Nachdem die Bilder der französischen Arbeitslosen – die auf die Straße gingen, um zu demonstrieren und Verbesserungen ihrer Lage forderten – durch die Medien gingen und Wirkungen zeigten, organisierten diverse Arbeitslosengruppen, Gewerkschaften etc. auch in Solingen Protestveranstaltungen.
Allen Grund zum Protest lieferte das zum 1.1.98 eingeführte Sozialgesetzbuch III, das schwerwiegende Änderungen für Arbeitslose zur Folge hat, wie z.B. Meldepflicht, Bewerbungszwang auf Stellen (die es gar nicht gibt…) und drohenden Entzug von Arbeitslosenunterstützung. Zur Folge hat dies, daß immer mehr Menschen aus dem Leistungsbezug fallen und somit auch aus der Arbeitslosenstatistik. Ein wichtiger Gesichtspunkt, wenn man die sog. Trendwende auf dem Arbeitsmarkt hinterfragt. Diese Menschen sind dann in der Sozialhilfeempfängerstatistik wiederzufinden, die nämlich steigt.
In Solingen gründete sich zu Beginn des Jahres der ”Solinger Koordinationstreff gegen Arbeitslosigkeit”. Solidarisch erklärten sich die ÖTV, AfA, DGB, das Solinger Arbeitslosenzentum, Jugendberufshilfe, Sport- und Kulturzentrum Ittertal und viele mehr.
Nachdem schon 1997 eine handvoll Gewerkschaftler unter Protest die monatlichen Arbeitslosenzahlen empfingen, fanden ab Februar 1998 in Solingen bei deren Bekanntgabe diverse Aktionstage und Demonstrationen statt. Diese wurden bundesweit koordiniert und laufen unter dem Motto ”Endlich auf der Straße – die neue A-Klasse / Protest-Aktionen gegen Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und Armut.”
Chronik der Solinger Aktionstage:
Februar ‘98: ca. 150 Menschen demonstrieren vor dem Arbeitsamtgebäude in Solingen Ohligs. Transparente wie ”Wohlstandsmüll hält nicht mehr still” werden gezeigt. Mitglieder des Solinger Arbeitslosenzentrums verteilen Arbeits-Lose. Als Gewinne gibt es Arbeitsplätz(ch)e(n).
März ‘98: ca. 80 Personen demonstrieren bei Wind und Regen vor dem Arbeitsamt. Die Schlagzeile im ST,6.3.98 bezeichnend: ”Arbeitslose: drei weniger”
April ‘98: ca. 100 Demonstranten treffen sich vor dem Arbeitsamt und ziehen gemeinsam in die Ohligser City. ”Aktien über einen Anteil an der florierenden Massenarbeitslosigkeit” sowie Informationsmaterial über die soziale Lage in Deutschland wurden zunächst in der Citibank, danach in der Sparkasse an der Grünstraße sowie der Volksbank, der Deutschen Bank und der Dresdner Bank mit der Bitte verteilt, diese an die Chefetagen weiterzuleiten. Einzig in der Filiale der Deutschen Bank (wo auch sonst) stieß die Aktion der Protestanten auf wenig Gegenliebe, es erfolgte der Rausschmiß, der selbst von der begleitenden Polizei mit Kopfschütteln bedacht wurde.
Mai ‘98: mit einer Bewerbungsaktion an das Bundeskanzleramt drücken Erwerbslose ihren Protest gegen die Arbeitslosigkeit aus. Im Bewerbungsschreiben heißt es: ”Nachdem alle meine bisherigen Bemühungen fehlgeschlagen sind, bewerbe ich mich hiermit bei Ihnen, um alle Möglichkeiten zu nutzen, wieder in Arbeit zu kommen. Ich bin leistungsfähig, belastbar, zuverlässig und flexibel; ein Umzug allein oder mit der Familie stellt kein Problem für mich dar”. 120 Bewerbungsschreiben werden von Solingen versandt.
Juni ‘98: ca. 50 Menschen versammeln sich vor dem Arbeitsamt. Das Antwortschreiben des Bundeskanzleramtes (für alle Bewerber das Gleiche) steht zur Diskussion. Ein Auszug:
”…jedoch lassen mich die äußere Form wie auch der Inhalt Ihres Formblattes an der Ernsthaftigkeit Ihrer Bewerbung zweifeln. Solche Aktionen helfen weder dem Arbeitslosen noch der Arbeitsverwaltung und sind mit der gesetzlichen Regelung (Eigenbemühungen) nicht gemeint…” Aber Helmut!
Juli ‘98: der Aktionstag im Juli stand ganz im Zeichen der Gummibärenfirma. Zunächst ließ HARIBO im ST am 13.6.98 verlauten: ”Solingen muß eine glückliche Stadt sein,…,man hat keine Arbeitslosen,”. Auf einen kritischen Bericht im Wochenblatt sagte HARIBO-Sprecher Weihrauch: ”Wir haben lediglich einen Aufhänger gesucht, um Solinger Arbeitslose wachzurütteln”. Das haben Sie dann auch geschafft. Ca. 50 Demonstranten beteiligten sich an einer Versammlung vor dem Werksgelände an der Wuppertaler Straße und übergaben eine Bewerbung stellvertretend für 7000 Arbeitslose in Solingen. Von der Chefetage ließ sich übrigens niemand blicken, nur der Werkschutz inkl. deutschem Schäferhund trat in Erscheinung.
August ‘98: im Sommer (wenn’s denn einer war) -loch wurden vor dem Arbeitsamt ca. 100 Unterschriften gesammelt, die Bundesregierung und Bundestag auffordern, die unsinnigen Verschärfungen für Arbeitslose durch das SGB III zurückzunehmen. Arbeitslose konnten von ihren eigenen Erfahrungen mit den neuen Bestimmungen erzählen.
Die Beteiligung an den Protestveranstaltungen war im Vergleich mit den Arbeitslosenzahlen von 7000 +X in Solingen natürlich gering. Trotzdem machen die Veranstaltungen Sinn, erzeugen Medieninteresse und helfen den Erwerbslosen, besser mit ihrer unverschuldeteten Situation klarzukommen.
Beim nächsten Aktionstag am Samstag, 12.September 98, werden von der ÖTV Solingen Busse gestellt, die zur Großkundgebung nach Dortmund fahren. Abfahrt ist um 9.00 Uhr auf dem Parkplatz Weyersberg. Eintreffen ist dort wieder um 14.30 Uhr. Meldet Euch bitte unter Tel.: 0212/205041-42 an, damit entsprechend geplant werden kann. Infos gibt es auch unter Tel.: 0212/71041 im Solinger Arbeitslosenzentrum.
Thomas Püttmann