Besuch einer Kommune in Brandenburg
Im letzten November fuhren wir, eine Gruppe von Interessierten aus Solingen und Wuppertal für ein Wochenende nach Feuerland. Es ist nicht das Feuerland, das an der Südspitze Südamerikas liegt und dessen Ureinwohner von weißen Eroberern gnadenlos ausgerottet wurden, sondern wir besuchten die Gemeinschaft Feuerland. Sie liegt bei Brüssow in der Uckermark, einem Teil von Brandenburg, der ziemlich dünn besiedelt ist und überwiegend landwirtschaftlich genutzt wird.
Einsam außerhalb des Dorfes gelegen, ist das große Gemeinschaftsgelände nur über Feldwege erreichbar. Nach langer Fahrt kamen wir hier schließlich Freitagabend buchstäblich am Ende der Welt an. Dieser Eindruck wurde am nächsten Morgen noch unterstrichen durch die ungewohnte Stille und Weite der den Hof umgebenden Landschaft.
Bei der Ankunft wurden wir recht gastfreundlich mit warmer Gemüserahmsuppe und Tee empfangen und im Gemeinschaftsraum in der Scheune untergebracht und einige FeuerlandbewohnerInnen stellten sich noch unseren neugierigen Fragen.
Neben dem Gemeinschaftsleben interessierte uns der dem Gemeinschaftsleben zugrundeliegende Ansatz der Radikalen Therapie (RT). Aus der Erkenntnis heraus, ”daß Gemeinschaftsentwicklung ohne die gezielte Entwicklung der Einzelnen und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten kaum realisierbar ist” wendet die Gruppe diese Methode seit mehreren Jahren systematisch an. Mindestens zweimal im Monat wird ein entsprechender Abend gemacht, wobei es aufgrund der kleinen Gruppengröße keine Geschlechtertrennung gibt.
Auch andere Gemeinschaften probieren RT mittlerweile aus.
In der Ausgabe 5 der tacheles wurde das Konzept der Radikalen Therapie bereits in Grundzügen vorgestellt, weshalb hier nicht weiter ausführlich darauf eingegangen wird.
Am Samstagmorgen wurden wir nach dem Frühstück erst einmal durch die Gemeinschaft geführt. Da wäre an Räumlichkeiten zunächst das Hauptwohnhaus zu nennen, ein älteres, nicht sehr hohes Bauernhaus, dessen Zimmer baulich geteilt wurden, damit die meisten Gruppenmitglieder hier erst einmal einen eigenen Raum bekamen. Neben der Kommuneküche, dem Eß- und Wohnzimmer gibt es noch Räume für die Frauen.
Nebenan ist seit längerem ein Haus im Wiederaufbau, daß einmal das Frauenhaus werden soll.
Der von umherziehenden Handwerkerinnen komplett neu eingesetzte Dachstuhl sieht recht imposant aus. Daneben steht der ehemalige Stall, der einmal ein Tagungshaus werden soll, auch hier ist bereits das Dach komplett erneuert worden. Auch bei der riesigen, hallenartig durch ganze Baumstämme getragenen Holzscheune wurden Schäden im Dach zuerst ausgebessert um weiterem Substanzverfall vorzubeugen. Im dreigeschossigen Ziegelteil der Scheune bauen sich zwei Männer eigene Zimmer aus, wobei wir im Laufe des Tages etwas halfen (anbringen von Regipsplatten). Außerdem wohnen und arbeiten noch einzelne Leute in Wagen, die auf dem Gelände stehen.
Es gibt einen großen Nutzgarten und einen etwas kleineren mit Blumen und Sträuchern.
Zusätzlich wird auf einer größeren angrenzenden Fläche Gemüse angebaut, was teils selber eingelagert und verbraucht wird, teils per Direktvermarktung kistenweise an EinzelabnehmerInnen in Berlin geliefert wird. Die Äpfel der großen Obstbaumwiese werden zu Apfelsaft und -wein verarbeitet und bis nach Berlin verkauft. An Tieren werden freilaufende Hühner gehalten, eine Haflingerstute und mehrere Hunde und Katzen wobei daran gedacht wird, das Ganze später zu einem Erlebnisbauernhof mit vielen Tieren für Kinder auszubauen.
Nach der Arbeit in Kleingruppen draußen, die am späten Nachmittag beendet wurde (Hof aufräumen, Zaun setzen, Apfelsaftkisten schleppen) wurde gespült und das wirklich gute Abendessen aus dem gezaubert, was wir mitgebracht hatten und was das Haus zu bieten hatte. Anschließend gab es noch einen lustigen Spieleabend mit unseren drei GästebetreuerInnen.
