„Hauptziel war die Vernetzung”

Interview mit Uschi Krieger über das NGO-Forum der Weltfrauenkonferenz

Vom 30.8. bis 8.9.1995 fand in Huai-rou das NGO-Forum der Weltfrauenkonferenz statt, zu der sich mehr als 40.000 Frauen aus aller Welt angemeldet hallen. Nur 25.000 Frauen fanden sich endgültig in Huairo ein. Ein Hauptgrund dafür war, daß viele Frauen vergeblich auf ihre Visa warteten und schließlich nicht nach China einreisen konnten. Uschi Krieger und zwei Frauen vom Frauenverband Courage wurden erst an ihrem Abreisetag die notwendigen Visa ausgehändigt, so daß ihnen die Teilnahme an der Konferenz ermöglicht wurde. Das Hexenblatt sprach mit Uschi Krieger über ihre Erfahrungen während der drei Wochen in China.

Hexenblatt: Uschi, Du hast zwei Vertreterinnen des Frauenverbandes Courage nach China begleitet. Welches Ziel hattet ihr vor Augen?

Uschi: Unser Hauptziel war, ein internationales Netzwerk von Basisgruppen zu errichten. Dieses Netzwerk soll ermöglichen, daß Kontakte zu vielen Ländern der Welt aufgebaut werden, um einen Austausch zu ermöglichen und sich bei Problemen gegenseitig zu helfen. Vom Frauenverband Courage gibt es in ganz Deutschland 70 Ortsgruppen, jede Ortsgruppe könnte in einem ständigen Kontakt zu einem Land stehen.
Solingen z.B. hat schon seit längerer Zeit guten Kontakt zu Eritrea. Wir haben inzwischen nicht nur einiges über den Befreiungskampf und die Situation der Frauen in Eritrea erfahren, sondern konnten finanzielle Unterstützung für die Errichtung eines Kindergartens leisten.

Hexenblatt: Sind die nationalen Gegebenheiten nicht viel zu unterschiedlich, um hilfreiche Erfahrungen auszutauschen?

Uschi: Wir sind auf der Weltfrauenkonferenz großem Interesse an einem solchen Netzwerk begegnet, da ja weltweit auch eine wirtschaftliche und ökologische Vernetzung besteht. Wir hatten z.B. viel Kontakt zu japanischen Gewerkschaften, welche die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und deren Entwicklung weltweit sehr ähnlich einschätzten.

Hexenblatt: Welche Themen gab es sonst noch?

Uschi: Viele! Täglich fanden 300 bis 400 Foren statt. Es ging unter anderem um die Situation von Frauen im Krieg, weltweite wirtschaftliche Zusammenhänge und um die Forderung, Frau-enrechte als Menschenrechte anzuerkennen.

Hexenblatt: Gab es sprachliche Probleme?

Uschi: Die meisten Foren fanden auf englisch statt, so daß es da wenig Probleme gab, allerdings wurden in u.a. südamerikanischen Foren nur spanisch gesprochen, so daß wir dort nicht teilnehmen konnten, es gab auch einige deutsche NGO’s, die ihre Vorträge auf deutsch hielten, also für die meisten Frauen nicht zu verstehen waren.

Hexenblatt: Hattet ihr Kontakte zur chinesischen Bevölkerung, z.B. durch Demonstrationen?

Uschi: Demonstrationen durften nur auf dem Forumsgelände stattfinden. Die „Frauen in Schwarz” wollten an einem Tag vor dem Gelände demonstrieren, aber die Sicherheitskräfte riegelten das Gelände sofort ab. Wir hatten also praktisch keinen Kontakt zu Bevölkerung, dies wäre aber auch aus sprachlichen Gründen nicht möglich gewesen, da die meisten ChinesInnen kein englisch sprechen.
Natürlich waren wir einige Male in der Stadt. Uns fielen die extrem sauberen Straßen auf, ständig waren Straßenkehrer unterwegs, die Häuserseiten zur Straße hin waren alle frisch gestrichen Abends wurden Insektizide gespritzt. Beeindruckend waren die Supermärkte. Es gab alle Waren, die man sich nur vorstellen kann: Computer, Kühlschränke etc. Allerdings waren diese Sachen für chinesische Verhältnisse viel zu teuer Eine Klopapierrolle kostete 1 Yuan 80; eine chinesische Arbeiterin verdient im Monat etwa 400 Yuan.
Kurz vor unserer Abreise wollten wir noch ein letztes mal in einen chinesischen Supermarkt. Wir mußten allerdings feststellen, daß dieser schon geschlossen war Wir sahen dann, wie alle teuren Geräte, die wir zuvor in dem Supermarkt gesehen hatten, in Kartons verpackt, wieder abgeholt wurden.

Hexenblatt: An welchen Workshops habt ihr teilgenommen?

