Ursachen – Grausamkeiten – Möglichkeiten

tacheles Interview mit dem Fraktionssprecher Bündnis 90 / die Grünen Manfred Krause über den Haushalt der Stadt

Stimmt es, daß sich Grüne und SPD quasi erst in letzter Minute auf die gemeinsame Verabschiedung des Haushaltes für 1998 sowie des Haushaltssicherungskonzeptes (HSK) geeinigt haben?

Das ist zutreffend, aber nichts außergewöhnliches, da die letzten Kompromisse meist erst in der letzten Minute getroffen werden können. Diesmal ging es bis zuletzt um die Schließung der Stadtbücherei-Zweigstellen in Ohligs und Wald, um die Schließung des Hallenbades Birker Straße und die Chance, in Aufderhöhe wieder ein Freibad zu bekommen. Die beiden geplanten Schließungen konnten wir zunächst verhindern, mußten aber dabei Federn lassen. Im Fall der Stadtteilbüchereien wurde ein Prüfauftrag beschlossen, ob es sinnvoller und kostengünstiger sei, sie in die jeweiligen Gesamtschulen zu verlagern. Das wäre eine Lösung, der ich vor dem Hintergrund, daß das gleiche Modell in der Nachbarstadt Wuppertal nicht funktioniert und mindestens – wenn es halbwegs gut gemacht ist – genauso teuer ist, skeptisch gegenüber stehe. Für die Birker Straße vereinbarten wir die Fortführung als Schul- und Vereinsbad sowie den Versuch, das Bad an einen anderen Träger zu übergeben. Die SPD-Fraktion kam nicht daran vorbei, daß sie vor knapp zwei Jahren unserem Antrag auf grundsätzlichen Erhalt des Bades noch zugestimmt hatte, um notwendige Energieeinsparinvestitionen von inzwischen knapp 200.000 DM tätigen zu können. Allerdings wäre ein Gesamtbäderkonzept sinnvoller gewesen, doch die SPD wollte zumindest einen symbolischen Schließungsbeschluß haben. Und was die Chance auf eine Reaktivierung des Aufderhöher Freibades betrifft, so konnten wir lediglich den im Haushalt verankerten jährlichen Betrag von 100 000 DM retten. Nötig wären 150 000 DM jährlich gewesen, um die inzwischen ausgereiften Konzepte zur Neuerrichtung in Zusammenarbeit mit der Ittertal GmbH und unter Inanspruchnahme von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen etc. umsetzen zu können. Auch hier geht es um Symbole, da die SPD diese Lage schon vor einigen Jahren für erledigt hielt und außerdem nicht der kleinste Anschein erweckt werden soll, das Freibad Heide irgendwann doch noch schließen zu müssen, da eine Sanierung noch viel teurer wäre als in Aufderhöhe.
So läuft bislang alles immer noch darauf hinaus, daß von den drei ehemaligen Freibädern im Ohligser/Aufderhöher Raum leider keines mehr übrig bleiben wird. Zu hoffen bleibt, daß es nach der Kommunalwahl hier noch einmal eine neue Chance gibt.
Wo liegen die grundsätzlichen Unterschiede in der Herangehensweise bei SPD und Grünen? Nicht einfach zu beantworten. Ich war bei den internen SPD-Debatten nicht dabei, doch die Haltung der SPD erscheint mir insgesamt immer noch ”staatstragender” zu sein, in dem Sinne, daß meist alles, was von oben kommt, sei es der grundsätzliche Ausverkauf des gemeinwirtschaftlichen Sektors und die damit verbundenen Privatisierungen als auch die Vorgaben der Stadtverwaltung ohne große Kritik akzeptiert werden. Änderungsvorschläge kommen fast nur von uns, die SPD-Fraktion wartet ab, was oftmals Gespräche nicht gerade erleichtert. Aber auch bei den Grünen gibt es durchaus größere Unterschiede in der Einschätzung und in der Herangehensweise.

Wie sind die Finanzierungslöcher im „Stadtsäckel“ überhaupt entstanden und um welche Dimensionen handelt es sich?

Es gibt im wesentlichen zwei, drei größere und vor Ort nicht verschuldete Ursachen der jetzigen städtischen Finanzkrise und des zur Zeit jährlichen 40 bis 50 Mio. DM strukturellen städtischen Defizites. Erstens der strukturelle Rückgang der Gewerbesteuer seit 1993 in Folge der Erhöhung der Freibeträge durch Bundesgesetz um rund 15 Mio. DM. Konjunkturell kamen noch einmal 15 Mio. DM dazu. Die rund 2500 gewerbesteuerzahlenden Unternehmen wurden so strukturell um 15 % entlastet. Zweitens die stetig steigenden Sozialhilfekosten um 15 bis 20 Mio. DM jährlich – im Vergleich zu 1993/94 – und drittens gravierende Rückgänge bei der Einkommenssteuer. Alle anderen Faktoren sind ”Peanuts” gegen die drei genannten. Zuvor hatte zudem der überdimensionierte Infrastrukturausbau (Straßenbauprojekte, Wirtschaftsförderung etc.) der 70er und frühen 80er Jahre, die im Vergleich zu anderen Städten sehr hohe Verschuldung Solingens bewirkt. Der auch finanzpolitisch nicht verantwortbare Ankauf des Solvay-Gebäudes ist ein klassischer Ausdruck der immer noch vorherrschenden 70er-Jahre-Denkweise.
Unser Eindruck ist, daß die Bereiche, für die sich die Grünen besonders engagiert haben, wie Ökologie, Kultur, Soziales, Radwege usw., immer mehr den Bach runtergehen. Der Eindruck ist nicht ganz falsch, da die Sparphilosophie des jetzigen Oberbürgermeisters und der Verwaltung sich verstärkt auf die Dienstleistungen im kulturellen, sportlichen, ökologischen und sozialen Bereich bezogen. So sah das ursprüngliche HSK vom Frühjahr 1998 (die ”Liste der Grausamkeiten”) ja auch zahlreiche Schließungen und starke Kürzungen gegenüber nicht städtischen Organisationen vor. Tabu sind dagegen die vor allem im Finanz- aber auch anderen Ressorts nicht schlecht ausgestatteten neuen Querschnittsverwaltungen.

