Solinger Brandanschlag: 4 Jahre danach

Fortgesetzte Schande

Am 29. Mai jährt sich zum vierten Mal der Tag, an dem fünf türkische Frauen und Mädchen bei einem rassistischen Mordanschlag auf der Unteren Wernerstr. in Solingen auf grausame Weise ihr Leben verloren. Ihre Gräber in Mercimek/Türkei erinnern an ihr jäh beendetes junges Leben und die nationalistisch motivierte Schandtat, der sie zum Opfer gefallen sind. Soweit ihre Angehörigen das Inferno überlebt haben, haben sie schweren Schaden an Leib und Seele erlitten. Ihre Verletzungen werden sie ihr Leben lang begleiten und jeden Tag aufs neue das Leid zurückrufen, das den Toten und den Überlebenden widerfahren ist, aber auch Zeugnis dafür sein, daß eine solche Tat niemals gesühnt werden kann.

Für das Verbrechen büßen vier junge Menschen im Gefängnis, wobei erhebliche Gründe für eine Annahme sprechen, daß nicht alle Verurteilten Täter sind, sondern als Opfer für die Reinwaschung deutschen Ansehens und Gewissens mißbraucht worden sind. Der mit der Urteilsverkündung erwirkte Schein von Gerechtigkeit ist verfehlte Politik, die sich die Verurteilten, schuldig oder nicht, als Bürgen hält. Ein mutmaßlicher organisierter Hintergrund blieb im Dunkeln. Hak-Pao-Führer und V-Mann Bernd Schmitt spielte die Rolle des braven Verfassungsschutzhelfers, wie sein Chef, der Innenminister, es von ihm wollte, damit dessen eigener Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Solinger Brandanschlags kein Thema wurde. Als Dankeschön an Schmitt, aber auch weil es sonst so gut ins Konzept paßte, hat ihm das Gericht in lammfrommer Manier alles abgenommen, was er sich ausgedacht hatte. Welcher Richter wollte aber auch schon einen organisierten Hintergrund erkennen, den der Innenminister über seinen Doppelagenten Schmitt dann feste mitorganisiert hatte? War es so, dann hatte Schmitt allen Grund, die Angeklagten im Regen stehen zu lassen, und wenn ihnen zehnmal lebenslänglich gedroht hätte. Die bloße Tatsache, daß sich der hochrangige Minister Schnoor den schillernden Neonazi Schmitt zu Diensten gemacht hatte, der dann in den Brandanschlag verwickelt war, hat jede vernünftige gerichtliche Wahrheitsfindung verhindert.

Das Verbrechen war das Werk militanten Kampfes gegen “Überfremdung”. Sogar solche Parteien und Politiker, die dieses Wort auch heute im Munde tragen, wie andere Leute “Guten Tag” sagen, haben ihre Hände in Unschuld gewaschen. Doch auch diese Heuchelei kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Brandanschlag die Erreichung eines faschistischen Etappenzieles markierte: die exemplarische Traumatisierung einer türkischen Familie als Schockmittel zur Verbreitung von Angst und Schrecken unter Millionen einzelner Menschen, die als “Mitbürger” ohne Bürgerrechte Zielscheibe politischen Rassenwahns sind, der  – neben ungezählten Opfern mit bleibenden Verletzungen – bereits über ca. 100 Tote im Land gefordert hat und weitere Opfer fordern wird.

Die Bundesregierung versprach, “Ausländer” in Zukunft besser vor ihren Feinden zu schützen, und … nahm den von den Brandschatzern geführten Stab der Gewalt souverän in die eigene Hand, um unerwünschte “Fremde” mit viel mehr System das Fürchten zu lehren.

