Von der grünen Mitte der Stadt zum Konsumtempel

Wie sich eine gute Idee zu etwas ganz anderem entwickelt

Wie fing alles an? – Am 15.6.89 beschloß der Rat, ein strukturelles und städtebauliches Gesamtkonzept für die Innenstadt erstellen zu lassen.

Bei der Vorauswahl der Gutachterlnnen hatte sich auch das Büro AKOPLAN beworben. Zum Mühlenplatz machte es einen bemerkenswerten Vorschlag: „So ließe sich durchaus vorstellen, z.B. den Mühlenplatz – in Anlehnung an seine frühere Funktion – zu einem Stadtgarten umzugestalten: als grüne Mitte der Stadt.” Zwei Gutachterbüros wurden beauftragt, Vorschläge für die Attraktivierung der Innenstadt zu entwickeln. Parallel dazu wurde eine beispielhafte Bürgerlnnenbeteiligung durchgeführt: „Bauwagen”  mit Plänen standen an verschiedenen Standorten und nahmen Vorschläge der Bürgerlnnen entgegen (insgesamt umfaßten die Vorschläge 367 Seiten), Bürgerlnnenversammlungen und Ausstellungen wurden organisiert, in drei „Bürgerwerkstätten” wurden die Gutachter mit den Vorstellungen der Bevölkerung konfrontiert. Ein kleiner Höhepunkt dabei war die Aufforderung, zum Mühlenplatz die eigenen  Ideen in Bestandspläne einzuzeichnen. Im Protokoll der Bürgerwerkstatt wurde dabei über folgende Ideen berichtet:  Eine Bibliothek im Paschehaus, ein Kunstobjekt eine Stadtinformation Gestaltung mit mehr Bäumen und Sitzgelegenheiten, ein Parkplatz mit Tiefgarage, Fassadenbegrünung, der Wiederaufbau der Mühle, Fahrradständer Rad- und Fußwege, eine Gepäckannahme für den ÖPNV. Bezeichnenderweise schlug dabei niemand die Bebauung mit Geschäften vor. Eine Ratsvorlage vom Oktober 1991 beschreibt, wie es mit der BürgerInnenbeteiligung weitergehen sollte: Es sollte eine Broschüre über die Bürgerlnnenbeteiligung, die Inhalte der Planung und die Beschlußlage des Rates erstellt werden. Ein Videofilm sollte planungsbegleitend „mit Schwerpunkt auf die Meinungen der Solingerinnen und Solinger” erstellt werden. Davon wurde nichts realisiert. 1995 scheint vieles eher vergessen zu sein.
Das Dortmunder Gutachterbüro Zlonicky und Wachten empfahl 1 991 die auch bei den jetzigen Plänen vorgesehene Verlagerung des Individualverkehrs von der Kölner- auf die Goerdelerstraße und die weitgehende Verkehrsberuhigung der Kölner Straße zwischen ST und Deutscher Bank.
Eine Teilbebauung der Fläche mit Einzelhandel, Büros und Wohnungen wurde vorgesehen. Jedoch sollten die Gebäude wesentlich weniger Platz in Anspruch nehmen als die Planung des Investors der jetzt den Zuschlag erhielt: „ein weiträumiger, teilüberdeckter Innenhof soll für Markt, Zöppkesmarkt und kulturelle Veranstaltungen genutzt werden.” Im nördlichen Bereich zwischen Mummstraße und Goerdeler Straße sollten „ein großer überdachter, gesicherter Fahrradstand mit Servicestation” sowie begrünte Freiflächen entstehen.

Die ersten Bebauungsabsichten

Das zweite Gutachterbüro Heinz, Moritz und Partner aus Aachen schlug ebenfalls eine Teilbebauung des Platzes vor: mit Dienstleistungseinrichtungen, Wohnen, Volkshochschule und einer Markthalle. Zusätzlich zur Markthalle sollte auch hier wesentlich mehr Platzfläche und begrünte Freiflächen im Gesamtbereich verbleiben.
Die Arbeit des Büros und die Bürgerlnnenbeteiligung wurden begleitet von der „Lenkungsgruppe Innenstadt”.
Jochen Kuhn, der an der Lenkungsgruppe als Experte für den Bereich Städtebau teilnahm‘ stellte in seiner Zusammenfassung im August 91 fest: „Der Mühlenplatz soll baulich abgerundet werden…. Auf die vielfältigen Bürgerwünsche zum Erhalt bzw. zur Umgestaltung der Grünfläche und der Marktfunktion wird hingewiesen..” Er schlug für die Detailgestaltung einen Wettbewerb vor:” Die Themenstellung sollte dabei offen sein für die Alternativen, einer überwiegenden Bebauung oder Dominanz der Freiraumgestaltung.” Eben diese Offenheit der Ausschreibung wurde im folgenden Verfahren nicht angewandt. Stattdessen entwickelte die Verwaltung selbst ein Modell für den Mühlenplatz. Interessanterweise sollte dabei die für den Markt genutzte Fläche von ca. 3.000 qm (heutiger Zustand) auf ca. 5.000 qm vergrößert werden.

