Wer die Agenda unterstützt, stärkt die Herrschenden

Eine Agenda-Kritik

Die Agenda ist in der Umweltschutz-”bewegung” inzwischen heiß umstritten. Das ist gegenüber der Situation vor einem Jahr immerhin eine Veränderung, denn bis Mitte 1997 gab es kaum überregionale Kritik. Agenda war einfach gut. Agenda-Gruppen stellten keine Anforderungen an das politische System, sondern begnügten sich freiwillig mit einigen Detailforderungen, wie Ausbeutung und Zerstörung künftig etwas freundlicher auszugestalten sind. (…)

Mit der gleichen Ausdauer wie viele ”Ökos” aus unabhängigen Gruppen Genfelder und CASTOR-Transporte blockieren, reisten die Damen und Herren des Umwelt-Establishments zu den Mächtigen nach Bonn, um an deren Agenda-Audienzen teilzunehmen. Was ihnen dabei nicht auffiel: Sie spielten das Spiel derer, die die Agenda nutzen, um von den wirklichen Problemen abzulenken. Agendaarbeit spielt denen in die Hand, die weitere Zerstörungen und Unterdrückung von Menschen durchsetzen wollen, dabei aber nicht gestört werden wollen. Agendaarbeit beschäftigt Tausende von UmweltschützerInnen, die als Protestpotential verlorengehen. Doch nicht nur das: Die machen die Sache der Mächtigen mit, denn die vielen kleinen Agendagruppen arbeiten für die Öffentlichkeitsabteilung der Regierungen. Die schmücken sich mit der Agenda (nicht mit ihren Ergebnissen, denn da gibt es kaum welche, sondern mit der Tatsache, daß soviele sich damit beschäftigen) und vernebeln damit die harte Realität. Und die lautet uneingeschränkt weiterhin: Umweltschutz und Menschenrechte haben in der herrschenden Politik keine Bedeutung. Früher wurde ein bißchen gemacht, um die Massen zu beruhigen. Heute reicht schon, in Agenda- und Nachhaltigkeitsgruppen zu reden – und schon sind alle zufrieden.

Noch nie ist den Regierenden das gelungen: Ein Schriftstück zu verabschieden (und dann auch noch ein so dickes, mit skandalösen Inhalten und kaum lesbar wegen der verschachtelten Satzkonstruktionen) und für dieses offizielle Regierungsdokument fast alle Umweltschutzgruppen (jedenfalls die etablierten, ”anerkannten” Verbände) zu begeistern und zu eigenen Hilfstruppen zu machen. (…)

Das wirksamste Druckpotential der Umweltbewegung war der Kampf auf der Straße. Wo PolitikerInnen Massendemonstrationen, Blockaden und öffentliche Aktionen fürchten mußten, waren Verhandlungen möglich. Dieses Potential haben die etablierten Umweltverbände leichtfertig aufgegeben. Von dem Teil der Bewegung, die solche Aktionsformen noch ausüben (vor allem die Anti-Atom-Bewegung und Widerstandsprojekte), sind sie weit entfernt. In vielen Fällen distanzieren sie sich eher, um weiter als VerhandlungspartnerInnen akzeptiert zu werden – auch wenn ihnen dann jedes Durchsetzungsmittel fehlt. Angesichts der massiven Umweltzerstörung und des Abbaus von Umweltschutzgesetzen wäre längst schon die Zeit angebrochen, wo der Kampf wieder auf der Straße stattfinden muß. Verhandlungen sind erst dann sinnvoll, wenn ein Druckpotential besteht. Aber die etablierten UmweltschützerInnen wollen das gar nicht mehr. Während Merkel & Co. Atomgesetze und Beschleunigungsparagraphen durchpeitschen, sitzen die UmweltschützerInnen brav an den Agendatischen, die unter der Kontrolle der perfekt geschulten ModeratorInnen gezielt heiße Luft produzieren. (…)

Auch dicke dabei: Die Großkonzerne

Wenn in den Fernzügen mal wieder Zeitungen aushängen, könnte eine mit Namen ”agenda” dabei sein. Herausgeber ist der Atom-, Müllverbrennungs- und Baukonzern RWE. Auch BASF wirbt auf ähnliche Art und behauptet, sich der Idee nachhaltiger Entwicklung verschrieben zu haben. Die Krönung von allem dürfte die EXPO 2000 in Hannover sein, die Riesenindustrieschau, auf der die Großkonzerne die Hallen zum Paketpreis kaufen und dann bestimmen, was ausgestellt wird. Die EXPO versteht sich selbst als Agendaprojekt. Mißbrauchen sie alle eine Sache, die eigentlich gut ist? Die Antwort ist klar: Nein! Die Großkonzerne, die Regierungen und die EXPO haben die Agenda wahrscheinlich eher gelesen als die UmweltschützerInnen. Dabei haben sie gemerkt: Die Agenda ist gar kein Umweltschutzprogramm, sondern (neben 90 Prozent ”Blabla”) fordert neben Atom- und Gentechnik, der Option auf Müllverbrennung und neue Straßen auch die Stärkung der Privatunternehmen, vor allem der international agierenden Konzerne. Sie allein kommen in den Genuß der Formulierung, in Zukunft gleichberechtigt mit den gewählten PolitikerInnen mitbestimmen zu können. Dagegen sehen die Forderungen nach ”Dialog mit den BürgerInnen” oder ”Einbeziehung” von Frauen oder Jugendlichen sehr dünn aus. Das alles ist im Interesse der Großkonzerne. Daher unterstützen sie mit Recht die Agenda. Nicht sie, sondern die UmweltschützerInnen haben nicht kapiert, worum es geht. (…)

Jörg Bergstedt,
Institut für Ökologie
(Gießen/Marburg)

Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers der Zeitschrift Ö-Punkte Nr. 3 entnommen, die einen Schwerpunkt zur Agenda 21 enthält. Bestelladresse: Ö-Punkte, Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen