Kommen jetzt doch Kürzungen bei den Bussen?

Der ÖPNV-Fahrgastbeirat erhielt die 33-seitigen Vorlagen zu Kürzungen beim Busverkehr erst in seiner Sitzung am 1.9. 2016. Darin stand: Der derzeitige Busfahrplan soll um ca. 605 Tsd. €/Jahr gekürzt werden. Darüber sollte der Beteiligungsausschuss schon am 13.9. und der Planungsausschuss (ASUKM) am 19.9. entscheiden.

Vorgeschlagen werden, neben weiteren, folgende Kürzungen im Busangebot:
– Starke Reduzierung der Nachtbedienung Sonntags bis Donnerstags. Auf den Hauptlinien würde der letzte Bus um ca. 23:30 Uhr los fahren.
– Einsparung der ersten Frühfahrten an Sonntagen.
– Taktreduzierung der Linie 683 zwischen Krahenhöhe und Burg auf maximal 30 min-Takt.
– Aufgabe des Kleinbusses KB 688, der seit Ende 2013 für eine bessere Anbindung der bisher völlig abgeschnittenen Wohngebiete Fürkeltrath, Eipaß, Nümmen, Lochbachtal sowie der Gewerbegebiete Dycker Feld und Piepersberg sorgt.
– Busse der Linie 684 sollen wochentags durchgängig nur noch alle 15 Minuten fahren, notwendig werdende Zusatzbusse nicht im Fahrplan erscheinen.

Zur Vorgeschichte 1: Ratsmehrheit verhindert 2014 Feiths Bus-Kahlschlag

Der frühere OB Feith (CDU) und die Stadtverwaltung hatten 2014 vorgeschlagen, den Umfang des gerade erarbeiteten neuen Nahverkehrsplans (NVP) um 800 Tsd. €/Jahr zu kürzen. Das Ergebnis vieler Proteste und langer Verhandlungen zum Haushaltssicherungsplan 2015 (HSP) zwischen den Ratsfraktionen wurde am 11.12.2014 vom Rat beschlossen:
200 Tsd. €/Jahr sollten durch „Begrenzung Fahrplan auf Niveau des Nahverkehrsplanes“ gespart werden. Das bedeutet: Der gerade beschlossene NVP sollte weiterhin vollständig umgesetzt werden. Von den Stadtwerken (SWS) durchgeführten Fahrten dagegen, die über das Busangebot des NVP hinausgehen, sollen eingespart werden. Der Fahrgastbeirat hat dazu einen detaillierten Vorschlag erarbeitet. Und durch den Sommer-Schulferienfahrplan wurden schon ca. 76 Tsd. €/Jahr eingespart.
200 Tsd. €/Jahr sollten durch „Einnahmeoptimierung“ das Ergebnis verbessern. Durch Mehreinnahmen aus Fahrpreiserhöhungen, verbessertem Marketing und Sozialtickets wurden sogar 270 Tsd. €/Jahr eingenommen. Anders als in vielen Nachbarstädten werden in Solingen die Einnahmen aus Fahrpreiserhöhungen nicht durch Fahrgastverluste aufgefressen. Dies ist ein Erfolg des gut an die BusnutzerInnen angepassten Angebots.
Weitere 300 Tsd. €/Jahr sollten durch interne Einsparungen ohne Auswirkungen auf den Fahrplan erbracht werden. Durch ein Restrukturierungsprojekt wurden schon weit mehr als 200 Tsd. €/Jahr eingespart.
Die verlangte HSP-Kostensenkung des Busverkehrs um insgesamt 700 Tsd. €/Jahr wird also vollständig erbracht werden.

