Dokumentation: Verschriftlichung verschiedener Berichte der Flüchtlinge, HafenstraBe/Lübeck

Nach Wochen der Trauer wenden wir uns an die Öffentlichkeit. Nicht genug, daß wir 10 Menschen aus unserer Mitte verloren haben. Wir werden weiter gequält. Die Presse ist über uns hergefallen. Wir selber sollen den Brand gelegt haben. Unser Freund, Bruder und Sohn Safwan soll der Täter sein. Aber die wirklichen Täter laufen frei herum und werden nicht weiter verfolgt.

Wir haben in der Hafcnstraße jahrelang zusamroen gelebt wie «ine große Familie. Unsere Kinder haben überall im Haas miteinander gespielt – egal, ob sie schwarz oder braun oder weiß waren. Wir haben uns sehr gut verstanden. Jetzt behaupten die Medien einen bösen Streit zwischen Arabern und Afrikanern. Diesen Streit gibt es nicht. Wir haben in Frieden und Freundschaft zusammengelebt – wir Flüchtlinge aus Angola, aus dem Libanon, aus Syrien, aus Togo, aus Zaire. Es wird ihnen nicht gelingen, uns zu spalten.

Der Brandanschlag vom 18. Januar war nicht der erste Angriff auf uns. Bereits im Juni letzten Jahres wurde im Eingang des Hauses eine stark riechende, brennbare Flüssigkeit ausgeschüttet. Es ist damals nichts weiter passiert. In der Nacht zum 18. Januar hsben einige von uns deutlich gehört, wie eine Scheibe eingeschJagen wurde. Kurz darauf stand das ganze Haus in Flammen. Viele von uns sind aus dem Fenster gesprungen. Der Polizei haben wir gesagt, wo die meisten Menschen im Haus sind. Sie hat uus nicht geholfen. Sie hat uns daran gehindert, unsere Familien zu retten. Sic bat zugeschaut, bis die Feuerwehr kam.

Wir, die Überlebenden des Brandanschlags vom 18.01.1996, melden uns zu Wort

Mit schlimmen Knochcnbrüchen, Brandverletzungen und Rauchvergiftungen sind wir in die Krankenhäuser gebracht worden. Viele von uns waren und sind sehr schwer verletzt. Das hat die Polizei nicht interessiert. Noch in der Tatnacht haben sie uns langen und quälenden Verhören ausgesetzt. Wir werden verdächtigt, selbst Schuld zu sein. Wir sind behandelt worden wie die Täter, wie Verbrecher. Sie haben keine Rücksicht genommen auf unsere Trauer um die Menschen, die wir verloren haben.

Zuerst wurden wir für dumm und primitiv gehalten. Wir sollen Feuer in den Wohnungen gemacht haben; wir sollen mit Benzin gehandelt haben; wir sollen an der elektrischen Anlage herumgespielt haben und so weiter. Das ist alles nicht wahr. Wir sind nicht dumm. Dann haben sie versucht, die Täccr unter uns zu finden, George haben sie verdächtigt, Rabi und Silvio. Rabi und Silvio sind beide tot – sie waren unsere Freunde. Und dann haben sie Safoan fcstgenommen. Er soll einen Streit mit Gustave gehabt haben. Dann soll er aus Rache das Haus angesteckt haben, in dem seine eigene Familie lebt und er selbst geschlafen hat.

Gustave und alle anderer, haben vor der Polizei, vor der Presse und im Fernsehen gesagt, daß es zwischen ihnen keinen Streit gegeben hat. Es gab keine Prügelei, und es gab keinen Streit um eine Frau und keine Eifersucht. Wir wissen alle: Safoan kann nicht der Täter gewesen sein. Und niemand anderes aus dem Haus war es. Safoan hat mit seinen Brüdern im IV. Stock der Hafenstraße geschlafen, bis er von Rufen der Nachbarin geweckt wurde. Als er die Tür öffnete, schlugen ihm die Flammen und der Rauch entgegen. Safoan hat sofort damit begonnen, andere Menschen aus dem Haus zu retten. Er wurde dabei selbst vom Feuer verletzt.

