Die Mißachtung der eigenen Geschichte und der eigenen Möglichkeiten der Stadt ist eines der strukturierenden Momente der neoliberalen Veränderung der Stadt Solingen. Was im Mühlenhof-Projekt seinen Höhepunkt erreicht, hat doch eine lange Entwicklung:
Die Verachtung der Hervorbringungen der Menschen, die hier gelebt haben drückte sich schon im Umgang der Stadt in den 70ern und 80ern mit den Resten der Fachwerkhauskultur aus. Diese ”Hucken” wurden in einer beispiellosen Abrißpolitik in Bauschutt verwandelt, für Straßenverbreiterung-en, Straßenneu-bauten, ”Sanierungen”, Verkäufe oder einfach weil man sie so lange mit offenen Dachfenstern hatte verfallen lassen, bis die Abrißnotwendigkeit scheinbar unabweisbar wurde. Dabei wurde nicht nur die ehemalige Schirmfabrik aus dem Jahre 1829 an der Altenhofer Str. mit einer der ersten Dampf-maschinenproduktionen in Deutschland dem Erdboden gleichgemacht. Das Ausmaß der Abrisse entsprang einem Denken, das mit den alten als beengend empfundenen Lebensverhältnissen ein für alle mal aufräumen wollte.
Beim Mühlenhof-Projekt wird es am deutlichsten. Eine Stadtplanung, die sich vorrangig dem Ziel verschreibt, Investoren von ausserhalb in die Stadt zu locken, nimmt natürlich keine Rücksicht auf die Interessen derjenigen, die diesen Platz als Kommu-nikationsort ohne Konsumzwang nutzen. Im Gegenteil, Obdachlose, schachspielende Rentner, streetballspielende Jugendliche, taubenfütternde alte Menschen und Junks stören das urbane Lebensgefühl in den gewünschten inszenierten Konsumwelten.
Doch nicht nur die Armen, auch die vorhandenen Einzelhändler sind in der schönen neuen Glitzerwelt keineswegs eingeplant: Die ”neue Mitte Solingens” schickt sich an, auch die Geschäftswelt neu zu ordnen: Ca. 14 000 m² neuer Geschäftsfläche im Solinger Stadtzentrum werden wohl kaum von neuen KundInnen genutzt werden, hier wird ein strammer Verdrängungswettbewerb einsetzen: Das Multiplexkino der Flebbe-Kinokette wird absehbar dem Mühlenhof- und dem Residenzkino den Garaus machen, der geplante Bestseller-Büchermarkt in den Clemens-Galerien wird dem vorhandenen Solinger Buchhandel Umsatzeinbußen verschaffen. Herr Doerr, der Vertreter des Investors der Clemens-Galerien erklärte, daß die Anfragen für Geschäftsräume etwa zur Hälfte von bundesweit tätigen Filialisten kommen, während die andere Hälfte Einzelhändler aus Solingen und Umgebung sind. Diejenigen Einzelhändler, die es nicht schaffen, sich ein Stück vom Glitzerpalast zu teuren Neubaumieten zu sichern, werden künftig noch mehr abgeschlagen sein: So auf der Unteren Hauptstraße, dem Graf-Wilhelm-Platz … Gewinner dieser Planung sind in jedem Fall bundes- und weltweite Großkonzerne, die kein Interesse an selbstständigen Entscheidungen vor Ort haben.
Auch die Entscheidung, für den OBI-Konzern, der am Mangenberg einen Groß-Baumarkt mit 16 000 m² Verkaufsfäche errichten will, knappes Gewerbe- und Industriegebiet in Flächen für den Einzelhandel umzuwandeln, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Planungspolitik der Verantwortlichen: Gegen den erbitterten Protest der zusammengeschlossenen BetreiberInnen vorhandener Handwerksbedarfgeschäfte und Baumärkte wird so die Verkaufsfläche des Baumarktsektors auf das Doppelte des bundesweiten Durchschnitts gebracht. Pleiten der Kleineren sind hier von vornherein mit eingeplant. Der Solinger Einzelhandelsverband spielt bei beiden Projekten übrigens eine unrühmliche Rolle. Die entscheidenden Verteter scheinen voll eingebunden in den Konsens der Modernisierer.
Das Programm zur Modernisierung der Stadt = Zurichtung auf die Bedürfnisse der Großkonzerne kann nicht viel mit kommunaler Demokratie anfangen, spielen dort die Interessen der Menschen vor Ort doch noch eine zu große Rolle. Also werden demokratische Hindernisse abgebaut, die Planungen der Unternehmen sollen nicht von zuviel politischem Einfluß und Bürgerbeteiligung gestört werden. So ist geplant, die städtischen Gewerbeflächen an eine Wirtschaftsförderungs-GmbH zu übertragen, in der die Verteter der großen Wirtschaftsverbände die entscheidende Stimme haben.
Auch die Bezirksvertretungen, die als vor Ort tagende Gremien noch einen etwas stärkeren Kontakt zur Bevölkerung haben, sollen umstrukturiert werden. Die Auflösung von Burg und Merscheid und die Umverteilung zu einwohnermäßig etwa gleich großen BVs mißachtet unter dem Vorwand der Geldeinsparung und der Vereinfachung für die Verwaltung bewußt die vorhandenen Strukturen. Solingen ist eine Stadt, in der das Stadtteildenken stärker als in vielen vergleichbaren Städten ausgeprägt ist. Dies führt einerseits zum Gedeihen der konservativ-bürgerlich strukturierten Heimatvereine, zugleich schafft es aber auch ein Gefühl der Teilhaberschaft und der Verantwortlichkeit der Umgebung gegenüber.
Was kommt beim Modernisierungsprogramm heraus? Eine stromlinienförmige Stadt, die versucht, den neoliberalen Zug auf keinen Fall zu verpassen. Dafür würde sie sich gerne den großen Konzernen verkaufen, wenn die denn kämen.
Doch stattdessen kommt vorerst einmal Mc Donalds: Nicht nur ein Mc Drive am Frankfurter Damm, auch einer am heimlichen Solinger Hauptbahnhof Ohligs. Bringt das Arbeitsplätze? Kommt irgendein Mensch zusätzlich in die Stadt Solingen, um im Solinger Mc Drive zu konsumieren?
Die Kaufkraft wird doch wohl bei der vorhandenen Pommesbuden-, Pizza- und türkischen Imbißkultur abgezogen.
Diese Geschichte könnte noch in vielen Varianten erzählt werden, es kommt darauf an, sie zu verändern!
Dietmar Gaida