Investorenwettbewerb

Am 3.3.94 beschloß der Rat. Es wurde kein städtebaulicher  Wettbewerb  durchgeführt, sondern es wurde ein lnvestorenwettbewerb ausgeschrieben. Als Ziele sollte den Investoren vorgegeben werden: Umgestaltung des Mühlenplatzes zu einem Stadtplatz mit Marktnutzung, Schaffung von Einzelhandelsflächen mit maximal 2.000 qm Verkaufsfläche, ca. 7.000 qm für Stadtbücherei und VHS, ca. 7.000 qm Wohn-/Büronutzung unterirdische Stellplätze. Die gesamte Fläche sollte durch einen Investor bebaut werden. Es wurde kein offener Wettbewerb durchgeführt, sondern acht von der Verwaltung ausgesuchte Investoren angeschrieben. Nur vier von denen sahen sich in der Lage und bereit, das riesige Bauvorhaben zu bewältigen und machten ein Angebot. Im März 95 wurden die Vorschlage vorgestellt

Marktprobleme

Jetzt wurde deutlich, wo das wirtschaftliche Hauptinteresse möglicher Investoren  an der Bewerbung liegt: bei der Vermietung von möglichst viel Einzelhandelsfläche. Die meisten Investoren verringerten den Anteil der Wohn-/ Büronutzung zugunsten der Einzelhandelsflächen. Die heutige Marktfläche wurde nur beim Konzept der Solinger Architekten Grafweg (Investor: Thyssen und Mediconsult) erhalten. Die übrigen Vorschläge verkleinerten den Platz oder ließen ihn ganz wegfallen, wie beim Entwurf von ECE („Schwester” des OTTO-Versandes). Der Entwurf von Hochtief (100%ige RWE-Tochter) entsprach den Vorgaben bei der Wohn- und Büronutzung am meisten, dafür sollte bei ihm ein 30 m hohes Hochhaus entstehen – auch was Feines.
Die von den Marktbetreibern schnell eingeleitete Sammlung von ca. 6.000 Unterschriften für das Verbleiben des Marktes im Kern der City konnte das Abdrängen des Marktes an den Rand der City (z.B. Rathausparkplatz) verhindern.

Erste Entscheidungen

Am 14.9.1995 faßte der Rat einstimmig den Beschluß, mit der Multi Development (45% gehören der holländischen AMRO-Bank) einen Vorvertrag abzuschließen, der dieser die Option auf den Bau des Projektes gibt. Alle anderen Investoren sind damit aus dem Rennen.
Der Investor plant, die Fläche zwischen der gesamten Mummstraße, der Konrad-Adenauer-Straße, der Goerdeler Straße und der Achse Kölner Straße/Peek & Cloppenburg/Kaufhof bis auf einen kleinen Platz komplett zu überbauen. Elemente des Vorvertrages sollen sein:
* ein Platz, „in der Größenordnung von min-destens 1.500-2.000 qm”
* der Neubau der Stadtbücherei und der VHS (diese sollen im 2. und 3. Obergeschoß untergebracht werden).
* Die von der MultiDevelopment geplanten 14.000  qm  Einzelhandels-Geschäftsflächen sollen „ein gehobenes Angebotsniveau beinhalten.”
* Die „ökologischen Belange sollen berücksichtigt werden.”

Fazit

Die Planung der Mühlenhofgestaltung ist ein Paradebeispiel für die Veränderung einer Planung auf dem Weg von der Ermittlung der Bürgerlnnenmeinung bis zum Zuschlag an einen Investor: Hatten die Bürgerwerkstätten noch die Begrünung des Platzes und die Einrichtung von öffentlichen Dienstleistungen in den Mittelpunkt gestellt, so veränderte sich die Planung unter den Finanzinteressen der Investoren zu einem Projekt, das vorrangig der Ansiedlung von Geschäften auf der „grünen Mitte” der City dient.

Kulturell gewonnen?

SPD und Grüne haben die Planung von Anfang an unterstützt, um die VHS und die Stadtbücherei näher zum Zentrum zu bringen. Jedoch:
Nimmt mensch die Stadtkirche als Zentrum der Innenstadt, so wird die Stadtbücherei ca. 200m näher und die VHS ca. 390m näher ans Zentrum herangeführt. Lohnt das die ca. 20 Millionen, die nach Abzug des Erlöses durch den Verkauf des Mühlenplatzes als Kosten für die Stadt verbleiben? CDU und FDP wollen dies vehement verhindern, nur läuft ihre Alternative auf die fast vollständige Privatisierung des öffentlichen Raumes Mühlenhof hinaus, der sich ausschließlich zum Konsumtempel verändern würde. Wäre es nicht sinnvoller, nochmals über andere öffentliche Nutzungen nachzudenken?

Funktion verloren?

