Interview mit der Initiative „Den Krieg überleben“

„Deutsche Beiträge“ zum friedlichen Zusammenleben aller Menschen auf der Welt veränden sich mit rasanter Geschwindigkeit in die Richtung der offen militärisch geführten Konfliktlösung und weg von humanitären Hilfen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Umgang mit den bosnischen Kriegsflüchtlingen. Kaum war der Beschluß zum Kampfeinsatz der Bundeswehr in Bosnien gefasst, wurde auch schon die Ausweisung der bosnischen Kriegsflüchtlinge beschlossen. Am 26.1.96 einigten sich die Landesinnenminister auf einen Stufenplan zur „Rückführung“ der Kriegsflüchtlinge in das ausgebombte und von geschürtem Hass zwischen den Volksgruppen bestimmte Bosnien. Danach müssen ab dem 1.Juli 96 rund 200 000, und damit die meisten der insgesamt etwa 320 000 in Deutschland lebenden bosnischen Kriegsflüchtlinge mit ihrer Ausweisung rechnen. Davon sind alleinstehende Erwachsene sowie Ehepaare ohne Kinder betroffen. Ausgenommen von der Abschiebung zum 1. Juli sind seelisch beeinträchtigte Personen, mindestens 65 Jahre alte Flüchtlinge ohne Familie in Bosnien, aber mit aufenthaltsberechtigten Verwandten in Deutschland, ZeugInnen in Kriegsverbrecherprozessen und Jugendliche, die hier kurz vor Abschluss ihrer Ausbildung stehen. Diese sollen dann in der zweiten Phase -Mitte nächsten Jahres- ausgewiesen werden. Geplant ist die Abschiebung aller bosnischen Kriegsfüchtlinge.

Am 8.296 beschloß der Bundestag zusätzlich mit den Stimmen von CDU und SPD eine weitere Verschärfung der Situation der hier lebenden Asylbewerberlnnen. Künftig erhalten diese für die Dauer des gesamten Asylverfahrens nur Sachleistungen oder 80% des Sozialhilfesatzes, Arztbesuche werden auf eine medizinische Notversorgung eingeschränkt. Während der Gesetzgeber immer neue Initiatven zur beschleunigten Abschiebung und zur Abschreckung von Flüchtlingen beschließt, gibt es auch in Solingen einige Gruppen die den Flüchtlingen helfen.
Die facheles führte ein Interview mit der Solinger Initiative für die Opfer des Krieges auf dem Balkan „Den Krieg überleben“. Die Initiative organisiert Hilfsgütertransporte nach Bosnien, Kroatien und Restjugoslawien und betreut hier lebende Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien u.a. bei deren oft schwierigen Auseinandersetzungen mit dem Solinger Ausländeramt

tacheles: Seit wann gibt es die Initiative und worin besteht Eure Arbeit?

Die Initative hat sich im September 1993 ge: gründet und besteht aus einer Gruppe von Menschen, die versuchen möchten, die Not der Opfer des Balkankriegeszulindern. Wirarbeitenin Kooperation mit dem Caritasverband, der uns organisatorisch unterstützt. Alle MitarbeiterInnen arbeiten auf ehrenamtlicher Basis und brachten Erfahrungen aus früheren Tätigkeiten mit. Zwei Mitarbeiter haben an freiwilligen Einsätzen in Flüchtlingslagern im ehemaligen Jugo slawien teilgenommen. Nachdem im Frühjahr 92 die Grenzen für bosnische Kriegsflüchtlinge geschlossen worden sind, haben sich bundesweit Initiativen gebildet, deren Ziel darin bestand, den Menschen einen Aufenthalt im sicheren Deutschland zu ermöglichen. Dies erwies sich allerdings als eine sehr schwierige Aufgabe, so daß sich die Arbeit im Laufe der Jahre verlagerte. Eine der Hauptaufgaben ist es nun, den Opfern des Krieges hier in Deutschland behilfich zu sein. Wir bieten öffentliche Beratungen in den Räumen der Caritas an, laden ReferentInnenzubestimmten Fragestellungen wie ArbeitsSozial- und Ausländerrechten. Darüberhinaus organisiert die Initiative in Zusammenarbeit mit dem Caritasverband Solingen Hilfstransporte für Flüchtlinge und Vertriebene im ehemaligen Jugoslawien. Wir unterstützen in drei Ländern des ehemaligen Jugoslawien, die völkerrechtlich anerkannt worden sind, jeweils ein Projekt. Dabei beziehen wir Positionen für die Opfer und nicht für die Politik des jeweiligen Landes.

