Nazis marschieren und die Polizei hat nichts gemerkt?

Presseerklärung des Solinger Appells zum Naziaufmarsch in Solingen am 26.11.95

Der „Arbeitskreis Deutsche Interessen“ (ADI) hatte Ende Oktober 1995 mit Schreiben des Bundesgeschäftsführers Bernd Koch aus Solingen die „werten Kameradinnen/ Kameraden“ am Totensonntag, 14 Uhr eingeladen, auf dem Friedhof Wedenkamper Straße einen Kranz niederzulegen zu Ehren des Solinger Jagdfliegers des 1. Weltkrieges, Karl Almendejej, der von den Nationalsozialisten im 3. Reich als Held instrumentalisiert worden war. lm Einladungsschreiben Kochs ist ua zu lesen: „ … Nehmen wir den Kampf auf. Deutschland den Deutschen. Schreit es hinaus in die Welt…“

Antifaschistinnen wollten den angekündigten Aufmarsch verhindern und zogen mit ca. 200 Menschen zu Kochs Haus, das an den Friedhof angrenzt. Tage vorher hatte die Solinger Polizei versichert, das Nazitreffen sei abgesagt. Vor Kochs Haus beteuerte uns der Solinger Polizeche Uhrig, daß er von keinem anderen Treffen der Nazis in Solingen wüßte und keines vermutete. Nachdem es tatsächlich keinen Naziaufmarsch in Solingen-Wald gab, löste sich die Gegendemonstration gegen 15.30 Uhr auf.

Gegen 17.45 Uhr wurden AntifaschistInnen informiert, daß sich in Burg 50 bis 60 Nazis aufhielten. Auf dem Weg dorthin beobachtete gegen 18.15 Uhr ein Augenzeuge, daß sich auf dem Galopa-Parkplatz ca. 1 km von Unterburg entfernt eine Einsatzhundertschaft der Wuppertaler Polizei aufhielt.

Cegen 18.30 Uhr beobachtete derselbe Augenzeuge sowie die ersten in Burg eintreffenden AntifaschistInnen, wie sich eine Gruppe von etwa 50 Männern im Nazi-Look auf dem Parkplatz neben der Seilbahn auflöste, die anderen gingen Richtung Bushaltestelle bzw. andere Parkplatz davon. Acht der Männer, unter denen sich Mitglieder der einschlägig bekannten jungen Nationaldemokraten befanden, kehrten – wie sich etwas später herausstellte – in die Gaststätte „Burgvogt“ ein. Zu dieser Zeit war noch kein Polizist vor Ort (auch keine Polizistin).

Ca. 20 Minuten später kamen weitere AntifaschistInnen in Unterburg an – und in aller Ruhe drei Mannschaftswagen der Polizei -, die jedoch nichts anderes zu tun hatte, als die Antifas einer Personenkontrolle zu unterziehen. Gegen 20 Uhr hatten sich vor der Gastätte ca. 100 Antifas versammelt. Polizeichef Uhrig antwortete auf direkte Befragung einigen Antifas, daß die Polizei nicht gleichzeitig überall sein könne und sich wegen einer Bombendrohung nach Ohligs begeben hätte. Er habe keine marschierenden Nazis in Burg gesehen. Als kurz danach Verstärkung der Polizei eintraf, eskortierte diese die acht Faschisten zu deren Fahrzeugen und gab ihnen freies Geleit.

Wir gehen davon aus, daß die Polizeitührungim Vorfeld von den Aktionen beider Seiten gewußt haben muß. Wir werden den Verdacht nicht los, daß es Absprachen zwischen Polizeiführung, Staatsschutz und FaschistInnen gegeben hat. Die Polizeiführung hat zugelassen, daß Nazis unbehelligt von Polizei (und Antifas) ihren geplanten Aufmarsch mit Fahnen, Fackeln und Trommelwirbel (su) durchführen konnten.