Der umweltfreundliche Busverkehr wird in Solingen gut genutzt. Am Busbahnhof Graf-Wilhelm-Platz gint es sehr viele Fahrgäste. Foto: Heinz Mähner

Der umweltfreundliche Busverkehr wird in Solingen gut genutzt. Am Busbahnhof Graf-Wilhelm-Platz gint es sehr viele Fahrgäste.
Foto: Heinz Mähner

Nicht miteinander vergleichbare Zählungen sollen Angebotsabbau begründen

Statt der HSP-Position „Begrenzung Fahrplan auf Niveau des Nahverkehrsplanes“ mit einer Einsparung in Höhe von 200 Tsd. €/Jahr sollen nach der aktuellen Vorlage jedoch ca. 605 Tsd. €/Jahr im Fahrplan eingespart werden.
Als Begründung wird angeführt, dass Fahrgastzählungen einen Rückgang der Fahrgäste um 4% erbracht hätten. Dabei wurden die Fahrgastzählungen zu unterschiedlichen Zeiten durchgeführt: Während 2013 im Herbst gezählt wurde, geschah dies 2015 im Frühjahr und im Herbst. Im Herbst werden die Busse wegen des Wetters jedoch stärker genutzt. Statt bei den Zählungen Äpfel mit Birnen zu vergleichen wäre es sinnvoll, Zählgeräte einzusetzen. Unberücksichtigt blieb auch, dass die Bevölkerungsentwicklung nach den Zählungen im letzten Jahr angestiegen ist und dieser Trend nach allen Prognosen anhalten wird. Zugleich gibt es einen wachsenden Anteil älterer Menschen, die auf den Bus angewiesen sind. In Wirklichkeit hat auch der neue NVP dazu beigetragen, dass die SWS Einnahmesteigerungen um 270 Tsd. €/Jahr realisieren konnten (s.o.). Ein weiterer positiver Effekt ist, dass abends bei verbessertem Angebot wieder deutlich mehr Menschen mit dem Bus fahren. Die Schaffung eines vernünftigen Angebotes hat sich also gelohnt. In Bereichen, in denen die Bedienung eingeschränkt wurde, wie bei der Linie 695 gab es dagegen Fahrgastverluste.

Der Fahrgastbeirat fordert, nicht übergangen zu werden

Dies wäre ein Kahlschlag, eine Missachtung der intensiven Bürgerbeteiligung und ein Verstoß gegen den Ratsbeschluss zum geltenden HSP und zum NVP.
Der Fahrgastbeirat beschloss am 1.9. 2016 einstimmig ohne Enthaltungen:

„1. Der ÖPNV-Fahrgastbeirat appelliert an die Solinger Stadtverwaltung und die Solinger Kommunalpolitik, den Leistungsumfang des vom Stadtrat am 16.05.2013 beschlossenen Nahverkehrsplanes beizubehalten und keine weiteren Kürzungen beim Busangebot durchzuführen. Ein guter öffentlicher Personennahverkehr in Solingen erbringt einen wesentlichen Beitrag dazu, dass die Stadt ihre Aufgaben aus dem „Klimaschutzkonzept der Stadt Solingen“ sowie als Modellkommune im Projekt „Global nachhaltige Kommune in NRW“ in Bezug auf den Umweltschutz und die soziale Inklusion erfüllen kann.
2. Der Nahverkehrsplan wurde unter intensiver Mitarbeit des Fahrgastbeirates nach umfangreicher Bürgerbeteiligung u.a. in fünf Bürgerversammlungen erarbeitet. Die Fahrgäste des öffentlichen Personennahverkehrs haben ein Recht darauf, nicht weiter verunsichert zu werden durch ständig wiederkehrende Kürzungsdiskussionen.
3. Die im Nahverkehrsplan enthaltene Kleinbuslinie KB 688 soll weiterhin erhalten bleiben. (…) Für die Fahrgäste sinnvolle Optimierungen in Streckenverlauf und Taktung sollten geprüft und umgesetzt werden.
4. Der ÖPNV-Fahrgastbeirat verweist auf seinen einstimmigen Beschluss vom 02.06.2016 zum Umgang mit der Haushaltssicherungs-Position „Begrenzung Fahrplan auf Niveau des Nahverkehrsplanes“. Er appelliert an den ASUKM, die darin vorgeschlagenen Maßnahmen zur Erfüllung des HSKs umzusetzen und keine weiteren Angebotseinschränkungen gegenüber dem derzeit geltenden Fahrplan durchzuführen.“

