Die Rolle der (lokalen) Medien gegenüber Rassismus und Rechtsextremismus
Die Gewerkschaft IG Medien und die Volkshochschule Solingen veranstalten im Rahmen einer medienpolitischen Vortragsreihe eine Podiumsdikussion, welche sich mit der Berichterstattung der lokalen Medien im Zusammenhang mit dem Solinger Brandanschlag auseinandersetzt. Im besonderen soll am Beispiel der Berichterstattung unseres Lokalsenders Radio RSG diskutiert werden, ob und wie Lokalmedien Ausländerfeindlichkeit abbauen oder sie verstärken.
Während die Landesanstalt für Rundfunk (LfR) 1993 für die außergewöhnliche Berichterstattung Radio RSG einen Hörfunksonderpreis verlieh, erstellte Ralf Weiß vom Hans-Bredow-Institut Hamburg eine Studie mit dem Ergebnis, daß diese Berichterstattung die Ausländerfeindlichkeit eher verstärkte als abbaute. Ralf Weiß hat zu diesem Thema einen Aufsatz in der Zeitschrift „Rundfunk und Fernsehen“, erschienen im Nomos Verlag in der Ausgabe 1994/2 veröffentlicht. Er schreibt dort u.a.: „Die Eigenschaften der Berichterstattung von Radio RSG/RNT (1993 produzierte Radio RSG zusammen mit Radio Neandertal gemeinsame Lokalprogramme) während der Tage und Nächte, an denen es z.T.zu militanten Demonstrationen gekommen ist, ergeben zusammengenommen ein Bild, das dem Typ der Kriegsberichterstattung nahekommt. Die Berichte von der ‘Front’ stellen eine scharf polarisierte Konfliktlage vor: hier die Einwohner, dort Auswärtige, Zugereiste, hier Betroffene (Solinger), dort Angreifer (Chaoten, Krawallmacher). Dabei begreift sich das Lokalradio nicht nur als Kundschafter, sondern auch als Partei auf der Seite der bedrohten Einwohner. Die ‘Gegenseite’ im Konflikt wird politisch attributiert (vorzugsweise ‘Autonome’ z.T. auch die auswärtige Presse und das Fernsehen)(…)“
Ralf Weiß hat die Berichterstattung im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Solinger Brandanschlag wissenschaftlich analysiert und stellt u.a. fest: „Lediglich 1% der entsprechenden Beiträge ist von dem Blickwinkel her angelegt, wie sich die Ereignisse für Bürger ausländischer Staatsangehörigkeit ausnehmen. Und welche Positionen türkische Bürger vertreten, wird im Rahmen der Demonstrationsberichterstattung mit 7% aller von Radio RSG/RNT übermittelten Argumente nur schwach wahrnehmbar(…) 88% der Beiträge kommen ohne die Darstellung irgendeines Zusammenhangs aus. Nur 3 von 215 Beiträgen bieten Einschätzungen an und stellen Beziehungen her, die nicht nur behauptet sondern auch erläutert und begründet werden.“
Zu dem Schluß, daß diese Berichterstattung die Ausländerfeindlichkeit eher verstärkte als abbaute kommt auch Jörg Meyerhoff aus Wien. In der Zeitschrift für Kulturaustausch vom Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart Ausgabe 1993/94 schreibt Jörg Meyershoff: „RSG Chefredakteur Jörg Bertram ist heute noch stolz auf sein Programm, das sich hauptsächlich mit den Krawallen beschäftigte: ‘Ich habe in der Berichterstattung über den Golfkrieg mitgemacht, und ich war auch schon in Israel in den besetzten Gebieten. Von daher kenne ich das Gefühl, wenn der Mob tobt.’ Allein in seinem sechsstündigen Lokalfenster sendete RSG vom 29. Mai bis 2. Juni 159 Wortbeiträge zum Mordfall und den Folgen; nur 16 davon befaßten sich mit dem Brandanschlag, 33 mit Demonstrationen und ganze 48 Beiträge mit Krawallen. Durch die Live-Berichterstattung mit mobilen Funktelefonen übertrugen sich die Angst und Unruhe der Radioreporter direkt in die Wohnzimmer der Solinger. ‘Wir haben eine zurückhaltende Berichterstattung gemacht und versucht, den Leuten nur dort Angst zu machen, wo sie Angst haben sollten’, verteidigt Jörg Bertram heute diese CNN-Strategie (…) Durch die Live-Schaltungen konnten und mußten die Reporter ungefilterte Scheinaktualität verbreiten. Wie bei der heute nach wie vor umstrittenen Berichterstattung des amerikanischen Nachrichtenkanals CNN schalteten die Lokalfunker von einem Krisenherd zum nächsten. Im Kopf des Hörers entstand der Eindruck eines sich ständig ausweitenden Flächenbrandes, während es sich in Wirklichkeit nur um kleine verbale Strohfeuer handelte, die sowieso oft genug erst durch die Medienpräsenz entfacht wurden … Statt den gesellschaftlichen Hintergründen nachzuspüren, warum Deutschlands Brandstifter immer jünger werden, statt kritische Fragen zu stellen, warum eine 1990 zum Thema Rechtsradikalismus vorgelegte Studie für das Jugendamt der Stadt Solingen beiseite gelegt wurde, statt sich mit dem Bauunternehmer Günter Kissel zu beschäftigen, der öffentlich seine braunen Neigungen pflegen und trotzdem millionenschwere Bauaufträge der Stadt an Land ziehen kann, statt dessen machten sich die lokalen Medien zum Sprachrohr der Politiker, Geschäftsleute und Krisenrunden (…) Die wahre Hintergrundberichterstattung, so scheint es heute, übernahmen die überregionalen Medien, die keine Rücksicht auf lokale Empfindlichkeit zu nehmen brauchten.“
Soviel zu zweien der Stimmen, die sich kritisch mit der Berichterstattung unserer Lokalmedien im Zusammenhang mit dem Solinger Brandanschlag auseinandersetzten. Wie oben bereits erwähnt, zeichnete die LfR Radio RSG 1993 mit einem Hörfunksonderpreis für diese außergewöhnliche Berichterstattung aus. Diesen Widerspruch soll die Veranstaltung „Medien der Eskalation? Die Rolle der (lokalen) Medien gegenüber Rassismus und Rechtsextremismus“ versuchen zu klären. Im Podium diskutieren:
- Dr. Ralf Weiß, Psychologe, wissenschaftlicher Referent am Hans-Bredow-Institut Hamburg. Schwerpunkte seiner Forschungsarbeit sind: Die Rolle der Medien für politische Kommunikation und politische Kultur sowie der Rundfunk als Medium der Alltagskultur.
- Dr. Volker Lilienthal, Redakteur bei epd-medien (evangelischer Pressedienst), Dr. Lilienthal war 1993 Vorsitzender der Jury zur Verleihung des LfR-Hörfunkpreises.
- Jörg Bertram, Journalist, Chefredakteur von Radio RSG.
- Moderation: Prof. Dr. Jörg Becker, IG Medien Solingen und Rainer Villwock, VHS Solingen.
Es wäre sehr wünschenswert, wenn viele Leserinnen und Leser der tacheles sich an dieser Diskussion beteiligen würden!
Helgo Ollmann