Unsere Fragen zu Struktur, Selbstverständnis und Ökonomie der Gemeinschaft wurden auch noch beantwortet. Die Gemeinschaft besteht aus etwa zehn Menschen, wobei allerdings keine Kinder und keine älteren Menschen sind. Die meisten kommen aus der Stadt und sind Westdeutsche, die Anfangsmotivation war die Radikale Therapie, mit der viele Bewohnerinnen schon Vorerfahrungen hatten, mit einem Gemeinschaftzusammenhang zu kombinieren.
Die meisten Leute, die hier leben, fühlen sich ganz wohl, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, daß sie vom Konzept der Gemeinschaft überzeugt sind. Nur ganz wenige sind bisher wieder gegangen, allerdings dauert es meist auch längere Zeit bis Menschen hier langfristig leben wollen und es kommt auch nicht so häufig vor.
Die harten Winter hier sind psychisch nicht ganz leicht zu überstehen aber es kommen immer wieder viele Gäste, die Abwechselung bringen, aber auch viel Aufmerksamkeit benötigen, deshalb ist die Gemeinschaft dazu übergegangen, neue Besuchergruppen nur noch dann einzuladen, wenn sich genügend Leute aus der Gemeinschaft bereitfinden, sie zu betreuen. So gesehen hat die Gemeinschaft sicherlich Ausstrahlung, sie zieht mit ihrem gelebten Konzept der Radikalen Therapie und ihrem anarchistisch geprägten Lebensmodell viele Menschen an, die diese Praxis zumindest kennenlernen wollen. Die Gruppe wächst nur langsam, das liegt vermutlich daran, daß sowohl Interessenten wie auch die Gruppe gegenseitig recht anspruchsvoll sind, so daß selten Leute langfristig über eine Probezeit hinaus bleiben.
Die Gemeinschaft mit ihrem ausgeprägten RT-Ansatz ist nur für die Menschen attraktiv, die tatsächlich an ihrer Persönlichkeit arbeiten wollen. Insofern steht sie unter anderen Gemeinschaften mit politischer Ausrichtung ziemlich alleine da. Dafür ist aber der Kontakt zu anderen RT- Gruppen durchaus vorhanden. Auch die Vernetzung mit anderen Gemeinschaften wird gefördert, zum einen durch gegenseitige Besuche und Hilfen, zum anderen durch ein internes Magazin das von vielen Gemeinschaften getragen und zur Diskussion und zum Austausch genutzt wird.
In der Region haben sich ebenfalls viele Kontakte zu Einzelpersonen und Projekten ergeben.
Die praktische Politik der Gruppe beschränkt sich im wesentlichen auf die oben genannten Bereiche. Ein wichtiger Bereich ist neben der Ökologie aber noch die Frauenpolitik. So wird versucht die Gemeinschaft frauenfreundlich zu gestalten und ihren Anteil an den BewohnerInnen zu erhöhen. Die traditionell den Frauen zugewiesene Reproduktionsarbeit z.B. Waschen, Putzen und Kochen wird durch gemeinsame dafür vorgesehene Tage gleichmäßiger verteilt.
Ökologisch gesehen fällt das Gelände auf, das reich gegliedert und leicht verwildert ist und durchaus als ökologisch wertvoll einzustufen ist. Außerdem gibt es sowohl Komposthaufen als auch ein Kompostklo. Auch ein kleines Windrad steht auf einer Ecke des Geländes, das allerdings aufgrund einer fehlenden elektronischen Steuerung noch nicht betriebsbereit ist.
Auf einer Feldfläche und einem großen Nutzgarten wird Gemüse angebaut. Es wird sowohl von der Gemeinschaft gegessen, als auch in Gemüsekisten an Direktbezieher in Berlin geliefert.
Dadurch und durch die Herstellung von Apfelsaft und Apfelwein von der eigenen Obstwiese werden die Finanzen aufgebessert. Finanziell bringen auch ein Lieferwagenservice, Architektenarbeiten und Arbeiten in Jobs außerhalb etwas ein. Einige Menschen arbeiten nicht in ihren gelernten Berufen, auch die Arbeitsmoral ist nicht besonders rigide, obwohl es schon eine Kernarbeitszeit gibt, in der gearbeitet werden sollte. Bei den finanziellen Ausgaben geht es prinzipiell nach den Bedürfnissen, wobei größere Posten zusammen entschieden werden und aufgrund von knappen Finanzen, die vom Schatzmeister dann bekanntgegeben werden, eigene Beschränkung gefragt ist. Das Gelände wurde vor einigen Jahren mit Hilfe von Eigenmitteln und Darlehen gekauft.
Christof Quack