Was sonst noch in Solingen geschah

Ein subjektiver Rückblick auf die letzten drei Monate

Aufschlußreich ist die Berichterstattung der beiden Solinger Tageszeitungen über die Veranstaltungen zum Gedenken der Opfer des Brandanschlages. Relativ ausführlich und als Titelstory auf der ersten Lokalseite berichteten beide über die offiziellen Veranstaltungen zum fünften Jahrestag. Weit weniger Beachtung fand die Demonstration linker Gruppen gegen Naziterror und Ausländerfeindlichkeit. Die Morgenpost berichtete noch relativ ausführlich auf der zweiten Lokalseite. Das Tageblatt hingegen „informierte“ die Solinger Bevölkerung über die Demo wohl auf der ersten Seite mit Foto, welches aber im rechten unteren Eck versteckt war und mit nur vier Zeilen geschmückt wurde. Weit mehr Beachtung als die lokale Presse schenkten einige überregionale Zeitungen  wie die Frankfurter Rundschau, die taz und die junge Welt dieser Demo. Erstaunlich ist auch, daß das Tageblatt auf seiner dritten Seite im überlokalen Teil die Teilnehmerzahl auf 1000 schätzte, während es im lokalen Teil nur 700 waren. Aufmacher auf der ersten Seite des Lokalteils war übrigens ein Bericht über das Walder Pfingstfest. Diese Wertung beider Ereignisse und die Überschrift im ST „Demonstration verlief sehr friedlich“ zeigt, daß es dem Tageblatt hauptsächlich darum geht zu zeigen, daß wieder Ruhe und Normalität in der Stadt eingekehrt ist.

Folgerichtig schreibt Stefan M. Kob: „In Solingen laufen eine ganze Menge Angebote, die mit Sicherheit mehr bewirken als alle gut gemeinten oder hochtrabenden ‘Pflichtveranstaltungen’ zusammen. Denn entscheidend ist, junge Menschen aus ihrer Perspektivlosigkeit zu holen, damit Ausländer nicht mehr als Sündenböcke ihres Frustes herhalten müssen. Dies sind die tieferen Ursachen eines angeblich erstarkenden ‘Rechtsradikalismus’”. Die tieferen Ursachen für die hemmungslose Bereitschaft tumber deutscher Volksgenossen, Ausländern Gewalt anzutun, liegt aber in der Verständigkeit der Argumentation von Kob. Der Rassist kann nun willfährig kombinieren, hab ich keine Arbeit oder einfach nur Langeweile, habe ich eine allseitig anerkannte Legitimation meinen Haß an Ausländern auszulassen. Außerdem, wer in diesem Land behauptet, daß der Rechtsradikalismus nur angeblich erstarkt, muß völlig blind durch die Weltgeschichte laufen. Die Fakten sprechen wohl eine andere Sprache (Wahlerfolge der DVU, täglich rassistisch motivierte Gewalttaten etc.). Und ein letztes noch, die Gründe, warum Herr Kob, das Wort Rechtsradikalismus in Anführungszeichen setzt, sollten wohl besser im Verborgenen bleiben.

Proteste auf der Straße müssen aber nicht notwendig im Tageblatt mit Unverständnis aufgenommen werden. Über die berechtigte Demonstration von Eltern mit ihren Kindern gegen auf Landesebene geplante Sparmaßnahmen bei Kindergärten wurde wohlwollend berichtet. Aber zu behaupten, daß die Drei- bis Sechsjährigen mit ihrem  Demonstrationszug hierauf aufmerksam machen wollten, ist doch ein bißchen weit gegriffen. Denn wenn es ihre Demo gewesen wäre, wären auch Forderungen nach Erhöhung des Taschengeldes, mehr Süßigkeiten und eine flächendeckende Versorgung mit Hamburgern laut geworden.  Und Recht hätten sie natürlich auch dabei gehabt.

Flächendeckend ist die Stadt schon mit Baumärkten besiedelt. Der Stadtrat gab nun den Weg für den Bau eines neuen Obi am Mangenberg frei. Falls der neue Obi kommt, werden die zwei anderen Obi-Märkte schließen. Baumärkte scheinen in der Stadt ein lohnendes Geschäft zu sein. Solingen, die Stadt der Heimwerker, die sich ein trautes Heim schaffen. Dies paßt auch zu der Verdrängungsstrategie beider Lokalzeitungen in Bezug auf den Brandanschlag. Das wichtigste für Bürger und die Medien ist – nur nicht auffallen.

Gegen den Bau des neuen OBIs war die FDP. Sie wollte lieber, daß ein produzierendes Gewerbe sich an diesem Standort ansiedelt. Wahrscheinlich befürchtet sie, wie ihre Wählerklientel, die mittelständische einheimische Konkurrenz dieses Baumarktes, einen Verdrängungswettbewerb. „Unser“ Bürgermeister ist aber der Ansicht, daß das städtische Bebauungsplan-Recht nicht dazu da ist „in den Wettbewerb einzugreifen, den bestimmt die Marktwirtschaft. „ Heutzutage braucht es keine Erwähnung mehr, daß diese Position von einem Sozialdemokraten vertreten wird.

Eingegriffen in den Wettbewerb hat das Solinger Arbeitsamt mit Unterstützung der Polizei. Bei einer Razzia an der Großbaustelle am Mühlenhof wurden Verstöße gegen den Mindestlohn festgestellt und illegal Beschäftigte entdeckt. Einige Arbeiter hatten keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis. Da war der Sozialdemokrat Uibel empört, daß der sich selbst überlassene Markt für Ungerechtigkeiten sorgt. Hier wird am Beispiel Uibels das Dilemma der modernen Sozialdemokratie deutlich. Einerseits setzen sie immer stärker auf die selbstheilenden Kräfte des Marktes , andererseits empören sie sich noch über die negativen Auswirkungen. Die Rolle der Politik  in diesem Spannungsverhältnis kann so natürlich nicht definiert werden.

Die Empörung Uibels konzentrierte sich auf zwei Punkte. Erstens,  daß durch die Verletzung sozialer Standards und gesetzlicher Vorschriften diejenigen Auftrieb erhalten, die glauben, daß „ordentliche Bau- und Handwerksfirmen keine Chance hätten, Aufträge zu erhalten.“ Keine Beachtung fand er für die drei dort arbeitenden Kroaten, die in Abschiebehaft genommen wurden. Da er sich hierzu nicht äußerte, legt das Insistieren auf rechtliche Vorschriften nahe, daß er mit diesem Vorgehen einverstanden ist. So muß sich Uibel gefallen lassen, daß der allseits bekannte Solinger Bauunternehmer und Volksverhetzer Kissel sich von seinem Bürgermeister gut vertreten sieht. Das Tageblatt gab diesem Herrn Gelegenheit, sein Bedauern darüber kundzutun, daß selbst er nicht mehr nur mit seiner deutschen Kernbelegschaft arbeiten kann. Kissel meint dabei nicht völlig zu Unrecht, daß seine Positionen durchaus kompatibel mit denen von Uibel sind.

Zweitens störte es Uibel noch, daß durch die Razzia die Clemens Galerien einen erheblichen Imageverlust erlitten haben. Wo doch ein für allemal Ruhe in der Stadt herrschen soll.

Gerd Kunde