Sozialhilfekürzung bleibt als Drohung im Beschäftigungsprogramm

Die tacheles berichtete in der letzten Ausgabe unter dem Titel ”Zwangsarbeit für SozialhilfeempfängerInnen in Solingen?” Leider können wir das Fragezeichen streichen. Am 12.2.98 beschloß der Rat mit den Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung von CDU und FDP das Programm ”Beschäftigungsförderung in Solingen”. Nach dem Konzept soll mit Lohnzuschüssen seitens der Stadt die Beschäftigung von SozialhilfeempfängerInnnen gefördert werden. Dies könnte eine sinnvolle Idee sein. Leider wird nach wie vor denjenigen, die mit der angebotenen (nach dem Konzept auch untertariflich bezahlten) Arbeit nicht einverstanden sind, die Kürzung bzw. der Entzug der Sozialhilfe angedroht. War der Protest u.a. auch der tacheles also ganz umsonst? Nicht ganz.

Nach anfänglicher Zustimmung zum Konzept hatten die Grünen am 19.11. beschlossen, daß alle Androhungen von Zwangsmaßnahmen aus der Vorlage gestrichen werden sollten. Die Verhandlungen darüber mit der SPD erbrachten jedoch nur einen lauen Kompromiß: Statt des Satzes ”In solchen Fällen sind durch die Kürzung oder auch die Einstellung der Sozialhilfe die HilfsempfängerInnen zur Arbeitsaufnahme anzuhalten” wude folgender Satz eingefügt: ”In solchen Fällen sind die HilfsempfängerInnen zur Arbeitsaufnahme anzuhalten. Bei der Anwendung des §25 BSHG darf die Zielrichtung allerdings nicht darauf gerichtet sein, jenseits seriöser und realisierbarer Beschäftigungsmöglichkeiten SozialhilfebezieherInnen als ‘arbeitsunwillig’ einzustufen mit dem finanziellen Ziel, ihnen den Sozialhilfebezug kürzen oder gar streichen zu können. Da eine beträchtliche Zahl von Menschen durchaus ein eigenes Interesse hat, durch Arbeitsangebote aus der Sozialhilfe zu gelangen, sollen diese die Zielgruppe aller Bemühungen sein.” Nach wie vor ist jedoch folgende Passage in der beschlossenen Vorlage enthalten: Tritt der Sozialhilfeempfänger die ihm zugewiesene Arbeit nicht an, ”…wird diese Tatsache dem Sachgebiet Hilfe zum Lebensunterhalt gemeldet, das dann die entsprechenden Maßnahmen, wie z.B. Kürzung der Sozialhilfe etc., einleitet.”

Was soll man davon halten? Durch das Programm zur Zahlung von Lohnzuschüssen statt Sozialhilfe wird es in größerem Ausmaß als heute möglich sein, SozialhilfeempfägerInnen eine Arbeit zuzuweisen. Sind diese mit der Art oder der Bezahlung der Arbeit nicht einverstanden, kann ihnen das Sozialamt nach dem §25 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) die Sozialhilfe kürzen. Also kann auch die heute in Solingen schon in Einzelfällen praktizierte Kürzung  oder Androhung der Kürzung der Sozialhilfe öfter als bisher erfolgen. Den Mitarbei-terInnen des Sozialamtes wird in der Vorlage nun einerseits gesagt, die Zielrichtung sollte nicht sein, möglichst viele Sozialhilfebezie-herInnen als arbeitsunwillig einzustufen und ihnen ihre Sozialhilfe, die ja das Lebensminimum darstellt, zu kürzen. Andererseits fordert die Vorlage einen Automatismus: Tritt der Sozial-hilfeempänger die ihm zugewiesene Arbeit nicht an, wird die Kürzung der Sozialhilfe eingeleitet. Zugleich wird als Ziel der ganzen Veranstaltung die Einsparung von Sozial-hilfekosten benannt. Inzwischen wurde die Forderung des Stadtkämmerers bekannt, den Beteiligten dieses Programms und der ABM-Maßnahmen nur noch 80% des Tariflohnes zu bezahlen.

Einen weiteren Zusatz enthält die Vorlage: Legt eine Sozialhilfeempängerin gegen die Kürzung der Sozialhilfe Widerspruch ein, so soll die Beteiligung sozial erfahrener Personen erfolgen. Außerdem soll die Verwaltung dem Ausschuß regelmäßig über die Anwendung der Kürzung der Sozialhilfe berichten.

Daß ausgerechnet ”Rot-Grün” dieses Konzept beschließt und, statt der Verwaltung ausdrücklich die Kürzung der Sozialhilfe zu untersagen, einen Automatismus zur Kürzung der Sozialhilfe einbaut, ist schon vielsagend! Daß die CDU vergeblich noch eine Verschärfung des Programms beantragte (sie forderte gemeinnützige Tätigkeiten für SozialhilfeempfängerInnen —- sogenannte 2,- DM/Stunde-Jobs — und bei Weigerung die Sozialhilfe im Extremfall völlig einzustellen) macht die Sache nicht besser. Dies wirft nur ein bezeichnendes Licht darauf, wie in Zeiten der massivenArbeitslosigkeit PolitikerInnen ihre autoritären Phantasien an den Schwächsten im System ausleben wollen.

Die tacheles wird an dem Thema weiter dran bleiben. Wenn wir von Betroffenen oder Freunden Informationen oder Artikel erhalten, die über die Androhung oder tatsächliche Kürzung von Sozialhilfe berichten, werden wir dies selbstverständlich (anonymisiert) zum Thema der tacheles machen. Nur Mut — laßt Euch nichts gefallen!

Dietmar Gaida