Interview mit Jürgen Ries zum Ende des Getaways

Das Getaway wurde 1979 in Glüder eröffnet. 1981 hast du den Betrieb übernommen, 1992 ist das Get nach Ohligs umgezogen. Zunächst möchten wir Dir als langjährigem und treuem Anzeigenkunden der tacheles danken.

Was waren für dich die Highlights deiner Zeit mit dem Getaway?
Es gab viele Highlights, manchmal auch kleine. Die Konzerte sind wirklich hängen-geblieben. Es waren Sachen dabei, die superklasse waren, auch im Backstage-Bereich. Die Fantastischen Vier war ein Superkonzert, Mother`s Finest, Linton Kwesi Johnson, Black Uhuru, Manfred Mann`s Earth Band Das war so eine Vielzahl …

Vor 25 Jahren gab es den Brandanschlag in Solingen. Wie hat das Getaway dieses Thema aufgegriffen? Was denkst du heute dazu?
Wir haben ca. 1993 die Veranstaltung Nit te bang  Mull opmaken zusammen mit mehreren Organisationen und Coco Teuber als Stagemanager durchgeführt. Das ging von 10 – 22/23 Uhr und war eine super Sache.
Die Talkrunden mit Gregor Gysi, Ignaz Bubis, Johannes Rau und anderen waren sehr interessant. Dabei konnten in der Öffentlichkeit diverse Probleme diskutiert werden. Diese Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit der Stadt waren gut besucht, das hat sonst nirgendwo stattgefunden. Wir wollten nicht nur die reine Disco zum Tanzen sein.
Ich habe das Gefühl, dass der Brandanschlag ganz vieles in Solingen verändert hat, was man auch jetzt noch sieht. Danach ist da etwas mit unseren ausländischen Mitbürgern irgendwie umgeswitscht. Nach einiger Zeit hatten wir über viele Jahre zu kämpfen. Es gab irgendwann diese Straßengangs, die haben sich verselbstständigt. Manche haben sich komplett abgekapselt. Das war nicht bei allen so. Wir hatten viele Migranten im Get, die keinen Bock auf Auseinandersetzungen hatten, die enger zusammengerückt sind mit uns. Von Seiten der Politik wurde gesagt, es gibt keine Probleme, aber wir haben sie gespürt. Zuerst wurde vieles verdrängt, dann durfte nicht darüber gesprochen werden, viele Jahre später hat man dann hingeschaut. Alles ist ein ganz langer Entwicklungsprozess, es funktioniert nicht immer alles sofort.

Lee Scratch Perry zusammen mit der Solinger Band Soon Come 1994 im Getaway Foto: Archiv / Birgit Correns

Hättest du dir mehr Unterstützung seitens der Stadt Solingen für das Getaway gewünscht?
Manchmal ja. Manchmal wäre es gut gewesen, es hätte eine Finanzierung für die ein oder andere Sache gegeben. Die Stadt hätte z.B. eigene Veranstaltungen bei uns machen können. Die Zusammenarbeit mit den bei Problemen zuständigen Stellen lief aber gut, wir haben uns an einen Tisch gesetzt. Wir haben auch mit den Nachbarn runde Tische gemacht und eine Lösung für Probleme gefunden.

Werden Discos heute noch gebraucht? Hat etwas anderes deren Funktion übernommen?
Tja, ich glaube, dass Clubs schon noch gebraucht werden, aber nicht mehr in der Häufigkeit, wie das vor 20/25 Jahren der Fall war. Es hat sich viel auf die private Ebene verschoben, auch das Feiern. Die Leute haben nicht mehr so die persönliche Bindung an Clubs oder Orte, wo sie hingehen. Durch Facebook  bekomme ich heute eine Unmenge Infos über Veranstaltungen in Nachbarstädten  und das nutzen die jungen Leute. Auch der ÖPNV ist viel besser ausgebaut, die jungen Leute sind wesentlich mobiler geworden. Ich habe auf dem Smartphone alle Musik dieser Welt, treffe mich mit Kumpels irgendwo, die Eltern sind viel lockerer geworden und hören die Musik mit, man trifft sich im Sommer auf der grünen Wiese und hört Musik. Ich war Gast in der liberalen Bürgerfunksendung und hatte ein langes Gespräch mit einem jungen anderen Gast. Er sagte sinngemäß: Man will ja nur noch in seinem Kreis feiern, man will ja nicht so ei-nen Mischmasch. Wir hatten im Getaway Abende, wo ganz verschiedene Sachen liefen. Aber genau das wollen die jungen Leute nicht mehr, die Szene will unter sich sein.
Ein anderer Grund, warum das mit den Diskotheken schlechter läuft  denn die Probleme haben viele Läden  ist, dass die Anforderungen an die Jobs viel höher geworden sind, auch der Druck in der Schule ist viel stärker geworden. Früher konnte man noch länger in der Disco bleiben und am Morgen trotzdem in die Schule/zur Arbeit gehen.

Warum gab es in letzter Zeit weniger Konzerte?
Es wurde zusehends schwieriger, Bands nach Solingen zu bekommen, die wollen alle in Köln spielen. Oftmals haben sich die Kölner Clubs einen Gebietsschutz einräumen lassen: Dann dürft ihr im Umkreis von so und so vielen km nicht spielen. Deshalb greifen mehr Veranstalter zu Coverbands, das ist in der Cobra und selbst in der Zeche in Bochum so. Die Kosten, eine Band zu engagieren, sind richtig teuer geworden. Die bekannten Bands verdienen über Konzerte mehr als über CDs, die Einnahmen aus CDs sind wegen des Internets zurückgegangen. Dazu kommen heute die Kosten für Technik, Catering, Hotel, Transport, extra Steuer für ausländische Bands, Künstlersozialversicherung 

Weißt du, was der Eigentümer mit dem Gebäude und dem Gelände vorhat?
Nein. Für uns war die Pacht zu hoch, der Eigentümer wollte mit der Pacht aber nicht runtergehen. Und sie wollen keine Gastronomie mehr drin haben, wegen der Versicherung und weil im Gebäude Wohnungen sind. Eine Nutzungsmischung umzusetzen ist schwieriger geworden, wegen des Lärmschutzes und weil die Gäste wegen des Rauchverbots vor der Tür rauchen.

Werden wir dich künftig in einer anderen Gastronomie treffen können?
Eher als Gast. Abends bis zum nächsten Morgen um 6/7 Uhr arbeiten, das will ich eigentlich nicht mehr.

Was bleibt als Gefühl, wenn du heute an das Get denkst?
Die 37 Jahre waren unterm Strich eine super Zeit. Trotz dem es mit viel Stress und manchmal Ärger verbunden war und die Öffentlichkeit manchmal doch etwas falsch gesehen hat. Es hat mich super gefreut, was die Leute auf Facebook geschrieben haben und dass die letzten drei Monate dann viele gekommen sind. Mit diesem Feedback habe ich niemals gerechnet. Da hat man das Gefühl, dass man in der Stadt eine wichtige Anlaufstelle geschaffen hat und über viele Jahre am Laufen gehalten hat.
An alles andere muss ich mich dann erst mal gewöhnen.

Das Gespräch führte Dietmar Gaida