Cannabis als Medizin – Teil 2: In der Umsetzung scheitert die neue Gesetzgebung gleich an mehreren Stellen!

Bei mehr als 50 verschiedenen Erkrankungen kann Cannabis hilfreich eingesetzt werden. So kann Hanf z. B. Schmerzen und Krämpfe bei Multipler Sklerose lindern, sowie epileptische Anfälle mindern. Es kann den Appetit von Aidspatienten und Krebskranken anregen und die Übelkeit bei der Chemotherapie dämpfen. Auch viele ADHS-Patienten und Menschen mit Depressionen könnten von Cannabis profitieren.
Seit dem 10.3. 2017 dürfen Ärzte in Deutschland endlich Cannabis auf Rezept verordnen. Die Krankenkassen sind seitdem für die Kostenübernahme zuständig.

1. Problem: Die Gesetzgebung ist zu schwammig formuliert.
Es gibt in der neuen Gesetzgebung keine exakten Definitionen von Krankheitsbildern, bei denen Cannabis verordnet werden darf. Das eröffnet den Krankenkassen die Möglichkeit, selbst auszulegen, ob sie zahlen oder nicht.
2. Problem: Ärzte sind bei der Verschreibung verunsichert und sorgen sich zusätzlich um ihr Praxis-Budget.
Ärzte in Deutschland dürfen jetzt zwar ganz legal auf Rezept verschreiben, um Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen und Schmerzen zu helfen.
Aber was eigentlich patientenfreundlich klingt, erweist sich in der Umsetzung bisher als Flop:
Nicht nur die Krankenkassen stellen sich quer – häufig finden Schwerkranke erst gar keinen Kassenarzt, der ihnen Cannabisblüten auf Rezept verschreiben will. Zu groß ist die Unsicherheit im Umgang mit dem unbekannten Arzneimittel.
Schon weil ihnen die medizinische Erfahrung fehlt und sie den zusätzlichen Papierkram fürchten, zögern viele Ärzte mit der Verschreibung.
In der Praxis erweist sich das Gesetz als Bürokratie-Monster, bestätigt der Arzt Franjo Grotenhermen, der sich seit Jahren für Cannabis als Medizin engagiert. Die Verschreibung berge für Mediziner ein hohes finanzielles Risiko: Ärzten droht wegen der hohen Kosten für Cannabis ein Regress bei Überschreitung ihres Budgets.
Ein zusätzliches Problem: Weil Cannabis so lange verboten war, sind die Wirkungen der Inhaltsstoffe kaum erforscht worden. Nur wenige Ärzte trauen sich deshalb, medizinisches Cannabis zu verschreiben.
3. Problem: Krankenkassen haben Angst vor einer Kostenexplosion.
Da sich nach Schätzung der TechnikerKrankenkasse die Kosten für eine Behandlung mit Cannabisblüten auf bis zu 23.310,- Euro im Jahr belaufen, scheinen die Kassen einen guten Grund darin zu sehen, die Rezepte durch ihre medizinischen Dienste prüfen zu lassen spart doch jede Ablehnung viel Geld!
Während die Zahl der Anträge zur Verordnung von Cannabis steigt, lehnen die Krankenkassen sie bei fast jeden zweiten Patienten ab.
Gab es vor Inkrafttreten des Gesetzes gerade mal etwas mehr als 1.000 Bewilligungen für die Nutzung von Cannabis als Medizin, wurden in der Praxis seit März bundesweit bisher etwa die Hälfte von insgesamt knapp 6.000 Anträgen für die Kostenübernahme für medizinisches Cannabis abgelehnt.
Gerade die großen Kassen scheinen ihren Cannabis-Patienten nur wenig entgegen zu kommen.
Über die hohe Dunkelziffer derer, die bei den zahlreichen kleinen Versicherungen die Übernahme der Kosten beantragt haben, ist bisher nur wenig bekannt.
Auch zu den Patienten, die sich nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes ein Cannabis-Rezept auf Privatkosten haben ausstellen lassen, ohne dessen Erstattung zu beantragen, gibt es bis jetzt noch keine Statistiken. Der AOK-Bundesverband und die TechnikerKrankenkasse schieben die Verantwortung für die Ablehnungen ganz einfach den Ärzten zu: sie würden oftmals die RezeptVerschreibung nicht ausreichend oder nur sehr unvollständig begründen. Laut der neuen Gesetzgebung dürfen Ärzte die Blüten oder Extrakte nämlich nur verschreiben, wenn die Standardtherapien nicht mehr helfen, oder wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Diese schwammige Formulierung gibt den Krankenkassen die Möglichkeit, die Verschreibungsnotwendigkeit großzügig nach eigenem Ermessen auslegen. Es fehlen in der neuen Gesetzgebung ganz einfach klar definierte Kriterien für eine Verschreibung von Cannabis als Medizin; das bestätigt auch der Sprecher des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Hier muss also dringend nachgebessert werden!
