Aus der Praxis des Sozialamtes
Verpflichtung zur Annahme einer Arbeitsgelegenheit analog §§ 18 bis 20 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)
Sehr geehrter Herr (…)
(…) Hilfesuchende, die keine Arbeit finden können, sind gem. §18 Abs. 2 BSHG zur Annahme einer für sie zumutbaren Arbeitsgelegenheit nach § 19 oder 20 BSHG verpflichtet.
In Ihrem konkreten Fall habe ich die Möglichkeit gefunden, daß Sie einer entsprechenden Tätigkeit nachgehen können.
Da Sie bereits längere Zeit ohne Erwerbstätigkeit sind, und schon aufgrund Ihres ausländerrechtlichen Status zumindest erhebliche Schwierigkeiten haben, eine Arbeitsstelle zu finden, erscheint es geboten, zumindest in größeren zeitlichen Abständen eine Tätigkeit anzubieten, um einer völligen Entwöhnung von Arbeit vorzubeugen.
Ich verpflichte Sie daher, sich am (…) 96 um (…) Uhr bei (…) einzufinden.
(…) Für den Fall, daß Sie unentschuldigt nicht an der Gemeinwesenarbeit teilnehmen, drohe ich Ihnen hiermit die Kürzung Ihrer Hilfe auf das zum Lebensunterhalt notwendige Maß an. Gleichzeitig mache ich Sie darauf aufmerksam, daß für den Fall fortgesetzter Weigerung auch eine Einstellung der Hilfe in Betracht kommt.
(…) Für Ihre Tätigkeit wird Ihnen Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich eines Betrages von 2,- DM pro Stunde gezahlt. (…)
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
(…)
Diese Aufforderung wurde vom Solinger Sozialamt vor kurzem an einen Asylbewerber geschickt. Eine Anfrage der Grünen im Sozialausschuß ergab, daß im Mai 1996 38 Personen „Gemeinwesenarbeit” für 2,- DM pro Stunde für die Stadt Solingen leisteten: In den Übergangsheimen, im Gartenamt, in Altenheimen, in den Entsorgungsbetrieben, im Ordnungsamt.
Mit der Zwangsverpflichtung zur Arbeit zu einem „Lohn”, der jeder Beschreibung spottet, wird verhindert, daß nach Tarif bezahlte Arbeitsplätze mit langfristigen Beschäftigungsverhältnissen eingerichtet werden.
Was fühlt ein Betroffener, dem zynisch eine „Einstellung der Hilfe“ angedroht wird, falls er nicht auf diese Erpressung eingeht?
Charly und Jules