Der Fahrgastbeirat wandte sich auch dagegen, dass die Beschlüsse schon gefasst werden, ohne dass er sich mit den Verwaltungsvorschlägen auseinandersetzen konnte: „Der ÖPNV-Fahrgastbeirat spricht sich dringlich dafür aus, die Beschlussfassung der weiteren Gremien zu verschieben. Die in der Sitzung gewünschten Daten (konkrete Fahrtzeiten der Kürzungen im Früh- und Spätverkehr, Einnahmeentwicklung des Verkehrsbetriebes, Bevölkerungs- und Schülerzahlen seit der Fahrgastzählung 2015 sowie die konkrete Euro-Bezifferung der Kilometer-Leistungen der Kürzungsvorschläge) sollten zunächst vorgelegt werden. Er bittet eine weitere Sitzung des ÖPNV-Fahrgastbeirates unter Kenntnis dieser Daten abzuwarten.

Das Einsparziel wird nachträglich noch höher gerechnet

In den SWS-Wirtschaftsplan wurde, von der Öffentlichkeit unbemerkt, noch eine weitere Einsparsumme eingerechnet: In anderen Bereichen gehen die HSP-Maßnahmen aus dem Vorjahr in den Beschluss des aktuellen HSP mit ein. Im Falle der Einsparungen im Verkehrsbereich soll dies anders sein. Hier rechnet die Verwaltung jetzt zu den 700 Tsd. €/Jahr aus dem 2015er HSP weitere 400 T. €/Jahr als Einsparziel für interne Einsparungen aus früheren Haushaltssicherungsplänen dazu. So soll der Verkehrsbereich jetzt also statt 700 Tsd. €/Jahr 1,1 Mio. €/Jahr einsparen.

Wird der Aufbruch für einen attraktiveren Nahverkehr durch massive Kürzungspläne zunichte gemacht? Foto: Heinz Mähner

Wird der Aufbruch für einen attraktiveren Nahverkehr durch massive Kürzungspläne zunichte gemacht? Foto: Heinz Mähner

Soll jetzt soll der Busverkehr die BSG-Krise ausbaden?

Zugleich rollt eine weitere Kürzungsrunde beim ÖPNV heran: Die Stadt Solingen hat sehr viele kostenträchtige Einrichtungen in die Beteiligungsgesellschaft (BSG) ausgelagert. Diese ist eine 100%ige Tochter der Stadt. In der Regel entstehen Verluste bei Wirtschaftsförderung, Galvanoinstitut, Gründerzentrum, Symphonikern, Kunstmuseum, Musikschule und Schwimmbädern. Nur die SWS machen sogar nach Abzug des Defizits des Busverkehrs von den Einnahmen des Versorgungsbereiches immer noch Gewinn. Die SWS können die Aufwendungen für die zahlreichen Einrichtungen aber nicht mehr alleine ausgleichen. Deshalb wird die BSG ca. 2021 insolvent werden, wenn nichts geschieht. Die Stadt hat eine Unternehmensberatung damit beauftragt, eine „Portfolio-Untersuchung“ der BSG durchzuführen, deren Empfehlungen am 22.9. 2016 veröffentlicht werden. Notwendig wäre eine Rückabwicklung der Auslagerung der Einrichtungen in den städtischen Etat und eine Verbesserung der Einnahmen der Stadt. Nach Verwaltungsäußerungen ist jedoch zu vermuten, dass stattdessen der Busverkehr massiv eingeschränkt werden soll.
Der Geschäftsführer des SWS-Verkehrsbetriebes hat in den SWS-Wirtschaftsplan jedenfalls schon mal ein „Potential“ von zusätzlichen Einsparungen in Höhe von fast 700 Tsd. € genannt, das vermutlich mit weiteren Kürzungen verbunden wäre.
Der Stadtkämmerer schlägt derweil vor, den Zuschussbedarf des Busverkehrs auf dauerhaft 9 Mio. €/Jahr zu deckeln. Das wären 725 Tsd. € weniger, als dem Busbetrieb heute insgesamt zur Verfügung stehen.
Das wirkt so, als sei ein Philosophiewechsel geplant, bei dem nicht mehr versucht werden soll, mit einem verbesserten Angebot und kundenfreundlicherer Kommunikation mehr Menschen in Busse und Bahnen zu bringen. Stattdessen soll überall dort abgebaut werden, wo u.a. wegen eines unzureichenden Angebotes eine geringere Nutzung existiert. Die zu erwartende Folge wären massive Fahrplankürzungen, daraus resultierende Fahrgast- und Einnahmeverluste und somit eine fortgesetzte Abwärtsspirale.

