‘Die Polizei, Dein Freund und Helfer’

Ein persönlicher Erfahrungsbericht

Als ich am 3.08. kurz vor 0.00 Uhr mit drei FreundInnen das Haus in der Richard-Wagner -Straße betrat, war eigentlich schon alles vorbei. Blasse Gesichter blickten uns aus einem Raum entgegen, in dem sich kurze Zeit vorher ein blutiges Drama abgespielt hatte, wie die dunkelroten Tropfen auf dem Holzfußboden belegten. Ein kleiner Dackel beschnupperte mich schwanzwedelnd, wie sich später herausstellte, sollte dieser freundliche Hund Auslöser für das brutale Vorgehen der Polizei gegenüber der Hundebesitzerin gewesen sein. Resultat: Verdacht auf Nasenbeinbruch! Um den Schilderungen der übriggebliebenen Gäste und der Gastgeberin über die Vorfälle, die sich an diesem Abend ereignet hatten, besser folgen zu können, tastete ich nach einem Stuhl und machte eine Bewegung, um mich zu setzen. „Vorsicht!“ sagte irgend jemand zu mir und zeigte auf die Stuhlbeine. Ich richtete mich erschreckt wieder auf und bemerkte, daß sich der Stuhl irgendwie neigte. Von den vier Stuhlbeinen war eines nicht mehr da. Jetzt erst schaute ich mich in der Küche genauer um und entdeckte zertrümmerte Teller, einen halb aus der Wand hängenden Heizkörper und zerbrochene Gläser. Mitten in diesem Durcheinander aus schockierten Gesichtern und den Zeichen der Zerstörung lag zusammengeknülltes Geschenkpapier und wie stumme Zeuginnen der Katastrophe: dreißig heruntergebrannte Kerzen eines Geburtstagskuchens.

Die Schilderungen der Gäste über den Tathergang fingen an, sich zu wiederholen. Ich versuchte die verschiedenen Fragmente zu ordnen: den verhafteten Hund, Chinaböller, viele Polizeiwagen, in das Haus stürmende „Bullen“, verhaftete Gäste, die beschlagnahmte Kamera mit Film, blutende Gäste, schockierte Kinder u.s.w… Inzwischen gehörte auch Herr Bertl (MdB) zu den aufmerksamen ZuhörerInnen, schien aber ebenso ratlos zu sein wie wir. So beschlossen wir zu siebt – ein paar Partygäste und einige von der Gastgeberin nach dem Vorfall informierte Leute – mit Herrn Bertl zusammen zum Polizeipräsidium zu fahren, um uns dort über die sieben Festgenommenen zu informieren.

„Wer ist der Obersprecher?“

Am Präsidium angekommen, erblickte ich als erstes einen Krankenwagen, der blau blinkend vor dem Gebäude stand. Auf der Treppe zum Präsidium kam uns dann ein gerade entlassener Partygast entgegen. Er wußte nichts über den Verbleib der anderen Festgenommenen. Wir betraten also mit ihm zusammen das Gebäude  – für mich war es das erste Mal –, gingen zur ‘Anmeldung’, und noch bevor ein Wort von uns gefallen war, wieso und warum wir hier seien, schallte uns die Stimme von Polizist 1 entgegen: „Das sind mir aber eindeutig zu viele hier. Wer ist denn hier der Obersprecher?“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und Herr Bertl entgegnete ganz anarchistisch: „Wir haben keinen Obersprecher.“ Im selben Moment öffnete sich neben uns eine Türe und ein weiterer Partygast, diesmal in Begleitung von zwei Sanitätern, kam uns ziemlich blaß und in merkwürdig gebeugter Haltung entgegen. Seine Seite haltend wurde er mit Verdacht auf Rippenbruch ins Krankenhaus gebracht. Polizist 1 war derweil immer noch damit beschäftigt, uns immer lauter werdend zu erklären, daß wir sofort einen ‘Obersprecher’ bräuchten, nur dieser (eine Frau schloß er von vornherein als ‘Obersprecherin’ aus) könne hier bleiben und alle anderen müßten vor der Türe warten. Und jetzt geschah etwas, wie ich es bisher nur aus dem Fernsehen kannte: Herr Bertl trat nah an den Tisch der Anmeldung heran und hielt seinen Abgeordnetenausweis dem Polizist 1 direkt unter die Nase, vielleicht etwas zu nah, denn als Herr Bertl den Ausweis wieder einstecken wollte, fragte Polizist 1 vorsichtig: „Darf ich noch mal sehen?“ Natürlich tat Herr Bertl ihm den Gefallen, hätte er aber nicht gebraucht, denn an Polizist 1 drängte sich in diesem Moment Polizeichef Christ vorbei, hatte ‘Obersprecher’ Bertl wohl als solchen sofort erkannt, begrüßte ihn mit Handschlag und schon waren die beiden Herren in irgendwelchen für uns verbotenen Räumen verschwunden.