Welche Forderungen und Ideen der Grünen konnten nicht durchgesetzt werden?

Zunächst eine leichte Erhöhung der Gewerbesteuer um 2 % um damit einen kleinen, aber finanziell wirksamer Beitrag der Unternehmerschaft zur Verbesserung der strukturellen Haushaltskrise einzufordern. Ferner den Restbestand der RWE-Aktien in einer Größenordnung von über 40 Mio. DM zu verkaufen, anstatt laufend neue zu kaufen sowie Personal insbesondere bei den alt/neuen Querschnittsverwaltungen einzusparen. Es versteht sich von selbst, daß natürlich auch bei Themen wie Straßenbau, öffentlichen Parkgebühren oder Parkgebühren für städtische Bedienstete bei Verwaltungsparkplätzen die SPD, wie ihr neuer großer Staatssteuermann, die Autofahrerperspektive einnahm.

Welche „Grausamkeiten“ der Verwaltung konnten die Grünen verhindern?

Die städtischen Arbeitsbeschaffungs- bzw. Arbeit-statt-Sozialhilfemaßnahmen wurden nicht eingestellt, sondern sollen verstärkt fortgeführt werden; der Solingen-Paß bleibt erhalten; für Initiativen und Verbände gab es lediglich eine Kürzung von durchschnittlich 8 statt 13 %. 13% war eine Größenordnung, die im Vorfeld in den Gesprächen mit der Verwaltung im Sozial- und Kulturressort schon akzeptiert wurde. Eine nochmalige Reduzierung des Defizits beim öffentlichen Personennahverkehr um 3 Mio. DM, mit Angebotsreduzierung in der Folge, konnte zugunsten einer sehr wahrscheinlich unproblematischen Erhöhung des Gewinns bzw. der Konzessionsabgabe der Stadtwerke Solingen GmbH – zu verwirtschaften von allen Unternehmenssparten- an die Stadt verhindert werden; die neuen Jahresgebühren bei der Stadtbücherei konnten wenigstens auf 20 DM begrenzt und auch nur für Erwachsene vereinbart werden, um einige wesentliche der rd. 50 Änderungsanträge bzw. Änderungen zu nennen.

Welche Rolle hat der Widerstand der BürgerInnen gespielt?

Mich persönlich hat gefreut, wie stark und mit wieviel tausend Unterschriften sich die BürgerInnen für einen Erhalt der beiden verbliebenen Stadtteilbüchereien und des Bücherbusses ausgesprochen haben. Das war nicht ganz ohne Auswirkungen auf den letztendlichen, wenn auch vorläufigen Büchereikompromiss. Hohen Würdenträgern dieser Stadt schien eine Schließung der Büchereizweigstellen zeitweise gar das wichtigste Konsolidierungsziel zu sein, obwohl beide Zweigstellen mit lediglich 3 bis 4 schlecht bezahlten, aber sehr engagierten und von den BesucherInnen geschätzten Beschäftigten am Leben gehalten werden. Das Einsparungspotential ist daher denkbar gering. Es wird nun darauf ankommen, dieses Engagement für die quasi letzten Kultureinrichtungen in Ohligs und Wald auch mit Hilfe der Gründung eines Büchereifördervereins am Leben zu halten. Ansonsten war der Protest gegen Einzelmaßnahmen doch vergleichsweise verhalten.

Was ist zu tun und worauf muß man sich in der Zukunft einstellen?

Die strukturelle Finanzkrise wird m. E. noch länger anhalten, wenn nicht gar noch heftiger werden. Dies wird auch die Grünen stärkeren Zerreißproben unterziehen. Meines Erachtens kommt nur ein Mix aus klugen Einsparvorschlägen (z.B. forcierte Energieeinsparung oder Arbeit statt Sozialhilfemaßnahmen), aus gerechten Reduzierungen im Personalbereich (kommen wir auf Dauer nicht an einem Art VW-Modell für die Verwaltung vorbei?) anstatt lediglich BusfahrerInnen oder ABM- und Reinigungskräfte 20 bis 30% weniger zu bezahlen und die Belastung von Gutverdienenden (also auch Gewerbesteuerzahlenden) zur Sicherung des städtischen Gemeinwesens in Frage. Wichtig ist weiterhin ein lebendiger Protest gegen Schließungen und klassische Privatisierungen der wenigen verbliebenen kulturellen, aber auch sportlichen und sozialen Dienstleistungen. Notwenig ist eine Herangehensweise, die sich zwar auf die Realitäten einstellt, aber die ursprünglichen politischen Ziele nicht vergißt, sondern unter sich verschlechternden Bedingungen weiter umsetzen hilft.