Am 2. und 3. März 1943 wurden in Wuppertal, Solingen und Remscheid rund 200 Sinti und Roma aus den damals so bezeichneten Zigeunerlagern in Polizeistationen zusammengetrieben, in verschiedenen Bahnhöfen (Unterbarmen, Ohligs) gesammelt und nach Auschwitz deportiert. Unter ihnen befanden sich rund 100 Kinder unter 15 Jahren. Die Deportation und Ermordung wurde durch den sogenannten Auschwitz-Erlass Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942 angeordnet. Dieser bildet den grausamen Höhepunkt langjähriger Diskriminierung und Verfolgung von Sinti und Roma.
64 Jahre geschwiegen
Es brauchte 64 Jahre bis der aus dem Solinger Appell hervorgegangene Unterstützerkreis Stolpersteine die Eliminierung fast der gesamten, im Bergischen Land lebenden Sinti und Roma, öffentlich thematisierte. Zuvor hatte Stadtarchivar Ralf Rogge einen Text zu dieser Deportation von mindestens 62 Solinger Sinti nach Auschwitz veröffentlicht. Seit dem Jahr 2014 organisierte der Solinger Appell gemeinsam mit anderen Initiativen und unterstützt durch das Bündnis für Toleranz und Zivilcourage jährliche Mahn-und Gedenkgänge zum Mahnmal an der Korkenziehertrasse. Norbert Schmelzer (SOS Rassismus), der Sprecher dieses Bündnisses organisierte seit dem begleitend hervorragende und sehr gut besuchte Konzerte mit virtuo-
sen Sinti- und Roma-MusikerInnen.
3. März etablieren wie 9. November
Anlässlich des diesjährigen 75. Jahrestages der Deportation von Sinti und Roma im Bergischen Städtedreieck, haben sich zum ersten mal die drei Oberbürgermeister den drei großen Bündnissen im Bergischen, der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz e.V., dem Solinger Bündnis für Toleranz und Zivilcourage sowie Remscheid tolerant e.V. angeschlossen und gemeinsam zum Gedenken und zur Teilnahme an den Jahrestags-Veranstaltungen aufgerufen. Damit sollte dieser Tag ähnlich etabliert sein wie der 9. November, kommentierte Frank Knoche vom Solinger Appell, diesen Fortschritt. In ihrem Aufruf verweisen die Oberbürgermeister und die drei Bergischen Bündnisse nicht nur auf die Vergangenheit, sondern fordern für Gegenwart und Zukunft unter anderem die Etablierung einer angemessenen Gedenkkultur, allgemeine Sensibilisierung hinsichtlich der Diskriminierung von Sinti und Roma sowie die Unterstützung von Netzwerken, mittels derer Sinti und Roma ihre Interessen artikulieren.
Die Kultur der Sinti und Roma feiern
Auf der Abschlusskundgebung auf dem Alten Markt in Solingen forderte Dietmar Gaida (Solinger Appell) eine Kontingentregelung für aufzunehmende Roma, welche die größte Gruppe der von Abschiebung betroffen darstellen. Er bezeichnete als ei-nen Skandal, dass die wenigen Überlebenden, vom NS-Regime verfolgte Roma und Sinti, heute immer noch um angemessene Entschädigungen kämpfen müssen. Solin-
gens Oberbürgermeister, Tim Kurzbach, der im vierten Jahr hintereinander am Mahnmal auf der Korkenziehertrasse, zu den knapp 60 Teilnehmern sprach, forderte dazu auf, mit der wunderbaren Kultur der Roma und Sinti das Leben zu feiern, welches überlebt hat, obwohl die Nazis es vernichten wollten.
Tief beindruckt waren die 30 Teilnehmer auch von einer Bustour auf den Spuren der Sinti und Roma im Bergischen Land, organisiert u. a. von Stefan Stracke vom Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal. Gemeinsam mit der in Wuppertal geborenen Bluma Meinhardt und deren Musikern wurden verschiedene Deportations-orte (Bahnhof Unterbarmen, Wuppertaler Polizeipräsidium) und sogenannte Zigeunerlager (Klingholzberg, Blombachtal, Klausener Straße, Gründerhammer) aufgesucht, an denen es mehrmals zu bewegenden Begegnungen zwischen dort aufgewachsenden deutschen Zeitzeugen und den dort ansässigen, bzw. vorübergehend sich aufhaltenden Zigeunern kam. In diesen Gesprächen zeigte sich, dass die verbreiteten Vorurteile keine reale Grundlage hatten.
Pferdestall als Gedenkstätte erhalten
Ein weiterer Höhepunkt dieser Tour war der Besuch der Ausstellung im ehemaligen Pferdestall des Polizeigebäudes am Quim-perplatz in Remscheid. Im früher als Pferdestall genutzten Gebäude der Polizeiwache, in dem vor allem Juden, Roma und Sinti, aber auch Aktive des Widerstandes inhaftiert und gequält wurden, existiert eine Gedenk- und Bildungsstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in Remscheid, deren Bestand ungewiss ist. Für den Erhalt dieser Gedenkstätte sprach sich einstimmig der Rat der Stadt Remscheid aus und folgte damit Empfehl-ungen des Integrations- und des Jugendrates. Die Fraktionen lobten einhellig das große Engagement der Schüler des Ernst-MoritzArndt-Gymnasiums, die bereits zwei Ausstellungen in den Pferdestall geholt haben, die sich mit der NS-Zeit beschäftigen. Diese Ausstellungen sind allerdings zeitlich befristet, ebenso wie das Nutzungsrecht durch das Land NRW als Eigentümer des Gebäudes. In Remscheid gibt es schon sehr lange eine Initiative, einen Gedenkort für die 1943 deportierten Sinti und Roma zu schaffen. Ein Remscheider Künstler hat dafür sogar ein Denkmal entworfen, was leider bislang nicht angenommen und realisiert wurde. In einer Nachbereitungssitzung der Initiatoren der diesjährigen Gedenkveranstaltung wurde der dauerhafte Erhalt des ehemaligen Pferdestalles als historisch relevanter Ort für eine Gedenk- und Bildungsstätte im Bergischen
Städtedreieck gefordert.
Frank Knoche