LeserInnenbriefe

Hallo Kollegen und Genossinnen!

Da so manche unkritisiert den Solinger Aufruf “Den braunen Sumpf trockenlegen” nachgedruckt haben und das gleichlautende Plakat verklebt haben, möchte ich euch noch protestierend mitteilen, daß dieser von nicht wenigen als negativ empfunden wurde.

Ich selbst weiß, daß einer der wesentlichen faschistischen Wünsche darin besteht, Sümpfe auszutrocknen, Fluten einzudämmen,- überhaupt alles Fließende abzudichten und alles Lebendige in Großeinheiten erstarren zu lassen. Nachdem im Leipziger 1. Mai Aufruf den Faschisten schwarz auf weiß die Soziale Frage überlassen wurde, weil diese nicht mehr “für uns nutzbar” sei, ist diese Parole der nächste dicke Hammer von seiten bestimmter Antifas!

Wen wollt ‘Ihr’ mit dieser Faschistenmetapher hinterm Ofen herlocken!?

Muß man denn Klaus Theweleits Männerphantasien gelesen haben, um so einen Mist nicht zu machen? -Von ca. 1931 her, wo John Harthfield in einer Fotomontage den Kanzler Papen dabei zeigt, roten Sumpf trockenzulegen, könnte bspw. die Sache bekannt sein.

Nun hab ich in Solingen nach der Demo auch noch zu allem Überfluß von einem älteren Aktivisten gehört, diese Männerphantasie wäre von den Betreffenden  in vollem Bewußtsein dieses Problems als Hauptaussage gewählt worden, das wäre für ihn ein Grund gewesen, die Vorbereitungen nicht mitzumachen!

Ich frage mich: Was sind das denn für Experimente- wo soll das noch hinführen?!

Etwa daß in antifaschistischen Aufrufen die Neos demnächst Ratten und Schmeißfliegen genannt werden,- als “neue Taktik” etwa? Das zu sagen ist überhaupt nicht unberechtigt, da jetzt in zwei Aufrufen -der Antifa der tolle Spruch auftaucht: “Alle Menschen auf die Beine – gegen die Faschistenschweine!” – Mensch gegen Schwein?!

Dazu sage ich mit Bert Brecht “Auch der gerechte Zorn verzerrt das Gesicht”, und das heißt, da das Gesicht/der Kopf der Sitz der meisten Sinne ist, der Haß schränkt die Wahrnehmung ein. Doch die brauchen wir um als eine sozial fortschrittlich-kämpferische Opposition in der Gesellschaft erfolgreich zu sein, im Gegensatz zu denen, die aus psychischen oder polit-taktischen Gründen nicht ohne Feind(bild) existieren können. Wir brauchen, um eine erfolgversprechende Strategie und Taktik entwickeln zu können, eine möglichst vielseitige und tiefe Wahrnehmung der ganzen Wirklichkeit – Schluß mit dem Sektierertum!

Militanz selber, ebenso wie “Gewaltfreiheit” (beides übertüncht mit Moralin) sind keine Strategie, aber auch keine Taktik, egal ob legal oder illegal -.

Was soll denn sonst das immer wieder vorgebrachte Reden davon, daß die Neofaschisten oder Rassismus zunehmend “aus der Mitte der Gesellschaft kommen” -. Etwa um demnächst fast alle zu Schweinen zu erklären und ganz “Deutschland” den Krieg zu erklären als RAF im Geiste und wieder “Bomber Harris” zu rufen. -So kann man natürlich “rein” werden oder bleiben, braucht nichts wesentliches zu lernen und braucht sich in “der Masse” nicht die Finger “schmutzig” zu machen-. Oder waren die betreffenden Analysen, u.a. vom Duisburger Inst. f. Sprach und Sozialforschung, ein wichtiger Hinweis dazu, wohin der mittelfristige Schwerpunkt politischer Arbeit zu legen sei? Und der besteht nicht nur im Demonstrieren mit taktischen Konzepten, die betreffs “Verhindern” unter aller Sau sind.

Nimmt man mal den Text des Solinger Aufrufes -der ähnlich vieler anderer Aufrufe mehr einer komprimierten propagandistischen Aufklärungsstunde gleicht, denn einem (agitatorischen) Mittel um viele Leute mitzureißen- so konnte ich zwar allen Einzelpunkten zustimmen. Jedoch merke ich nach und nach die Gesamthaltung: Jammer, Defensive/ den Rechten hinterherhängen; nichts Positives oder Aggressives; keine entsprechenden Forderungen und auch keine Kampflosungen zu notwendigen “gegen” und “Anti-”. -Kein einziger Vorschlag an den Leser hinsichtlich der Stadtverwaltung, hinsichtlich Kissel(nazi) oder sonst etwas zu tun, wo und wie man Druck, Punk, Protest, Unterschriftensammlungen oder sonstirgendetwas auch außerhalb der angepeilten Demo machen sollte.

Bei dieser Tendenz könnt’ ich mir als Ergebnis beinahe eine religiöse Prozession, unter einem moralischen Hauptmotto vorstellen; eine solche Veranstaltung hätte den Vorteil, sich die militanten Allüren oder auch nur Attitüde sparen zu können und so vielleicht sogar mehr “Aufmerksamkeit” erhalten, aber auch mehr innerliche Erbauung und Festigung erreichen —und genauso politisch folgenlos bleiben. Oder fehlt ein bestimmter Lustgewinn??

Während wir den faschistisch Erregbaren möglichst selten bestätigen sollten, daß wir so “gefährlich–anders–fremd–schweinisch” sind – angeblich –, sollten wir lernen, wie der berühmte Fisch im Wasser –so im Volk– gegen den Strom zu schwimmen; aber dabei gleichzeitig gute Kräfte rausfischen und von Vielen vor allem lernen:

Und was die ‘Militanz’ anbetrifft: die hat die Linke, oder auch die Politik, nicht gerade erfunden.

Mehr Sümpfe und Rot Flut!

Achim Schürmann, Gelsenkirchen