Der Mühlenplatz ist nicht nur der größte Innenstadtplatz, er ist auch Marktplatz und Kommunikationsraum für viele Menschen (wenn auch nicht immer die kaufkraftstärksten). Die Frage, wo die Menschen, die den heutigen Mühlenplatz nutzen, hin sollen, wurde bisher nicht beantwortet. Wo bleiben die vielen alten Menschen, die die Schachspiele nutzen oder dabei zuschauen? Wo bleiben die jungen Leute, die den Platz nutzen? Auf die Frage, was mit den Obdachlosen passieren soll, antwortete Herr Geier, der Vertreter des Investors‘ auf einer Veranstaltung der Grünen ironisch, man könne ja einen „Pennergarten” aufmachen – ein Spruch, der tief blicken läßt. Die extreme Verkleinerung des Platzes auf 1.500-2.000 qm wird den Bedürfnissen an diesen Platz nicht gerecht. Da der heutige Markt 3.000 qm Fläche auf dem Mühlenhof einnimmt, wird schon diskutiert, den Markt auf Kosten der nichtständigen, saisonalen HändlerInnen zu verkleinern. Dies sind – welch Zufall – zum größten Teil Ausländerinnen. Der Investor hätte übrigens gerne auch auf dem Markt ein gehobenes Angebotsniveau statt der „Billigangebote”. Ist schon mal überlegt worden, daß viele SolingerInnen auf ein derartiges Angebot angewiesen sind? Braucht mensch nicht auch einen größeren Platz für Veranstaltungen, Feste, Kundgebungen, Zöppkesmarkt in der Innenstadt? In der Juli-Ratssitzung beantragte die CDU die Vergrößerung des Platzes auf 2500 qm – ein Hoffnungsschimmer? Der verbleibende Platz soll voraussichtlich in den Besitz des Investors kommen. Die Stadt will ihn öffentlich widmen und so die öffentliche Nutzung festschreiben. Es bleibt jedoch die große Gefahr, daß langfristig nicht zu verhindern ist, daß die Gestaltung und die Bedingungen der Nutzung doch durch den Investor bestimmt werden – dies wäre dann die vollständige Privatisierung des heutigen Mühlenplatzes; Es ist wichtig, daß die Platzfolge Alter Markt – Frohnhof – Mühlenplatz dauerhaft als städtisches Eigentum gesichert bleibt!

Ökonomisch sinnvoll?

Wird die Innenstadt durch zusätzliche 14.000 qm Geschäftsfläche wirklich reicher? Nach einer Untersuchung des Citymanagers würde das 1 5,8% der derzeitigen Einzelhandelsfläche (Dienstleistungen und Gastronomie im neuen Projekt schon abgerechnet) im Stadtkern entsprechen – ist es wirklich glaubhaft, daß eine derartige Ausweitung vollständig durch Kundlnnenzuwächse ausgeglichen wird? Ist ein Verdrängungswettbewerb nicht wahrscheinlicher? Die Stadt will dem mit einer Festlegung auf ein „gehobenes Angebotsniveau” im neuen Einkaufscenter entgegenwirken.  Abgesehen davon, daß es fraglich ist, ob eine solche Festlegung sich auf Dauer durchhalten läßt, entsteht dadurch ein neues Problem: unter Hinweis auf die geplante Bebauung des Mühlenplatzes wurde vom Wirtschaftsausschuß ein Projekt beschlossen, das u.a. zum Ziel hat, daß „städtebauliche  Fehlentwicklungen  durch räumliche Konzentration von Ausländergeschäften mit niedrigem Niveau vermieden werden sollen”. Gemeint sind hiermit insbesondere die ausländischen Geschäfte an der Konrad-Adenauer-Straße, die ja direkt vor dem neuen „gehobenen” Projekt liegen.

Verkehrspolitisch durchdacht?

Die überdimensionierte Planung von 550 Stellplätzen in zwei Tiefgaragengeschossen unter dem Mühlenhof sollte verändert werden. Die weitere Förderung des PKW-Verkehrs in der Innenstadt wäre die logische Folge. Der Vorschlag des Dortmunder Innenstadtgutachtens auf dem Mühlenplatz einen gesicherten Fahrradstand mit Servicestation zu errichten, wurde bei der jetzigen Planung natürlich vergessen. Die Attraktivierung der Bus- und Fahrradanbindung sollte eigentlich auch ein Thema der Planungen zum Mühlenplatz sein. Die wenigen Bäume auf dem Mühlenplatz werden für die Bebauung komplett abgeholzt. Auf dem kleinen neuen Platz wird nur ein Teil davon ersetzt werden. Damit geht ein Stück Lebensqualität verloren. Es ist notwendig, vor einem Verkauf ein detailliertes Konzept zur Begrünung der Innenstadtstraßen und -höfe nicht nur zu entwickeln, sondern auch deren Realisierung zu sichern. Eine Umgestaltung und bauliche Abrundung des Mühlenplatzes ist sinnvoll und notwendig, aber die negativen Auswirkungen sind zu hoch. Wenn man doch nur noch mal innehalten und nachdenken könnte…

Dietmar Gaida