1. Prozeß wegen Besetzung eines Baustellengerüstes von G. Kissel

Solinger Landrecht schlug wieder zu …

Am 13.3.1996 fand der erste Prozeß gegen die Antifaschistinnen statt, die am 2. Jahrestag des Solinger Brandanschlages ein Baustellengerüst des rechtsextremistischen Solinger Bauunternehmers Günther Kissel an der Konrad-Adenau-er-Straße besetzt hatten. Drei junge Menschen waren angeklagt, weil sie mit dieser Aktion auf den Skandal hinweisen wollten, daß Günther Kissel in Solingen weiterhin öffentliche und private Aufträge erhält Vorgeworfen wurde den Angeklagten Hausfriedensbruch und Verstoß gegen das Vermummungsverbot. Letzteres, so Staatsanwalt Heinrichs, weil die Angeklagten „mit Kopftüchern, Kapuzen sowie Sonnenbrillen bekleidet“ gewesen seien. Da müssen wir diesen Sommer aber ordentlich aufpassen, daß uns kein Polizist mit einer Sonnenbrille erwischt. Heinrichs hatte übrigens gerade bundesweite Publicity erworben, weil er am 12.2.1996 im Solinger Tageblatt Fotos beschlagnahmen ließ, die angebliche Störerinnen einer Ratssitzung (Vorwurf hier: Unberechtigtes Verlesen einer Erklärung gegen die Kriminalisierung der Hausbe-setzerlnnen mittels Megaphon) zeigen sollten. Gegen diesen Mißbrauch der „Vierten Gewalt“ als unfreiwillige Hilfsermittler aufgrund eines derart banalen Vorfalls hagelte es Proteste u.a.
des Bundesverbandes der Zeitungsverleger (siehe tacheles Nr. 2).

Als einer der Angeklagten zu der „Vermummung“ erklärte, wenn man jemanden wie den Kissel angreife, der Kontakte in die rechtsextremen Kreise habe, müsse man vorsichtig sein, entgegnete Richter Brömmel wörtlich: „Aber sie wissen ja auch: Wer sich in Gefahr begibt, muß damit rechnen, umzukommen.“ Spätestens an dieser Stelle hätte die Farce abgebrochen werden müssen, um die richterliche (Un)befangenheit prüfen zu lassen. Aber nein, die Verhandlung quälte sich weiter in den Tag hinein.

Als die Angeklagten eine Erklärung zum Motiv verlesen wollten, versuchte der Staatsanwalt, dies zu verhindern – angeblich aus Fürsorge für die Angeklagten, die ihm mit der Erklärung einen neuen Anlaß für ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung Kissels geben könnten. Die Erklärung wurde verlesen, ein neues Verfahren gibt es deswegen nicht. Sie hat das Verdienst, kurz die wichtigsten bekannten Fakten aus Kissels politischem Wirken zusammenzufassen. Hier einige Auszüge daraus: Angesprochen werden Kissels Spende an die NPD, seine Tätigkeit als Publizist in den rechtsextremen Zeitungen DIE BAUERNSCHAFT, NATION UND EUROPA, DENK MIT, RECHT UND WAHRHEIT, und DER SCHLESIER UND NOTVERWALTER DES DEUTSCHEN OSTENS. Erwähnt werden weiterhin seine Geschenke rechtsextremer Bücher an seine „deutschsprachigen Mitarbeiter“, in denen er Vorwörter formuliert und seine Einladung an den mittlerweile als Auschwitzleugner mit Einreiseverbot in die BRD belegten David Irving zur Vortragsveranstaltung auf seinem Firmengelände. Erwähnt wird seine führende Rolle in der Düsseldorfer Herrenrunde, die regelmäßig Rechtsextremisten zum Vortrag einlädt. Auch Kissels Einsatz mit Aufklebern auf seinen Firmenfahrzeugen mit der Aufschrift „Freiheit für Rudolf Hess“ blieb nicht ungenannt. Kissels Engagement für Thies Christophersen, Herausgeber des Buches „Die
Auschwitzlüge“, in dem dieser behauptet, es habe in Auschwitz keine Gaskammern gegeben, findet hier ebenso Erwähnung. Genauso setzte Kissel sich für den KZ-Mörder Gottfried Weise ein und behauptete in einem Fernsehinterview, der Prozeß gegen diesen sei vom Zionismus gelenkt Der Richter kommentierte die Verlesung dieser Fakten übrigens mit keinem Wort. Anschließend machte der als Zeuge geladene Einsatzleiter der Polizei klar, daß die Gerüstbesetzerl nnen das Gebäude nicht betreten hatten, der Aufforderung der Polizei zum Verlassen des Gerüstes freiwillig unter Mitnahme der Transparente gefolgt waren und anschließend ihre Personalausweise zeigten.

Interessant war die Aussage der Bauherrin, Frau Seitmann, Ehefrau des Ex-CDU-Vorsitzenden Seitmann: „Man hat mir nahegelegt, Strafanzeige zu stellen“ berichtet sie von ihrem Gespräch mit der Polizei. Nun, die Zusammenarbeit scheint ja reibungslos zu funktionieren. Auch von Günther Kissel wurde Strafantrag gestellL Leider weigerte sich der Richter, den 2-seitigen Strafantragzu verlesen, obwohl ihn die Verteidigerin dazu aufforderte. Schade, so ist uns und der Öffentlichkeit ein weiteres Stück der erbaulichen Polit-Prosa Kissels entgangen.

Der Prozeß endete, wie er in Solingen nun mal enden mußte: In seinem Plädoyer plädierte der Staatsanwalt auf 15 Tagessätze für die beiden erwachsenen Angeklagten, denn „Bei uns in der Bundesrepublik kann jeder seine politische Meinung vertreten, wie er will.“ Neben dem Hausfriedensbruch sei auch der „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz sonnenklar, weil man Sonnenbrillen nachts nicht benötigt.“ Da mochte die Verteidigung noch so sehr argumentieren, daß das Recht auf Meinungsfreiheit doch für die Angeklagten und ihre friedliche Aktion gelten müsse und daß der subjektive Tatbestand des Verstoßes gegen das Vermummungsverbot nicht erfüllt sei, da alle Angeklagten ihre Personalausweise zeigten und nicht versuchten, vor der Polizei ihre Identität zu verbergen – das Solinger Landrecht schlug wieder zu und so wurden die Angeklagten exakt gemäß dem Strafantrag des Staatsanwaltes verurteilt. In der Begründung führte der Richter aus, „man kann sich auch nicht darauf berufen, daß man diese Vermummung nur gemacht hätte, weil man die politischen Gegner als gefährliche politische Gegner ansieht.“- Ja, ja, wer sich in Gefahr begibt… Sichtlich zu nerven schienen den Richter aber die zahlreich anwesenden, mit den Angeklagten sympathisierenden Zuschauerinnen: „Eine Bagatelle ist ein Hausfriedensbruch in keinem Fall … daß es keine Bagatelle ist, sieht man schon an der Mühsal, der sich sämtliche Zuhörer unterziehen, die sich wieder und wieder hierhin begeben.“ Ob es heute schon als strafverschärfend gilt, wenn Zuhörerinnen im Gerichtssaal sitzen?

Krabat