Ein subjektiver Rückblick auf die vergangenen drei Monate

Wahlen verändern nichts. Sonst wären sie verboten. Diese Erkenntnis, daß in einer parlamentarischen Demokratie grundsätzliche oder gar revolutionäre Veränderungen mittels Wahlen nicht erreicht werden können, ist so neu ja nicht. Die Grünen sind nur ein weiteres Beispiel dafür, daß die Mechanismen des Parlamentarismus allemal ausreichen, um eine Protestpartei spielend zu integrieren. Überraschend ist nur, wie die Erotik der Macht den fast völligen Verzicht auf alte Positionen bewirken kann. Hier ist natürlich nicht Joschka Fischer gemeint, dessen Rolle ist ja schon seit langem klar, sondern eher Politiker vom Schlage eines Jürgen Trittin. Die Hoffnung, daß es mit der PDS anders wird, ist angesichts der eingangs genannten These unrealistisch. Die Halbwertszeit systemoppositioneller Positionen im Parlament sinkt sogar rapide.

Die Politik der neuen Bundesregierung deutet darauf hin, daß Wahlen mittlerweile den Bürger auch immer weniger vor systemimmanente Alternativen stellen. Die Unterschiede zwischen Kanther und Schily sind nur noch marginal. Wie weit dieser Prozeß in der BRD fortgeschritten ist, wird sich am sichersten an der neuen Wirtschaftspolitik ablesen lassen. Zu beobachten ist, wie stark auf eine nachfrage- statt auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik gesetzt wird. Aber schon jetzt hatte diese Bundestagswahl wohl vor allem den Sinn, daß sich alle sicher sein können, doch in einer Demokratie zu leben. Schließlich wurde der alte Kanzler abgewählt und inthronisierte nicht selbst seinen Nachfolger. Die Funktion der Bürger im Parlamentarismus verkommt tendenziell dazu, die Eliten zu bestimmen, die eine fast identische an den Erfordernissen des Marktes orientierte Politik betreiben.

Auf das Solinger Wahlergebnis wollen wir nur im Hinblick auf die kleineren Parteien noch einmal eingehen. Außerdem veröffentlichen wir an dieser Stelle als erste Solinger Zeitung vollständig das offizielle Solinger Endergebnis der Zweitstimmen. Die kleineren Parteien sind sonst immer herausgefallen.

Zu den rechten Parteien schrieb das Solinger Tageblatt am 28.9: „Großes Aufatmen gab es angesichts von zusammen nur 2,8 Prozent für REP, DVU und NPD aus dem rechten Spektrum.“ Unabhängig davon, daß der Bund freier Bürger (BFB) dem Spektrum auch noch zuzurechnen ist, sind 2.653 Stimmen (ohne die 156 für den BFB) für rechtsradikale Parteien ein Grund zur Besorgnis und nicht Anlaß für eine kleine Verschnaufpause oder gar für ein großes Aufatmen. Außerdem muß der Nestbeschmutzer feststellen, daß nur in sechs von 58 Wahlkreisen in NRW der Stimmenanteil der Rechten höher war als in Solingen/Remscheid.

Die rechten Parteien erhielten in Solingen fast das doppelte an Stimmen wie die Linken. Hierbei wurden natürlich die 1.368 Stimmen für die PDS mitgerechnet. Die zwei sympathischsten  Gruppierungen konnten dies Verhältnis nicht verändern. Ganze 60 Solinger fühlten sich zu der Bohème um den Salonanarchisten Christoph Schlingensiefen hingezogen. 13 Stimmen mehr erhielten die Pogoanarchisten der APPD.

Aussagekräftig ist auch, daß die Partei für soziale Gerechtigkeit mit 10 Stimmen das niedrigste Wahlergebnis hatte. Mehr als soziale Gerechtigkeit zählt die Besitzstandswahrung. Hierfür stehen die 503 Stimmen für PRO DM.

Der Blick auf die kleineren Parteien gibt somit wichtige Hinweise über die Befindlichkeit der Bundesbürger. Eigensinn zählt mehr als Solidarität. Und folgerichtig gilt mindestens für die alten Bundesländer, daß rechte rassistische Parolen eine größere Anziehungskraft haben als freiheitliche Gedanken.

Gerd Kunde