Der Rat und die Verwaltung sollten weiterhin zu einem attraktiven Nahverkehr stehen!

Die Bürgerinitiative „Solingen gehört uns!“ befragte für ihre 2000fach verteilten „Wahlprüfsteine zur Kommunalwahl 2014“ die Parteien. SPD, Grüne, FDP, BfS, Linke, SG Aktiv und FBU erklärten schriftlich ihre jeweilige Ablehnung von weiteren Kürzungen beim Busverkehr. Nur die CDU schickte keine Antwort.
Im OB-Wahlkampf befragte die Bürgerinitiative Kandidaten für ihre, ebenfalls in 2000er Auflage verteilten, „Wahlprüfsteine zur Oberbürgermeisterwahl“. Eine Frage lautete: „Werden Sie als Oberbürgermeister in ihrer Amtszeit 2015 – 2020 weitere Kürzungen beim Solinger Busverkehr unterstützen?“ Der damalige OB-Kandidat und heutige Oberbürgermeister Tim Kurzbach schrieb dazu im April 2015: „Ich stehe hinter dem deutlich attraktiveren neuen Nahverkehrsplan, der bei den Solingerinnen und Solingern offenbar gut angekommen ist. SPD und Grüne unterstützen den SWS-Verkehrsbetrieb massiv darin, diesen Standard mit modernem Marketing und einer effizienten Unternehmensführung zu untermauern. Für weitere Kürzungen sehe ich keinen Anlass. Bei wirklich innovativen Ideen sollten vernünftige Umschichtungen innerhalb des Nahverkehrsplans aber immer möglich sein.“

Zur Vorgeschichte 2: Gesellschaftlicher Widerstand verhindert 2010 Fahrplankürzungen

Nachdem 2007 der Busverkehr beschnitten wurde, konnte 2010 beim großen „Sparhaushalt“ die von der Verwaltung vorgeschlagene weitere „Standardabsenkung ÖPNV“ um 750 Tsd. €/Jahr verhindert worden. Dem war ein gesellschaftlicher Aufschrei vorausgegangen. Auf Initiative von „Solingen gehört uns“, VCD und Schülervertretung des Gymnasiums Vogelsang war eine Resolution von 20 Solinger Vereinen gegen die Fahrplankürzungen erarbeitet worden. Mit dabei u.a.: BUND, Evangelische Stadtkirchengemeinde, Mitarbeitervertretung des Diakonischen Werkes Bethanien, Naturfreunde, Personalrat der Bergischen VHS und Solinger Frauenforum. In der Resolution heißt es: „Wir wünschen uns den Erhalt des Angebotsumfangs des Solinger Busverkehrs. Wir lehnen Angebotsabbau beim Öffentlichen Personennahverkehr ab, dies würde nicht zuletzt auch der Umwelt schaden.“ Auch bei der 2010er Internetbefragung waren die Kürzungen durchgefallen. Der 2010 neu eingerichtete ÖPNV-Fahrgastbeirat hatte in seiner ersten Sitzung die Ablehnung der Einschränkungen beim Busangebot gefordert.

Dietmar Gaida

Der ÖPNV-Fahrgastbeirat – die Interessenvertretung der Fahrgäste von Bus- und Bahn

(dg) Der Fahrgastbeirat wurde erstmals 2010 eingerichtet. Ihm gehören neben fünf Vertretern der Abo-Kunden u.a. Mitglieder des Jugendstadtrates, Seniorenbeirates, Frauenforums, der Umweltverbände und der Ratsfraktionen an. Er entwickelte in zahlreichen Treffen zusammen mit der Verwaltung und einem Gutachter den neuen Nahverkehrsplan, der besser auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet ist und viel Zustimmung erfährt. Besonders wichtig war dem Beirat dabei die Rücknahme von Kürzungen morgens und abends sowie die Berücksichtigung von bisher abgebundenen Siedlungen.