  1. Wenn das Treffen der Nazis in Solingen-Wald abgesagt war, warum wurde bereits am 25.11.95 eine Einsatzhundertschaft aus Wuppertal in Solingen „stationiert“?
  2. Warum wurde die Einsatzhundertschaft nach der Gegendemonstration in Solingen-Wald nicht zurück nach Wuppertal beordert?
  3. Warum beschränkte sich die Polizei darauf am Hause Kochs und dem Friedhof präsent zu sein? Eine Einsatzhundertschaft ist mobil und könnte andere mögliche Treffpunkte für Naziaufmärsche inspizieren.
  4. Die Einsatzhundertschaft hielt sich auf dem Galopa-Parkplatz (ca.1km von Unterburgenent fernt) auf. Ist dies nun ein Zeichen von Fahrlässigkeit im Umgang mit rechtsextremistischen Kräften oder eine gezielte Irreführungs- bzw. Verschleierungstaktik der Polizeiführung?
  5. Die möglicherweise von Bernd Koch geladenen Nazis aus verschiedenen Städten der Bundesrepublik und aus Holland haben in aller Ruhe ihre geplante Gedenkfeier abgehalten. Erst am nächsten Tag(!) fand die Polizei 42 abgebrannte Fackeln und einen Kranz am Gefallenen-Denkmal in Höhrath.
  6. Nehmen wir einmal an, die FaschistInnen sind gegen 16 Uhr von Unterburg losmarschiert nach Oberburg, vorbei an hunderten „TouristInnen“, und weiter in Richtung Höhrath, haben sie vielleicht gegen 16.45 Uhr die Gedenkstätte erreicht. Dort „Feier“ ca. eine Stunde, Rückmarsch gegen 18.30 Uhr in Unterburg beendet. Wann genau hat der/die erste AugenzeugIn die Polizei benachrichtigt?
    Wie viele Personen haben die Polizei tatsächlich informiert?
  7. Zwischen 17 Uhr und 17.30 Uhr gehen bei der Polizei zwei Anrufe ein.
    – In Burg marschieren „Skins“
    – Bobenalarm in Ohligs
    Könnte man einen Zusammenhang nicht vermuten?
  8. Die erste Polizeistreife traf nach Passantinnen Anruf ca. 45 Minuten später in Burg ein (ca. 18.10 Uhr). Nach ca. 20 Minuten ist dann kein einziger Polizist mehr zu sehen. Ca. 10 Minuten später treten ca. 50 Nazis aus dem Wald (Parkplatz).
  9. Die Polizei leugnete bis zum 28.11.1995, daß es einen Nazi-Aufmarsch gegeben hat. Erst auf Nachfragen von Antifas und Presse bequemte sich die Polizeiführung, über die Vorgänge zu unterrichten.

Die Polizeiführung sieht offenbar in einem Nazi-Aufmarsch kein strafbares Verhalten. Unseres Wissens muß jede Demonstration polizeilich angemeldet werden. Dann hätte die Polizei davon gewußt (auch den Ort des Geschehens!) und die Aktion der FaschistInnen nicht dulden dürfen, sondern verbieten müssen und den trotzdem stattgefundenen Nazi-Aufmarsch unterbinden müssen

Könnte es sein, daß die Polizeiführung im beühmt-berüchtigten Brandanschlag – Solingen eine Konfrontation zwischen Faschos und Antifas verhindern wollte, um das angeschlagene mage einer Stadt, in der es angeblich „keine rechte Szene“ gibt, nicht weiterzubeschädigen?

Das Info-Telefon der FaschistInnen im Rheinand mit Düsseldorfer Telefonnummer gab bekannt: Am 26.11.95 sind 100 Kameraden aufmarschiert mit Fackeln und Trommeln. Ein Kamead aus Holland und Wolfgang Narath, langähriger Vorsitzender der Wiking-Jugend, und wir haben Reden gehalten und bei Fackelschein und Trommelwirbel das Lied gesungen: „Ich hatte einen Kameraden“. Die Aktion war ein voller Erfolg. Wir haben ungehindert von Polizei und Gegnern agiert.
Diese Meldung ist unseres Erachtens der Kommentar, der unsere Zweifel bestärkt bzw. unseren Fragen Berechtigung verleiht.

Wir fordern daher von Seiten der Polizei lückenlose Aufklärung und Information der Solinger BürgerInnen.

Solinger Appell