Lokalradios unserer Nachbarn

Über die Grenze gehört

Radiostationen, die weder dem kommerziellen, noch dem öffentlich-rechtlichen Sektor zuzuordnen sind, haben in den letzten Jahren in vielen Ländern einen wahren Boom erfahren, der in jeder Hinsicht an Deutschland vorbeiging. Weder wurden hier entsprechende Sender lizensiert – sieht man von Radio Dreyeckand in Freiburg und wenigen anderen ähnlichen Stationen – einmal ab – noch wurde dieser internationale Prozeß ernsthaft zur Kenntnis genommen oder gar der Versuch unternommen die Radiolandschaft dieser internationalen Entwicklung zu öffnen. In Deutschland , wurden „Lokalradios“ lizensiert, deren Zweck darin besteht, Gewinne zu erwirtschaften. Welche Möglichkeiten über diese „gefunkten Werbeblättchen“ hinaus im Medium Lokalradio stecken, verdeutlicht ein Blick über die deutschen (Radio-)Grenzen.

Andere Länder – andere Radios…
Das Beispiel Niederlande

Radio-Selber-Machen hat in den Niederlanden eine lange Tradition. Es fing in den zwanziger Jahren mit den unterschiedlichsten Rundfunkstiftungen an. In den sechziger Jahren etablierten sich zahlreiche Medien-Initiativen und ab den achtziger Jahren gingen viele legale sowie illegale Lokalradios auf Sendung. Die Rundfunklandschaft wurde immer von unterschiedlichsten Gruppen und Radiomachern geprägt. Im Gegensatz zu der eher obrigkeitsstaatichen Rundfunktradition hatte das niederländische Rundfunksystem vor alem eine Koordinationsfunktion. Auf der grundlage einer vertikal gegliederten Gesellschaft entwickelten sich Rundfunkvereine und Stiftungen. Über dreißig Organisationen haben in diesem kleinen Land eine Sendeerlaubnis – daneben gab es bis Anfang 1990 eine Unzahl von Privatsendern mit den unterschiedlichsten Ansprüchen und Hörerreichweiten vom nichtkommerziellen Initiativenradio bis hin zum reinkommerziellen Popmusik-Dudelfunk). Spätestens seit den sechziger Jahren hat es in den Niederlanden eine sehr lebhafte Alternativmedienszene als Gegenbewegung zu den insttutionalisierten Massenmedien gegeben. Hausbesetzer, Frauen, Anhänger von sozialen Bewegungen und andere Gruppen bildeten themengebundene Medieninitiativen. Mitte der siebziger Jahre verschob sich der Akzent dieser InitiatVenauínicht-themengebundenelokaleMedien. Etwa fünfzehn dieser Initiativen gründeten im Dezember 1981 die OLON, Organisatie van Lokale Omroepen in Nederland (Organisation des lokalen Ründfunks in den Niederlanden). Basis dieser Radioinitiativen sind nicht mehr gemeinsame Themen, sondern die unterschiedlichsten Interessen innerhalb einer Gemeinde Die OLON finanziert sich aus bezahlten Serviceleistungen, Parlamentszuwendungen, Mitgliedsbeiträgen sowie aus dem Verkauf einer egenen Zeitschrift. Sie versteht sich als „Gewerkschaft für die lokalen Rundfunkstationen“ und kämpft auf politischer Ebene für die Interessen der Lokalfunker, hilft neuen Lokalfunkinitiativen beim Lizenzantrag und vermittelt Wissen und Erfahrungen mit dem Umgang des Mediums Croßen Einfluß hatte die OLON auf die Gestaltung des derzeitgeltenden Mediengesetzes von 1987. Kernpunkte dieses Gesetzes sind:
– Die Finanzierung: Sie muß durch lokale Mittel gewährleistet sein. Werbung und Kommerzialität sind strikt untersagt.
– Die Organisation: Lokalradio mußte repräsentativ organisiert sein. Alle sozialen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Interessen der Gemeinde müssen Vertreten sein.
– Die Programmbeteiligung: Alle Gruppen der Gemeinde müssen Zugang zum Lokalsender haben.
– Die Anzahl: Pro Gemeinde wird nur ein Lokalsender lizensiert.

Es folgen im Text nun Beispiele nichtkommerzieller Lokalradios in den Niederlanden.

