Nicht nur der gewählte Titel, unter dem Werner Böwing seine Lebenserinnerungen aufschrieb, hebt sich wohltuend ab von dem ganzen Selbstbeweihräucherungs-Narzismus vieler politischen Biographieschreiber.
Auf 350 Seiten schildert da jemand, der 1928 geboren wurde und nach dem Krieg als Antimillitarist meint die ”Welt verändern” zu müssen, wie ihm als Sozialdemokrat und Gewerkschaftsfunktionär von der Nomenklatura in seiner eigenen politischen Heimat Grenzen gesetzt werden. Dabei brachte der langjährige Sekretär der Solinger Baugewerkschaft Bilder-buchvoraussetzungen für eine vielversprechende Karriere mit sich: Demokratie und politische Bildung erfuhr er erstmalig in englischer Kriegsgefangenschaft. In seine Heimat – die sich inzwischen Ostzone nannte – zurückgekehrt, wollte er mitarbeiten an einem neuen Deutschland. Als hoffnungsvoller Nachwuchs-FDJ‘ler rebelliert er gegen die Rechthaberei engstirniger SED-Funktionäre und sieht sich gezwungen in den ”Westen” zu flüchten. Als Zimmerer lernt er die rauhe, aber herzliche Arbeitswelt auf den Baustellen des pränatalen Wirtschaftswunder-Deutschlands kennen. Da er sich nicht als weiter-bildungsresistent betrachtet, studiert er auf der ‘Akademie der Arbeit’ in Frankfurt unter anderem bei Professoren wie Wolfgang Abendroth und Nell-Breuning. Seine politische ”Feuertaufe” besteht er als ”Kommissar” in Wuppertal, wo er von seiner Gewerkschaft, dessen krankhaft antikommunistischer Vorsitzender damals Georg Leber war, dazu mißbraucht wurde, von der Führung abgesetzte kommunistische Funktionäre abzulösen. Obwohl er sich in dieser Sache ”ziemlich mies fühlt”, erfüllt er den Auftrag seiner Organisation. Als Leber ihn jedoch auffordert: ”Bau dir hier dein Nest,” erwidert er ihm: ”In diesem Nest sind zu viele Stacheln, ich möchte dort arbeiten, wo ich demokratisch gewählt worden bin.” Böwing kandidiert gemeinsam mit Johannes Rau um den Vorsitz der Wuppertaler Jungsozialisten. Rau wurde gewählt, weil Werner den taktischen Fehler begann seine Wahl mit der Bedingung zu verknüpfen, die Gründung einer Aktionsgemeinschaft gegen die Wiederbewaffnung zu unterstützen. Dabei standen Rau, der von der von der pazifistisch orientierten Bewegung des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann – ”Gesamtdeutsche Volkspartei”- kam, und Böwing damals diesbezüglich auf ähnlichen Positionen. Und Johannes Rau war, ohne daß er etwas dafür konnte, nicht mit dem Makel belastet, mit der Ronsdorfer Naturfreundejugend zusammen zu arbeiten, die als kommunistisch ”unterwandert” galt.
Der NRW-Ministerpräsident hat übrigens ein Vorwort zu diesem Buch geschrieben. Ebenso Klaus Wiesehügel, der junge Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, der dem allzu kritischen Kollegen Böwing bestätigt, ”daß es die IG-Bau-Steine-Erden zu seiner Zeit nicht für richtig hielt, ihn mit höheren Aufgaben zu betrauen … (weil er ) nicht mehrheitsfähig war.” Wer Werners Kapitel über den zweimonatigen Streik der Fliesenleger 1967 liest, der übrigens in der offiziellen Geschichte der Bau-Gewerkschaft kaum Beachtung findet, müßte Wiesehügels kritische Bemerkung einordnen können.
Um den Inhalt des Versuches, mit der Luftpumpe die Windrichtung zu verändern nicht vollständig zu skizzieren, empfehle ich das Buch selbst zu lesen. Es lohnt sich, unter anderem auch, weil es eine ausführliche Darstellung der Friedensbewegung – bis in die 90 er Jahre hinein – enthält.
Die Lebenserinnerungen von Werner Böwing sind für DM 20.- u.a. erhältlich im örtlichen Solinger Buchhandel und über die Solinger Geschichtswerkstatt.