tacheles: Was sind das für Projekte?

In Serbien unterstützen wir ein Projekt, das vergwaltigten Frauen, gleich welcher Nationaltät, Hilfe anbietet. Diese Arbeit wird finanziell unterstützt. Einen Teil der gesammelten Hilfsgütergeht an Gorns Vakufin Bosnien, um dort der teils muslimischen, teils kroatischen Bevölke rung beim gemeinsamen Aufbau der Stadt behilflich zu sein. Die andere Hälfte der Güter wird in die Region Karlovac (Kroatien gebracht.

tacheles: Wieviele Mitglieder hat die Initiative?

Etwa 20 Personen sind aktive Mitglieder wobei bei Bedarf ein wesentlich größerer Personenkreis ansprechbar ist, der sich zu einem sehr großen Teil auch aus Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien zusammensetzt

tacheles: Welche Nationalitäten betreut Ihr?

Unsere Arbeit ist nicht auf bestimmte Nationaltäten beschränkt. Es wird immer wieder, gerade durch die Darstellung in den Medien vergessen, daß mehr als drei Nationalitäten von dem Krieg betroffen sind. Wir setzen uns für die Opfer des Krieges auf dem Balkan ein.

tacheles: Welche Erfahrungen habt Ihr mit den MitarbeiterInnen des Ausländer- und Sozialamtes gemacht?

Das Verhalten der SachbearbeiterInnen dieser Ämter ist sehr unterschiedlich. Es gibt nette und hilfsbereite MitabeiterInnen aber auch sehr unangenehme, die recht wenig Verständnis für die vom Krieg betroffenen Menschen aufbringen. Es gibt Fälle, da werden die KlientInnen weder gegrüßt noch wird Ihnen ein Stuhl angeboten. Teilweise wird sehr unhöflich diskutiert oder sogar die Tür gewiesen. Manchmal ähneln die Methoden und Fragen der Sachbearbeiterinnen denen der Polizei. Es ist vorgekommen, daß der Paß einer Übersetzerin fotokopiert wurde, um hinterher feststellen zu können, wer nun über den speziellen Fall Bescheid weiß. Teilweise merkt man den MitarbeiterInnen aber auch an, daß sie angesichts der geschilderten Erlebnisse Mühe haben, ihre Fassung zu bewahren.

tacheles: Könnt Ihr uns konkrete Fälle schildern?

Ein Mitarbeiter des Sozialamtes drängte einen Flüchtling, der eine Hirnoperation hinter sich hatte den obligatorischen Deutschkurs zu absolvieren, obwohl dieser Mann kaum noch der egenen Sprache mächtig war. Er scheute sich nicht einmal mit dem Entzug der Sozialhilfe zu drohen. Von solchen Schwierigkeiten sind vor allem die in Heimen wohnenden Flüchtlinge betroffen. Menschen, die privat untergebracht sind scheinen von solchen Problemen ausgenommen zu sein.

tacheles: Wie lange werden die Flüchtlinge geduldet?

Die meisten bosnischen Flüchtlinge bekommen eine Duldung die bedeutet, daß die drohende Abschiebung für den Zeitraum eben dieser Duldungausgesetztwird. Die Duldungdauertinder Regel sechs Monate, aber nur unter der Voraussetzung, daß ein bosnischer Paß vorgelegt wird, ansonsten wird die Duldung wochen- oder monatsweise ausgesprochen. Der Paß ist zudem sehr teuer, er kostet ca. DM400 pro Person und diese Kosten werden nicht immer vom Sozialamtübernommen. Da sich nicht jeder Flüchtling mit dem hinter diesem Paß stehenden Staat identifizieren kann, besitzen einige Flüchtlinge diese Papiere nicht.

tacheles: Warum verlangen die deutschen Beörden die Vorlage des bosnischen Paß?