Drei deutsche Jungen sind nur wenige Stunden vernommen worden. Sic kamen nicht in Untersuchungshaft. Sic sind nach weniger als 48 Stunden freigelassen worden. Ihre Namen wurden gcschützt. Safoans Name und sein Bild ging durch die Presse. Sie haben ihn schon verurteilt, bevor noch die Anklage erhoben ist. Safoan hat es nicht getan. Er muß im Gefängnis bleiben, weil kein Deutscher der Täter sein soll. 38 Zeugen, die alle dasselbe sagen: Safoan ist nicht der Täter, wird nicht geglaubt. Aber einem einzigen deutschen Feuerwehrmann wird geglaubt. Das Wort der Ausländer ist nichts wert.

Der Feuerwehrmann sagt nicht die Wahrheit. Er hat seine Aussage erst gemacht, als eine Belohnung für die Ergreifung derTäter ausgestellt war. Warum hat er sich nicht direkt an die Polizei gewandt, die im selben Fahrzeug saß, als Safoan mit ihm gesprochen bat? Bis heute versucht die Polizei, Zeugen zu finden, die ihn belasten. Immer wieder werden wir aufgefordert, doch zu sagen, daß er es war. Kinder werden bis zu 5 Stundet ohne ihre Eltern und ohne einen Anwalt verhört. Die Polizei sagt ihnen: Du kennst doch den Täten Safoan! Erzähl über ihn, was weißt Du über ihn!?

Um uns zu beleidigen und uns in der Öffentlichkeit schlecht zu machen, denken sie sich die schäbigsten Geschichten aus. Wir sollen unsere Kinder verprügelt haben. Wir sollen Porno-Filme mit unseren Kindern gedreht haben. Wir sollen Safoan geschützt haben, weil wir angeblich was zu verbergen haben. Sie wollen uns unglaubwürdig machen und gegeneinander aufhetzen. Fs wird ihnen nicht gelingen. Jetzt drohen sie uns mit Abschiebung: Der Brandanschlag soll mit unserer Asylbewerbung nichts zu tun haben. Sie wollen lästige Zeugen loswerden.

Nach dem Brand sind jedem von uns 1.000,— DM zugesagt worden, um uns das Nötigste zu kaufen. Wir haben ja alles in den Flammen verloren. Nur unsere Kassetten hat die Feuerwehr gerettet. Sie sind von der Polizei beschlagnahmt worden, weil sie belastendes Beweismaterial auf ihnen vermutet hat. 800,— DM sind uns schließlich gezahlt worden. Wir sind nicht dankbar für diese Unterstützung: die Stadt will uns ihr scblechtes Gewissen abkaufen. Uns sind Wohnungen zugesagt worden. Es wird bebauptet, alle hätten eine Woche nach dem Brandanschlag eine Wohnung erhalten. Auch das ist nicht wahr. Einige von uns laben noch heute in der Kaserne. Wir wollen etwas anderes:

Wir wollen einen unbefristeten und gesicherten Aufenthalt.

Wir wollen eine menschenwürdige Unterbringung und Vesorgung.

Wir wollen das Ende der quälenden und erniedrigenden Verhöre.

Wir wollen die Einstellung der staatlicben Ermittlungen gegen uns.

Wir wollen, daß Safoan sofort freigelassen wird und die Ermittlungen auch gegen ihn eingestellt werden.

Wir wollen, daß die richtigen Täter gesucht und gefunden werden und daß unsere Beobachtungen ernst genommen werden.

Wir wollen, daß unser Bericht öffentlich bekannt wird und unsere schlimmen Erfahrungen international untersucht werden.

Die Überlebenden des schrecklicben Brandanschlags vom 18.01.1996

Fär die Richtigkeit der Übertragung und Übersetzung authentischer Berichte, AG zu rassistischen Ermittlungen beim ART Hamburg
Lübeck, den 19. Februar 1996