Ein paar Tage zuvor hatte eine große Mehrheit der Parlamentarier das Grundgesetz geändert und jedes Recht auf politisches Asyl praktisch zunichtegemacht… als der so reformierte “Rechtsstaat” noch jedem Kind, das vor einem Bürgerkrieg flieht, künftig zur Auflage machte, in seinem “Heimatland” legal ein Flugzeug zu besteigen, um überhaupt eine Chance zu bekommen, in Deutschland nicht als “Wirtschaftsflüchtling” zu gelten, sollte es dort jemals ankommen. Mit entschuldigendem Händeringen kam dieses Gesetz als Asyl”kompromiß” daher. Dieser “Kompromiß” beinhaltete das Grundrecht auf die völlige Rechtlosigkeit im Asylverfahren von 99,9 % aller Männer, 99,99 % aller Frauen und 99,999999 % aller Kinder, denen politisches Asyl in Deutschland hätte gewährt werden müssen… wenn sie sich nur rechtzeitig das Flugticket (= 10 bis 100 Monatslöhne), eine Sonnenbrille und das Bakschisch für die Flugkontrolle beiseite gelegt hätten.

Unerwünschte Eindringlinge, die auch noch als Flüchtlinge anerkannt werden müssen, waren so kaum noch zu erwarten. Doch damit nicht genug, ging es Regierung und Verwaltung fortan darum, hier ansässige Flüchtlinge, Asylbewerber und  -berechtigte aus der Bundesrepublik zu vertreiben bzw. hinauszuekeln. Man errichtete Abschiebeknäste, schob ab in Gebiete von Folter und Völkermord, verschärfte Ausländergesetze, ließ menschenrechtliche Barrieren fallen,  lehnte Aufenthaltsbegehren regelmäßig ab, wenn sie von Frauen und Kindern stammten, grenzte unerwünschte Ausländergruppen systematisch aus durch Entzug von Wettbewerbschancen, Sozialhilfekürzungen, Ghettoisierung und Kriminalisierung +++.

Seitdem ist das “Deutschland den Deutschen”-Ideal zu einem bestimmenden Faktor politischer “Reformen” geworden, ein Unterwerfung heischender Maßstab, an dem heutzutage “Vernunft” und “Erfolg” von Politik gemessen werden. Man könne dem Rechtsradikalismus, geht die Rede, am besten Einhalt gebieten, indem man dessen Forderungen in “demokratische” Politik einbaut. Doch trotz geschönter Statistiken registrierte das Bundeskriminalamt allein 1996 14 fremdenfeindlich motivierte Brandanschläge auf Wohnheime für Asylbewerber und Ausländerunterkünfte. Meistens fehlte jede überregionale Berichterstattung. Höhnischer Konsens der Nachrichrensperre: Alles “Einzelfälle”, geht die Rede.

Viel fremden- und menschenrechtsfeindlicher hätte die bessere Zukunft, die vor 4 Jahren salbungsvoll beschworen wurde, gar nicht aussehen können. Für noch einschneidendere Gesetze zur Herabsetzung und Entrechtung von “Ausländern” oder anderer gesellschaftlicher Gruppen war die Zeit zu kurz. Sowas braucht Jahre… Die werden kommen. Auf eine geänderte Politik von oben zu hoffen, etwa durch einen Regierungswechsel, wäre bequem, aber illusorisch. Jede Veränderung der Politik zum Positiven beruht auf dem Druck von unten. Das Gedenken an die Opfer des Brandanschlag verpflichtet jeden einzelnen von uns, für die Menschlichkeit der politischen Verhältnisse und gegen rassistischen Wahn zu kämpfen – noch viel mehr, wenn sichtbar wird, daß er von ganz oben kommt.

Otto Mann

Brandanschlag gut verdrängt? Drei Schlaglichter:

Der Auftrag des Rates vom 1.7.1993 an die Verwaltung, ein „Handlungsprogramm zur Verbesserung des Zusammenlebens von Deutschen und Ausländern“ vorzulegen, wurde bis heute nicht umgesetzt.

Auch im 4. Jahr nach dem Brandanschlag gibt es kein städtisches Mahnmal für die Opfer des Brandanschlages, obwohl der Rat dies am 3. 3. 1994 beschloß. Das ersatzweise vorgesehene Anbringen einer Gedenktafel in der Schule eines der Opfer ist wohl doch ein bißchen wenig.

Günther Kissel, der rechtsextremistische größte Bauunternehmer Solingens wird im März 1997 nicht etwa als Obermeister der Bauinnung abgewählt, nein, die bisher selbständigen Innungen der Bereiche Bau, Straßenbau und Zimmerer schließen sich zur Baugewerbe-Innung Solingen zusammen. Einstimmig gewählter Vorsitzender: Günther Kissel.

Krabat