Es geht wahrscheinlich darum, ganz klar festzustellen, wer Serbe/in, Kroate/in etc ist. Also zu klären, wer überhaupt ein Anrecht hat hier zu sein.

tacheles: Erhalten die Flüchtlinge Gutscheine?

Normalerweise gibt es keine Gutscheine mehr. Wenn dem/der Sachbearbeitern allerdings irgendetwas suspekt erscheint, so liegt die Ausgabe von Gutscheinen offensichtlich im Ermessen des/der Mitarbeiter(s)/in. In Einzelfällen gelten die Gutscheine nur für die nächsten zwei oder drei Tage, was sachlich nicht nachzuvollziehen ist, da die Duldung ja meist einen längeren Zeitaum beinhaltet.

tacheles: Wie beurteilt Ihr die Situation der Flüchtlingsheime?

Die Zustände in den Heimen sind sehr unterschiedlich. Die Heime auf der Hoch- und Freigrathstraße sind sehr gepflegt. Das Heim auf der Haanerstraße dagegen ist viel zu klein und feucht. Auf der Nippesstraße waren die Zustände vor einem Jahr katastrophal. Zehn Familien haben sich dort eine Küche geteilt.

tacheles. Die Bundesregierung hat geplant, die Duldung auslaufen zu lassen. Die ersten Flüchinge sollen im Juli abgeschoben werden, und zwar der Personenkreis, der keine eigenen Kinder hier hat. Wie steht Ihr dazu?

Es ist notwendig, daß die Orte, in die abgeschoben wird, genau unter die Lupe genommen werden. Auch Alleinstehende können nicht ohne weiteres abgeschoben werden. Die Kriegserlebnisse sind zum Teil so hart, daß die Flüchtlinge zumindest nicht ohne Begleitung und Hilfe zurück wollen. Ein Flüchtling mit Kriegstrauma teilte uns mit, wenn er zurück müsse, werde er sich erschiessen. Zu bedenken ist außerdem, daß die Hälfte der derzeitigen Einwohnerinnen Bosnien-Herzegowinas Flüchtlinge im eigenen Lande sind.

tacheles: Wie geht ihr mit dieser Situation um?

Wir versuchen, die Flüchtlinge nicht mit ihrer Angst alleine zu lassen, wir begleiten sie durch Gespräche und versuchen Informationen über die Situation in den Heimatgebieten zu bekommen. Bei sehr traumatisierten Personen ziehen wir einen hier selbst als Flüchtling lebenden Neuropsychotherapeuten hinzu. Obwohl deutsche SozialarbeiterInnen mit den genannten Problemen besonders sprachlich, völlig überfordert sind, wird diesem Neuropsychotherapeuten keine Arbeit in seinem Bereich ermöglicht.

tacheles: Sind momentan schon Abschiebungen erfolgt?

Ja, nach Kroatien sind Abschiebungen erfolgt, da Kroatien als sicheres Drittland gilt. Desweiteren sind nicht nur BosnierInnen von Abschiebungen bedroht, sondern vor allem Menschen aus dem Kosovo und die Romaflüchtlinge. In den Medien wird die Lage dieser auch auf dem Balkan ebenden Menschengruppen stark vernachlässigt.

tacheles: Welche Forderungen habt Ihr an die Solinger Kommunalpolitik?

Wir fordern die Stadt auf, daß sie bezüglich der Rückführung, genau hinschaut, wer zurück geschickt werden kann und wer nicht. Desweiteren wünschen wir uns für die MitarbeiterInnen der Behörden eine gezielte Schulung, damit diese den oftmals sehr schwierigen Situationen besser gewachsen sind.

Rübe, Krabat und Lillebror