Kisselfreunde versus Antifas

Schweigeminute für und stilles Gedenken an die Opfer des Solinger Brandanschlages war das Motto am 2. Jahrestag im Mai diesen Jahres. Ein lautes Aufschreien gegen die geistigen Brandstifter sollte es nach Wunsch der Offiziellen der Stadt nicht geben. Aus gutem Grund. Dennoch machten sich einige AntifaschistInnen ans Werk einen der aktivsten Rechtsextremisten Solingens (mal wieder) ins Licht der Öffentlichkeit zu ziehen. Dafür wird ihnen nun der Prozeß gemacht.

Angeklagt sind acht Antifas wegen Hausfriedensbruchs und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Vermummung. Die acht waren am 28.5.95 auf das Gerüst eines Neubaus an der Konrad-Adenauer-Straße geklettert und entrollten dort Transparente, mit denen sie gegen öffentliche Bauaufträge für den Rechtsextremisten Günther Kissel protestierten. Etwa 100 Menschen aus den anliegenden Häusern kamen auf die Straße und solidarisierten sich mit den Gerüstbezwingerlnnen. Als diese nach 11/2 Stunden ihre Aktion beendeten, wurden ihre Personalien von herbeieilenden ,FreundInnen und HelferInnen‘ (wessen eigentlich?) festgestellt.
Hätte die Aktion dem normalen Rassisten Hinz oder Kunz gegolten – kein Mensch hätte sich empört. Aber gegen den ”ehrenwerten Bürger” Günther Kissel? Das geht ein Stück zu weit. Muß der arme Kerl doch auch immer wieder ”unerträgliche Repressalien von bestimmter Seite ertragen” (Kisselfreund und Bürgermeister Bernd Krebs, CDU). Kisselfreund und Oberstadtdirektor lngolf Deubel (SPD) lobte unlängst die ”gute Zusammenarbeit” mit dem geistigen Brandstifter. Und schließlich sind wir ja alle gute Demokraten, und solange wir uns auf demokratischem Boden bewegen, können wir tun und lassen, was wir wollen (Konsens der Kisselfreunde im Stadtrat).

Sie schworen vor Gott einen heiligen Eid (sie taten, als ob sie es täten):
das Volk zu bewahren vor Sorge und Leid – doch dachten Sie voller Begehrlichkeit an Macht nur und an Diäten. Das Volk war fleißig und treu und dumm und rackerte sich für die Steuern. Sie warfen das Geld in der Welt herum, und kein Potentat war ihnen zu krumm, Verbrüderung mit ihm zu feiern. Die Fremden dachten: ”Ei sieh mal an!” und feixten schlau und verstohlen: ”Das sehen wir uns vor Ort mal an. Wenn man soviel Geld verschenken kann, dann gibt’s da noch mehr zu holen!” Sie kommen ”first class” per Jet und per Bahn, per Taxi zur deutschen Behörde. Sie fangen ein großes Lamento an, was ”böse Feinde” ihnen getan! Und drohen sofort mit Beschwerde!
Sie strömen herein in gewaltiger Flut – wir zahlen und zahlen und zahlen. Und langsam kommt unser Volk in Wut! Wir schuften und blechen – und sie leben gut. Sie lügen, betrügen und prahlen. Und unsere hohen Herren in Bonn, bedenken sie was sie geschworen? Mitnichten! Sie rügen in rauhem Ton und nehmen das eigene Volk in Fron. Der Fremdling bleibt ungeschoren. Sie sind im Prinzip beide ganz egal: Sie leben von unseren Moneten! Was interessiert sie des Volkes Qual, man quetscht es aus zum hundertsten Mal für Asyl und für höhere Diäten.

Obenstehendes ”Sprüchlein” verteilte Kissel neben einigen anderen geistigen Ergüssen an seine Belegschaft ”zur Aufmunterung” anlässig der Jahreswende 91/92. Kurz nachdem in Hoyerswerda und Rostock ”unser Volk in Wut” kam. Und ganz so ungeschoren blieb ”der Fremdling” dann doch nicht – siehe 29.5.93.
Im gleichen Schreiben ruft er die ”schweigende Mehrheit unserer Bürger” auf, bei anstehenden Wahlen ”richtig” zu wählen: ”Wenn sie (die schlafende Mehrheit, d.A.) diesmal nicht konsequent und richtig handelt, dann wird sie in naher Zukunft aus ihrem Schlummer geweckt, reibt sich die Äuglein und stellt fest, daß sie in unserem Staate nunmehr in der Minderheit sich befindet. Demokratisch hat die Mehrheit bekanntlich zu sagen, und diese Mehrheit wird dann aus Fremden bestehen.”
Wurden die Wünsche unseres Deutschländer(-würstchen) teilweise erfüllt (Änderung Art. 16 GG etc.), schreitet er elanvoll zur Tat und ist 1994 Gründungsmitglied eines ”Verein Gedächtnisstätte e.V.”. Seine Firma stellt er für Versammlungen des Vereins selbstredend zur Verfügung. Ziel des Vereins ist die Errichtung eines Denkmals ”mitten in Deutschland”. Dort soll das Gedenken gepflegt werden, das Gedenken ihres Hungers, Frierens, Fronens, Fliehens, Fürchtens, ihrer Entbehrung und Verlassenheit, ihrer Todesängste und Qualen in Feuersbrünsten. Wessen? Der Juden und Jüdinnen? Sinti und Roma? Der BewohnerInnen der von Deutschland überfallenen Länder? Der Kornmunistlnnen, Anarchistlnnen, SozialdemokratInnen und anderen Antifaschistlnnen, die in den Konzentrationslagern ermordet wurden? Weit gefehlt! Gemeint ist das arme, geschundene deutsche Volk, das jubelnd Hitler an die Macht brachte, das mit keiner Wimper zuckte, als die jüdischen Menschen verschwanden, das 55 Millionen Tote zu verantworten hat!
Daß ein 8üjähriger Greis unbelehrbar seine braune Scheiße verbreitet, ist schlimm, aber nicht weiter verwunderlich. Skandalös ist, wenn eine heuchlerische Clique im Stadtrat einerseits bei jedem in Solingen gesprühten Hakenkreuz vor Empörung laut aufschreit und schärfstes Vorgehen gegen den Übeltäter fordert, anderseits einen aktiven rechtsextremistischen Drahtzieher, Volxverhetzer und Auschwitzleugner hofiert und vor ihm zu Kreuze kriecht. Vor Gericht gestellt werden Menschen, die sich nicht damit abfinden, daß in einer Stadt, in der fünf Frauen von Faschisten ermordet wurden, geistige Brandstifter weiterhin unbehelligt ihre Hetze betreiben können. Und die sich nicht damit abfinden, daß in Rat und Verwaltung Leute sitzen, die Betroffenheit heucheln und wider besseres Wissen mit Rechtsextremisten paktieren.

Dieter Kawuttke, Autonome Antifa Solingen

Solidaritätskonzerte für die Kissel-Baustellen Besetzerlnnen: 1) 11. November im Meiers um 20.00 Uhr mit der Radischewski-Band, Mantrap und Special. 2) 1. Dezember im Autonomen Zentrum Wuppertal (Wiesenstraße in Elberfeld) um 20.00 Uhr mit Lunchbox, The Puke und Special. Spendenkonto für die Angeklagten 490486 – 432, Postgiroamt Essen, 5. Sharkin, Stichwort Kissel.