Rede zum 73. Jahrestag der Sinti-Deportation

Heute vor 73 Jahren wurden mindestens 62 – zumeist Solinger – Sinti, die Hälfte davon Kinder unter 14 Jahren, von der Kriminalpolizei aus den beiden städtischen „Zigeuner-Lagern“ (Potshauser Straße 10 und Wörthstraße 24) zur Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz zusammengetrieben und abtransportiert. Für mindestens 55 von ihnen war dies eine Fahrt in den staatlich organisierten Mord, in den Tod.
Heute werden in dem gleichen, unserem Land, die jugoslawischen Roma, als sogenannte „Balkan- Flüchtlinge“ in Sonderlagern konzentriert, zwar nicht in Tod, aber in Elend, Armut und Obdachlosigkeit in sogenannte sichere Herkunftsländer abgeschoben.
Sicher kann der Faschismus von damals nicht gleichgesetzt werden mit unserem relativ demokratischen System heute. Aber bei den Bildern von heute, in der Anwendung von staatlicher Gewalt gegenüber Sinti und Roma, kommen doch Assoziationen hoch, die an die ungebrochene historische Tradition der Diskriminierung und Verfolgung dieses wunderbaren und in jedes nationalstaatliche System, schwer einzuordnende Volk, erinnern.
Fatima Hartmann, eine Rom, die als Kind nach Solingen kam hat vor fünf Tagen vor unserem dritten Gypsi-Swing-Jazz- Konzert im Theater bewegend erzählt, wie beschützt sie von Menschen in dieser Stadt aufgenommen und gefördert wurde. Es war nicht selbstverständlich, dass sie als vehemente Kritikerin der Abschiebepraxis von Roma, die seit Jahrzehnten in diesem Land Zuflucht gefunden haben und geduldet wurden, reden sollte. Im Ergebnis hat die angeblich Radikale den damaligen Menschen dieser Stadt ein Kompliment gemacht und uns darauf aufmerksam gemacht, dass heute ei anderer Wind weht.

Gedenkveranstaltung im Theater- und Konzerthaus

Gedenkveranstaltung im Theater- und Konzerthaus

Die Willkommenskultur der CDU 1990:
Unsere Heimat vor Sinti- und Roma Dieben schützen

Im August 1990 verbreitete der Stadtverband der CDU Merscheid eine schriftliche Bürgerinformation, in der auf übelste Weise „gegen die Unterbringung von Wirtschaftsflüchtlingen“ gehetzt wird. Anlass waren Pläne, im Merscheider Bunker Flüchtlinge unterzubringen, worunter auch Roma aus Jugoslawien gewesen wären. Für die CDU war natürlich schon vor der Prüfung der Asylanträge klar, dass es sich „bei dem genannten Personenkreis“ nicht um „klassische Asylanten, sondern um Wirtschaftsflüchtlinge, die unser System mißbrauchen“, handeln würde.
In der als Flugblatt verbreiteten Bürgerinformation heißt es denn auch:
„Wir befürchten, daß sich in nächster Zeit die Einzelhändler, wie aus anderen Stätten bekannt, in Merscheid und Umgebung über eine Zunahme der Ladendiebstähle „freuen“ können. Den Dank dafür können sie der SPD zollen.“
Der SPD wird dann weiter noch unterstellt, daß sie Roma und Sinti nicht nur in dem Merscheider Bunker, sondern noch „lieber in schmucken Einfamilienhäusern untergebracht wissen möchte.“
Mit dem Aufruf zum Schluss des Flugblattes, dass „die CDU-Merscheid für eine liebenswerte Heimat Merscheid eintritt“ und deshalb „Hände weg vom Merscheider Bunker!“ fordert, soll offensichtlich den Wählern klar gemacht werden, dass die Aufnahme von Flüchtlingen dem Wert der „Heimat“ entgegenstehen würde.
Kommentar: Wahrscheinlich würde die CDU heute sich in dieser Form nicht mehr äußern. Die Vorlage aber wurde von NPD, Pro-NRW, AfD und Pegida usw. dankbar aufgenommen.

Frank Knoche