„Im Notfall mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch!“

Da standen wir nun und wollten auf Herrn Bertls Rückkehr warten. Polizist 1 hatte inzwischen Verstärkung von Polizist 2 bekommen und die beiden versuchten uns nun gemeinsam (immer nervöser und lauter werdend) davon zu überzeugen, daß wir vor der Türe warten müßten. Wir könnten uns dann mit dem Pressesprecher der Wuppertaler Polizei unterhalten, der bereits hierher unterwegs sei. Wir wollten ja keinen Ärger und gingen deshalb, zwar etwas murrend, tatsächlich brav vor die Türe und standen nun in so etwas wie einem Vorflur des Polizeipräsidiums. Ich habe wirklich gedacht, daß das in Ordnung sein müßte, wenn wir hier warteten; Fenster und Türen waren geschlossen und so konnte sich weder die emsig arbeitende Polizei durch uns gestört fühlen, noch gab es hier irgend etwas, das wir hätten kaputt machen können. Doch Polizist 1 und Polizist 2 sahen das offenbar anders. Wutschnaubend kamen sie in den Vorflur und befahlen uns lautstark, sofort die Räumlichkeiten zu verlassen. Das löste natürlich zwischen uns und den Polizisten eine heftige Diskussion aus, denn wir verstanden wirklich nicht, wen oder was wir mit unserem stillen Aufenthalt im Vorflur stören könnten. Polizist 2 wurde immer wütender und rief mit derbem Ton immer wieder: „Jetzt ist Sense!“ Irgendwer von uns fragte dann, ob sie uns denn hier genauso hinausprügeln würden, wie die Gäste im Haus der Richard-Wagner-Straße und die Antwort von Polizist 2: „Im Notfall mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch.“ Es ging noch ein Weile so hin und her, aber bevor eine weitere Katastrophe ausgelöst werden konnte, verließen wir natürlich das Gebäude.

Ein paar Sekunden später stand Herr Bertl wieder vor uns und berichtete von seiner Unterredung mit Herrn Christ: Die noch fünf Inhaftierten würden bis zum nächsten Morgen im Präsidium bleiben, einige sollten Anzeigen wegen ‘Widerstand gegen die Staatsgewalt’ bekommen, und die Kamera und der Film seien als Beweismaterial beschlagnahmt worden. Das waren nicht viele Informationen, aber wenigstens etwas.

Es war inzwischen schon ca. 1.30 Uhr, und wir überlegten einen Moment lang, ob wir noch auf den angekündigten Pressesprecher der Polizei warten sollten. Wir hatten jedoch den Verdacht, daß es bis zu seinem Auftauchen noch recht lange dauern könnte. Frustriert und wütend über die grenzenlose Überheblichkeit und Ignoranz der diensthabenden Beamten verließen wir deshalb die graue Festung des Staatsschutzes und machten uns eilig davon.

Eva Thomas