4. Problem: Kostenexplosion in den Apotheken!
Wer als Patient endlich alle Hürden vom Arzt bis über die Krankenkasse überwunden hat, muss trotzdem auf das helfende Cannabis warten: Für Deutsche Patienten gibt zurzeit nur noch Reste.
Bisher importierte Deutschland die medizinischen Blüten komplett aus den Niederlanden oder aus Kanada. Aber angesichts der gestiegenen Nachfrage kommt es derzeit zu ersten großen Lieferengpässen.
Übereinstimmend berichten Betroffene, dass ihre Apotheke von den deutschen Großhändlern nicht mit medizinischem Cannabis beliefert werden kann. Nur die Apotheken, die sich vorab einen größeren Cannabis-Vorrat angelegt hatten, sind derzeit überhaupt noch in der Lage, einige wenige niederländische Sorten anzubieten. Viele Patienten melden uns, dass sie ihre Rezepte seit mehreren Wochen in der Apotheke nicht mehr einlösen können, berichtet Florian Rister vom Deutschen Hanfverband.
Vor allem beim holländischen Hersteller Bedrocan seien nicht genügend Medizinal-Cannabisblüten vorhanden, um die Bestell-ungen zu bedienen, sagt eine Sprecherin des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte).
Die in Kanada produzierten etwa elf Sorten med. Cannabis sind mit Ausnahme vereinzelter Restbestände derzeit gar nicht lieferbar. Die bevorstehende Legalisierung in Kanada wird dieses Problem sogar noch verschärfen, da man in Kanada für Juli 2018 schon jetzt Engpässe erwartet. Zusätzlich ist es im Prinzip weitaus einfacher und unbürokratischer für kanadische Produzenten, den heimischen Markt für erwachsene Freizeit-User zu bedienen, anstatt sich mit langwierigen Ex-und Importgenehmigungsprozessen herumzuschlagen.
Mit einer Verbesserung der Lage ist also vorerst nicht zu rechnen.
Und weil Cannabis als Rezepturarzneimittel und nicht als Fertigarzneimittel gekennzeichnet werden muss, können die Apotheken bis zu 100 % auf den Einkaufspreis aufschlagen, wovon sie unter den gegebenen Umständen selbstverständlich Gebrauch machen. Deshalb liegen die Preise aktuell bei etwa 24,- Euro pro Gramm  und damit mehr als doppelt so hoch wie auf dem Schwarzmarkt!!!
Als Fazit all dieser Fakten stellt sich die Frage: Ist die Legalisierung des Eigenanbaus nicht die bessere Alternative?
Ausgerechnet bei den Schwerkranken, für die es eigentlich gemacht wurde, versagt unter den genannten Umständen das neue Gesetz zur Verordnung von Cannabis als Medizin.
Sollte ihre Notlage nicht eigentlich durch eine stabile Versorgung in den Apotheken und mit der Kostenerstattung durch die Krankenkassen aufgelöst werden?
Durch dieses halbherzig umgesetztes Projekt wird nur die Verschreibung und die Erstattung von Cannabis legal  der Eigenanbau bleibt jedoch weiterhin verboten.
Ist die neue Gesetzgebung vielleicht nur eine Reaktion auf vermehrte Gerichtsurteile mit Freisprüchen für Patienten, die sich per Eigenanbau selbst versorgt haben?
Reagierte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) damit etwa nur auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts?
Noch vor gut einem Jahr hatten die höchsten Richter einem MS-Patienten den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken erlaubt. Sollte aber die Versorgung der Cannabis-Patienten bis 2019 weiter so schlecht funktionieren, wie sie es derzeit tut, steigen damit wahrscheinlich auch wieder die Chancen für Cannabis-Patienten, vor Gericht zu klagen, um den Anbau ihrer Medizin in die eigene Hand zu nehmen.

Quelle u. a.: Deutscher Hanfverband

Birgit Correns