Der 50–Millionen Coup

Solingen ist arm. Das weiß jeder. Und jeden Tag steht es auch in der Zeitung. Demgegenüber ist die Flebbe Filmtheater GmbH aus Hamburg reich. Schließlich erreichte dieses Unternehmen 1997 einen Umsatz von rund 200 Mio. DM, hat ca. 1.800 MitarbeiterInnen und verzeichnete im letzten Jahr ca. 12 Mio. KinobesucherInnen  in ihren Kinos. Die Kinos der Flebbe GmbH sind nicht einfach Kinos, sondern Multiplex–Kinos.

Was sind Multiplex–Kinos?

Multiplex–Kinos sind Kinobauten mit wenigstens sieben Sälen, mit speziellen Nebengeschäften sowie Parkplatzangebot. Solche Kinos werden in Deutschland seit Anfang der neunziger Jahre gebaut, und zwar in einem boom-artigen Rausch. Multiplex–Kinos haben rd. 2.000 Sitzplätze und kosten rd. 50 Mio. DM. Die Hamburger Fa. Flebbe ist z. Zt. Marktführer bei Multiplex–Kinos. Gegenwärtig unterhält sie 14 Multiplex–Kinocenter mit 133 Leinwänden und rund 37.000 Sitzplätzen. Weiter gehören zu dieser Gruppe 24 traditionelle Kinos, und allein 1998 werden sieben weitere Multiplex–Kinos eröffnet. Die Kinos der Fa. Flebbe laufen unter dem Markennamen CinemaxX und MaxX.

Kernstück des neuen Kinocenters auf dem Mühlenplatz wird ein Multiplex–Kino der Fa. Flebbe sein, und Ende 1999 soll es eröffnet werden. Es wird sieben Säle mit 1.600 Sitzplätzen haben. Im Lokalteil des ‘Solinger Tageblatt’ wurde dieses neue Multiplex-Kino vor kurzem hochgejubelt. Für das ‘Tageblatt’ gilt es als ein  „Clou“, daß das  Solinger CinemaxX Sonderveranstaltungen, Parties, eine Oscarnacht anbieten will. Gaukelt dieser Artikel dem Leser auch noch vor, daß sich die am Ort vorhandenen Kinos angesichts der neuen Großkonkurrenz in Programmkinos verwandeln werden, wird positiv darauf hingewiesen, daß auch ein Herr Flebbe mal als Programmkino–Betreiber angefangen habe, so erweist sich der gesamte Artikel als eine unkritische Aneinanderreihung von Zitaten des Pressesprechers der Flebbe GmbH.

Kritisch kann das ‘Solinger Tageblatt’ dort sein, wo es nicht um den Lokalteil geht. Auf Seite 3 – also dem Mantelteil, der nicht aus Solingen kommt–, kann man am 2. April 1998 genau das lesen, was den LokaljournalistInnen vor Ort bereits als kritisch gelten muß: „In Wuppertal schlossen seit der Eröffnung des CinemaxX der Flebbe–Gruppe sieben Kinos“. Und was sagt die Wissenschaft? Schon Anfang 1997 prognostizierte die Fachzeitschrift ‘Media Perspektiven’ deutliche Einbußen bei traditionellen Kinos und einen rigorosen Verdrängungswettbewerb der Multiplex–Betreiber untereinander.

50 Mio. kostet die Fa. Flebbe der Bau des Multiplex–Kinos auf dem Mühlenplatz. Die Stadt Solingen gibt für Verkehrsmaßnahmen und diverse Folgekosten der Mühlenplatzbebauung rd. 50 Mio. DM  aus. Die Stadt Solingen hat außerdem ein Budget–Loch von rd. 50 Mio. DM (und der Stadtkämmerer reicht Kürzungsvorschläge von der Musikschule über den botanischen Garten, die Notschlafstelle und die Eislaufhalle herum). Wie alt ist Tante Erna und wieviel Tage brauchen die Maurer, um die Mauer zwei Tage schneller abschließen zu können?

Welche Folgen hat all das für Solingen?

Wo sich eine vorauschauend gestaltete Kulturpolitik verabschiedet, könnte auf Solingen folgendes zukommen:

  1. Tod des ‘Mühlenhof’ – und des ‘Residenz’ – und des ‘Keller–Kinos’ von Coco Teuber als Folge eines rigorosen Verdrängungswettbewerbs.
  2. Abnahme der Filmvielfalt, da sich das neue Multiplex–Kino gnadenlos an Verleihfirmen ausgeliefert haben wird.
  3. Anfängliche Steigerung von KinozuschauerInnenzahlen mit einer Stagnation oder Abflachung nach eventuell drei Jahren; möglicherweise dann finanzielle Schwierigkeiten bei der Fa. Flebbe.
  4. Abnehmende Attraktivität des Solinger CinemaxX, da es bessere und konkurrierende Multiplex–Kinos in Köln (Constatin), Wuppertal (Flebbe) oder Düsseldorf gibt und geben wird (Ufa–Palast am Bahnhof; Ufa–Palast in Heerdt und UCI–Kinowelt im Hafen).
  5. Nach anfänglichen Lockpreisen Erhöhung der Eintrittspreise, und damit Verteuerung des Kinobesuchs.
  6. Verschiebung von Kinos als einem Ort der Begegnung mit Filmstoffen hin zu einem Filmort, wo es in erster Linie um den sog. Spaß, um Effekte, um Erlebnisse, um Dabeisein, um Popcorn, Cola und Fritten geht.

Schon gibt es eine Werbekooperation zwischen der Fa. Flebbe und McDonalds: Die offensichtlich auch Solingen bevorstehende McDonaldisierung der einheimischen Kinolandschaft will der Solinger Ortsverein der IG-Medien noch in diesem Jahr auf einer Podiumsdiskussion mit Kinoexperten diskutieren. Wir werden auf diese Veranstaltung noch gesondert hinweisen.

Jörg Becker