Uschi: Wir waren bei einem phillipinischen Workshop über „Frauenbewegungen/Massenbewegungen“ im internationalen Vergleich” und haben dort einen Vortrag gehalten Dann waren wir bei einem Forum einer indischen Organisation über Gewerkschaften und bei einem Treffen, das sich erst auf dem Forum gebildet hatte, in dem eine alternative Resolution gegen Imperialismus entworfen wurde. Allerdings sind wir bei dem Forum ausgestiegen, weil Begriffe wie „gegen Imperialismus“ im Verband noch nicht diskutiert worden sind

Hexenblatt: Wie waren die Reaktionen auf die chinesischen Menschenrechtsverletzungen?

Uschi: China war nur ein Thema! Gerade von Seiten der 3. Weltfrauen wurde darauf hingewiesen, daß die Menschenrechtsverletzungen in China nur eine Form vieler anderer Menschenrechtsverletzungen ist. Es wurde ganz besonders von einer Inderin betont, daß Hungern auch eine Menschenrechtsverletzung ist und daß diese Form vielleicht sogar noch eine viele grausamere ist, da viel mehr Menschen von Hunger betroffen sind.

Hexenblatt: Haben die sehr heterogenen Foren und Positionen auf der Konferenz nicht zu Problemen geführt?

Uschi: Die große Heterogenität auf der Weltfrauenkonferenz war ein Spiegel für die Unterschiedlichkeit der Frauen in der Welt. Ich habe dies als sehr positiv empfunden. Mit der Zeit gab es immer mehr Demonstrationen auf dem Forumsgelände, und da konnte es schon einmal passieren, daß sich eine Demo „Für den islamischen Staat” und eine „Gegen den islamischen Fundamentalismus” begegneten. Die Frauen blieben jedoch sehr friedlich. Es gab eine massive Kritik von Frauen aus den armen Ländern an dem Westen. Es wurde auf die Unterstützung von Unterdrückungsregimen durch den Westen hingewiesen und auf die ungerechte Wirtschaftspolitik. Es gab zwei unterschiedliche Richtungen. Zum einen waren da die Frauen aus den Basisbewegungen, die an internationalistischer Arbeit interessiert waren, zum anderen gab es die Lobbyismusfrauen, die auf die UN-Konferenz Einfluß nehmen wollten.

Hexenblatt: Wie sahen die Themenschwerpunkte der einzelnen Länder aus?

Uschi: Die Themen der südlichen Länder, besonders die afrikanischer und indischer Frauen, waren mehr auf elementare Bedürfnisse ausgerichtet wie z.B. Ernährung, Wasser, Arbeit und Frieden. Es wurden Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im informellen Sektor gefordert, z.B. die der Dienstmädchen. Das Anliegen der europäischen und nordamerikanischen Frauen beschränkte sich mehr auf eine bessere Organisation, Gesundheit und auf die Einflußnahme auf die UN-Konferenz.

Hexenblatt: Haben bestimmte Länder oder Gruppen von Frauen die Konferenz dominiert?

Uschi: Geprägt haben das Forum besonders die asiatischen und afrikanischen Frauen. Die europäischen und nordamerikanischen Frauen erschienen dagegen sehr blaß und sind bei weitem nicht so aufgefallen wie die anderen.

Hexenblatt: Wie war die Arbeitssituation auf dem Forum?

Uschi: Die meisten Foren fanden in Klassenräumen und Zelten statt. Die Klassenräume waren allerdings meistens zu klein und völlig überfüllt. Der Geräuschpegel war durch vorbeiziehende Demonstrationen sehr hoch, so daß man oft nicht sehr viel von den Reden mitbekam. Hinzu kam, daß sich die schmalen Wege zwischen den Zelten nach Regenfällen in einem katastrophalen Zustand befanden. Rollstuhlfahrerinnen konnten sich nicht mehr fortbewegen. Ein weiterer Nachteil war, daß wir uns trotz gut ausgerüstetem Pressezentrum wie unter einer Käseglocke befanden. Wir waren von Informationen über das Weltgeschehen völlig abgekapselt. Es gab keine ausländischen Zeitungen, und so erfuhren wir erst sehr spät von den französischen Atomtests. Es fanden noch zu einem Zeitpunkt Demonstrationen gegen die Wiederaufnahme von Atomtests statt, als Frankreich schon längst wieder mit den Tests begonnen hatte.

Hexenblatt: Was habt ihr aus China mitgebracht?

Uschi: 15 Kilo Material! Dutzendweise Flugblätter, Broschüren und mehr als 100 Adressen aus aller Welt. Wir haben Kontaktadressen von Gewerkschaften, Lesbengruppen, Umwelt- und SelbsthiIfegruppen, von den SozialdemokratInnen der Mongolei… und eine Einladung nach Nepal. Aber bevor wir diese Reise antreten, müssen wir die letzte erst einmal verdauen.

Rübe