Lee Perry and „the vampire“

Reggae-Weltstar trat erneut im Get auf

LEE „SCRATCH“ PERRY hat bei einigen der legendären Ur-Songs von BOB MARLEY & THE WAILERS (u.a. auf den Alben “Catch A Fire” und “Burnin‘”) als Autor mitgewirkt und die meisten der Songs auch produziert, bevor das Werk unter die Fittiche des britischen Pop-Magnaten CHRIS BLACKWELL geriet und zu Weltruhm gelangte. Jene Songs werden weltweit noch heute jeden Tag zigtausendfach gespielt, ihr artistischer Spirit, der den klassischen Reggae-Sound maßgeblich mitgeprägt hat, zeigt so gut wie keine Verschleißerscheinungen.

Schon Anfang der 70er Jahre verschwand der Beitrag des Lee Perry als Autor und Produzent von den Labels der von Blackwell für ISLAND RECORDS nachproduzierten Marley-LPs. Dagegen war die gesamte LP “Rasta Revolution” von TROJAN RECORDS (mit Songs aus 1972 – 74) “produced by Lee Perry”. Raub- und Billignachdrucke nennen Lee Perry als Autor z. B. von “Sun Is Shining”, “Small Axe”, “Duppy Conqueror”, “Rebel’s Hop”  oder als Co-Autor von “Fussing And Fighting”.

Das riesige Vermögen, das ihm angesichts der weltweiten Erfolge hätte erwachsen müssen, hat er nicht. Seit über einem Jahrzehnt laufen erbitterte Rechtsstreite um die Tantiemen aus den Wailers-Songs – so beklagen sich die WAILERS bzw. die Erben der ermordeten Bandmitglieder Peter Tosh und Carlton Barrett, daß RITA MARLEY ihnen nichts abgibt. Perrys Optionen scheinen in dem Zusammenhang nur mehr wie das fünfte Rad.am Wagen. Der Split zwischen Perry und den Wailers war spätestens dann besiegelt, als Marley und die Wailers den von dem “vampire” (Perry über Blackwell) inszenierten Abfuck Lee Perrys billigten, mittrugen und davon profitierten.

Tröstlich für Perry, daß sein Werk als Produzent auch über die Marley-Songs hinaus als international erstklassig eingestuft wird. Stellvertretend für eine wahre Kette von Meisterwerken seien hier nur das legendäre “Double Seven”-Album von den Upsetters, Max Romeos “War in A Babylon” und Junior Murvins “Police And Thieves” genannt. Derlei soundkreative Volltreffer in fast beängstigender Beständigkeit hervorbringend, wurde Lee Perry schon während der 70er Jahre zu einer Ikone der Popmusik. Mit Jamaika, dem Land, wo seine weltberühmte Musik entstanden ist und in dem die ersten 50 Jahre seines Lebens verbracht hat, scheint er heute wenig am Hut zu haben. Es fällt auf, daß er seit Jahren nicht mehr mit jamaikanischen Bands aufgetreten ist – bekanntlich tourte Lee Perry ja auch zweimal mit SOON COME aus Solingen. Alle Rastas, sagt er, können ihm gestohlen bleiben. Seit vielen Jahren lebt er, mit einer Eidgenossin verheiratet, in der Schweiz.

Daß es mit dem Konzert am 20.8.97 im Getaway erneut gelang, den Großmeister auf die Bühne in der Kottendorfer Straße zu holen, spricht für den guten Namen, den sich das “Get” als Veranstaltungsort im Laufe der Jahre erworben hat. Ca. 300 Zuhörer konnten sich davon überzeugen, daß der über 60jährige Lee Perry auch mit seiner neueren Musik den Kopf nicht in den Sand zu stecken braucht. Großen Anteil am Erfolg des Konzerts hatte die Begleit-Band “The Robotiks” (drums, bass, 2 synthies), die sich auch von den berühmten spontanen Eskapaden des Meisters nicht irritieren ließ. Lee Perrys inspirative Bühnen-Show inkl. hochstimmungsgeladener Zugaben wurde vom Publikum mit frenetischem Pfeifen, Heulen und Quieken abgefeiert.

Übrigens – der Gitarrist, den das Tageblatt (vgl. Artikel vom 22. 8. 97) auf der Bühne gesichtet haben wollte, weilte während des Getaway-Konzertes in England. Perry hatte ihn nicht mit auf Tour nehmen wollen: Der spiele ihm zu sehr “jamaican style”.

Justus Franz