Gewerbebrachen mit steigender Tendenz, weil die Abwanderung von Gewerbe im Rahmen der Globalisierung fortschreitet. Die Bürgerinitiative „Rettet das Ittertal“ fordert deshalb, diese Gebiete zu nutzen und ihnen neues Leben zu geben, statt die Natur des Ittertales weiter zu verbauen.
Die städtebauliche Gesamtentwicklung ist eine große Herausforderung. Ein privater Träger aber hat in der Regel andere Interessen. Für ihn steht die architektonische Aufwertung eines Stadtgebietes nicht im Vordergrund. Deshalb ist Frage des Konzeptes so relevant: Stellt die Stadt nur Grundstücke zur Verfügung oder wie ist sie darüber hinaus in das Projekt involviert?
Ich kenne Städte, die sagen: „Wir steigen selbst mit ein, dann haben wir Einfluss auf die gesamte Gestaltung des Projekts“, Städte, die fragen: „Wie passt die Halle zu uns? Wie binden wir sie in die Stadtentwicklung mit ein?“ Mich hat gewundert, dass so wenig kritisch in der Sitzung des Solinger Kulturausschusses nachgefragt wurde.
Die Stadt könnte die Eventarena als Standortfaktor nutzen, es könnte eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten geschaffen werden, aber da richtig einzusteigen ist aufwändig, man braucht detaillierte Planungen, viel Kommunikation, einen Überblick über alle Kosten im Lebenszyklus der Halle. Einen Handball-Ligisten zu haben ist etwas Tolles. Das kann eine Chance im Hallengeschäft sein. Dann ist aber die zentrale Frage: was für eine Halle wird da gebaut? Es gibt Veranstaltungsimmobilien, die architektonisch sehr attraktiv sind, die auch als städtebaulich wertvolle Architektur eigene Tourismusströme generieren und ein „Landmark“ der Stadt werden. Aber 15 Millionen Euro reichen dafür nicht aus.