SALTO-Amsterdam

In der niederländischen Hauptstadt sendet neben kommerziellen Privaten und dem Bewegungsradio „Radio 100“ die Lokalrundfunkorganisation SALTo Das Lokalradio in Amsterdam ist ein bedingt offenes Gruppenradio für das SALTO den organisatorischen Rahmen bildet, dh, es werden zeitlich begrenzte Unterlizenzen an unterschiedliche Radiogruppen vergeben Kirchen, Hausbesetzer, Homosexuelle, Türken und andere Verantwortlich für die Sendung sind die jeweiligen Gruppen. Einzelne Mitarbeiter von SALTO sind festangestellte bezahlte Kräfte – darüber hinaus arbeiten 500-600 Menschen aus den Radiogruppen ehrenamtlich. Unterstützt wird SATO ua mit einer jährlichen Spende von dem Amsterdamer Kartellbetreiber KTA in Höhe von hf 150.000. Der durchschnittliche Jahresetat der Radiogruppen beträgt insgesamt ca. hf 30.000

LOG – Lokale omroep Goirle

In einer ehemaligen Glühlampenfabrik in der Wohngemeinde Goire befindet sich das Lokalradio. Einmal jährlich wählen die Mitglieder von LOG den sechsköpfigen Vorstand und stimmen über die Programmgestaltung ab. Mitglied von LOG kann jeder werden – wer jedoch aktiv mitarbeiten möchte, muß zunächst einen bestimmten Betrag als Pfand hinterlegen. Dann bekommt er eine fundierte Ausbildung. Absolventen dieser Kurse verdienen später oft ihr Geld als Mitarbeiter des nationalen Rundfunks Hilversum. Nach dieser Ausbildung müssen die neuen Mitarbeiter mindestens zwei Jahre bei LOGmtwirken – sonst verfällt das eingezahlte Pfand zugunsten des Senders. Die aktiv mitwirkenden Mitglieder sind auf zwei Gruppen aufgeteilt: Etwa 40 sind für die Technik zuständig und 30

gestalten das Programm, aufgeteilt nach den Themengruppen: Politik, Milieu, Soziokultureles, junge Menschen, Sport und Nachrichten Jeder vierte Einwohner von Goire ist bei LOG Mitglied Programme von, für oder mit ethnschen Minderheiten gibt es bei LOG nicht. Versuche, ausländische Mitbürger zur Mitarbeit zu bewegen, scheiterten. Für Außenstehende gibt es jeden Sonntag von 12-13 Uhr die Möglichkeit eine Sendung frei zu gestalten

Radio Rataplan – Nijmegen

Radio Rataplan ist ein Piratensender mit Lokalradiofunktion. Den Namen „Rataplan“ hat sich dieser Sender nach dem ewig faulen Hund des Comic-Helden Lucky Luke gegeben. In Bolivien ist Rataplan die Bezeichnung für Dorfumrufer Entstanden ist Radio Rataplan als HausbesetzerRadio. Etwa 100 Menschen arbeiten aktiv beim Sender mit. Die Themen sind breitgefächert: Viele Informationen, Aktuelles und Hintergründe aus Nijmegen, Kunst und Kultur, Musikgruppen aus Nmegen haben ebenso ihre speziellen Sendungen wie Frauen, Kinder, Anarchisten, Homosexuele, Literaten und es gibt Sendungen auf türkisch, spanisch sowie Programme mit karibischer, südamerikanischer oder experimenteller Musik. Eine formale Organisation gibt es bei Radio Rataplan nicht. Niemand, der aktiv an der Programmgestaltung mitwirken möchte, wird ausgeschlossen. Programmdirektoren, Wellenchefs oder Chefredakteure sind allerdings unerwünscht. Der Sender hat sich in Nijmegen als fester Bestandteil der lokalen Medien etabliert. Finanziert wird Radio Rataplan durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Einnahmen aus Veranstaltungen.
Gesendet wird auf der Frequenz 102,5 Mhz mit einer Sendeleistung von 40 Watt. Damit beträgt die technische Reichweite etwa 30 km im Umkreis, bei Überreichweiten kann Radio Rataplan auch hier bei uns empfangen werden.
Die kleinen Einblicke in die Radiolandschaft unseres Nachbarn Niederlande verdeutlichen, wie Radio gemacht werden kann, welche Möglichkeiten in diesem kreativen Medium stecken. Die Betrachtung der lokalen Radiolandschaft unserer Nachbarländer kann fortgeführt werden. Wenn Ihr, liebe Leserinnen und Leser, in Eurer tacheles mehr darüber erfahren wollt, wendet Euch an die Redaktion.

Helgo Ollmann