Jugendstadtratswahlen

Kommt jetzt die Demokratie?

Vom 17. bis zum 21. März 97 wird der erste „Jugendstadtrat“ in Solingen gewählt: Alle 14-17jährigen SolingerInnen dürfen wählen. Was dürfen sie wählen? Ein 21-köpfiges Gremium, dessen Ziel es ist „Anregungen zur Verbesserung der Situation der Solinger Jugendlichen zu erarbeiten und Maßnahmen vorzuschlagen, damit Solingen zu einer kinder- und jugendfreundlichen Stadt wird“, wie es in der Satzung heißt. Damit ist das Thema und der Handlungsspielraum dieses Gremiums schon klar definiert:

Die Jugendlichen, die sich in diesen Rat wählen lassen, werden, da sie selbst negativ betroffen sind, sicherlich die Interessen der Nichtautobesitzenden und derjenigen, die Stadt noch als Kommunikations- und Lebensraum begreifen, zu stärken versuchen. Und das ist dringend nötig. Spielen doch die Interessen von Kindern und Jugendlichen eine marginale Rolle in Solingen: Sichtbar wird dies z.B. in der schlechten Spielplatzsituation in Solingen, an den ständigen Schwierigkeiten bei der Erhaltung der wenigen Stellen in der Jugendarbeit, in der gedankenlosen Überplanung der Grünflächen in Stadtnähe und, im Gegensatz zu Remscheid und Wuppertal, im Fehlen von Nachtbussen (Nach dem Motto „An der Kluse hört der Nachtbusverkehr auf“) …

Der Handlungsspielraum des Jugendstadtrates ist allerdings sehr begrenzt: Seine Beschlüsse werden dem jeweiligen Gremium (Ausschüsse, Rat und Bezirksvertretung) durch eine vom Jugendamt gestellte Geschäftsführung „zur weiteren Behandlung vorgelegt“ und „durch ein Mitglied des Jugendstadtrates erläutert“. Entscheidungsbefugnis hat der Jugendstadtrat keine. Er kann eine wichtige Stimme sein, die jedoch immer nur berät.

Die Form eines auf 2 Jahre stadtweit gewählten Gremiums setzt zwangsläufig eine starke Politisierung und ein gewisses Faible für Vertretungsgremien voraus. Es fehlt den VertreterInnen im Jugendstadtrat im Gegensatz zum Stadtjugendring auch die direkte Anbindung an eine Gruppe, die Jugendarbeit macht. So besteht die Gefahr, daß die seit der Gründungsidee schon stark engagierten Parteijugendverbände hier schnell eine dominierende Rolle übernehmen. Ausgemacht ist das aber noch nicht. Der Eindruck, daß mehr junge Frauen als Männer für diesen Rat kandidieren scheint mir eher in eine andere Richtung zu weisen.

Es ist allerdings bezeichnend, daß der in diesem Zusammenhang von der Aktion Wohnungsnot in den Stadtjugendring eingebrachte Vorschlag zur Verbesserung der Möglichkeiten für Jugendliche, sich in die Gestaltung ihrer Umgebung einzumischen, kaum zur Kenntnis genommen wurde: Hier war vorgeschlagen worden, Jugendlichen, die zu einer Neuplanung im Stadtteil, zur Gestaltung von Plätzen und Parks, zur Einrichtung einer Skateboardanlage, zur Schaffung von Ausbildungsstellen  … eigene  Forderungen und Konzepte aufstellen wollen, dafür finanzielle und organisatorische Unterstützung durch die Stadt zu geben. Sie sollten die Möglichkeiten erhalten, Versammlungen einzuberufen, auf denen alle Jugendlichen Stimmrecht haben und auf denen die Entscheidungen gemeinsam entwickelt und beschlossen werden. Diese Konzepte sollten von der Stadt veröffentlicht werden. Dies hätte sicher eine direktere Form der Mitbestimmung von Jugendlichen bedeutet und hätte aufgrund des unmittelbaren Zugangs von größeren Teilen der Jugend eine nicht zu verachtende politische  Bedeutung erlangt. Es ist noch offen, was aus dem Jugendstadtrat wird. Wird er ein Gremium, das sich für mehr direkte Demokratie für Jugendliche – z. B. ähnlich dem oben beschriebenen Modell – einsetzt und das versucht, zusammen mit den Jugendverbänden Druck für mehr Platz für die Jugend zu machen? Oder wird es eine Trittbrettstufe für junge KarrierepolitikerInnen, die hier als VermittlerInnen zwischen dem mächtigen Stadtrat und den völlig anders gearteten Interessen der Jugendlichen in erster Linie Beruhigungspillen verabreichen? Dies wird davon abhängen, welche Jugendlichen für die Wahl kandidieren und wer sich an der Wahl beteiligt. Und es wird davon abhängen, ob mehr junge Leute sich einmischen in die Entscheidungen der „Erwachsenen“ – und in die des Jugendstadtrates.

Dietmar Gaida