Die Grünen: Von der Anti-Parteien-Partei zu visionslosen Pragmatikern des kleineren Übels?

Der sozialdemokratische, hessische Ministerpräsident Holger Börner, dessen Namen sich kein Schulkind mehr merken braucht, wollte ihn noch mittels einer Dachlatte davonjagen. Heute zollt selbst Edmund Stoiber von der CSU ihm öffentlich Respekt und attestiert, daß er die Bundesrepublik Deutschland würdig vertreten würde. In der Person des Vizekanzlers und Außenministers Joseph Fischer spiegelt sich exemplarisch die Wandlung der als Anti-Parteien-Partei angetretenen Grünen zu einer staatstragenden Integrationspartei wider. Der lange Marsch durch Parlamentarismus und Institutionen hat die aus der außerparlamentarischen Anti-AKW-, Friedens-, Frauen, und Bürgerrechtsbewegung hervorgegangenen Grün-Alternativen, zu visionslosen Pragmatikern des kleineren Übels werden lassen. Während die Sozialdemokratie von ihrem Gothaer- bis zum Godesberger Programm noch vierundachtzig Jahre brauchte, benötigten die Grünen  für die Revision ihrer Gründungsideen lediglich achtzehn Jahre.
“Verrat! Verrat!” könnte man buhen. Besser wäre, sich die analytische Frage zu stellen, warum in diesem Deutschland jeglicher systemkritische Ansatz entweder zerschlagen wird, oder im Reformismus endet und was dies für eine zukünftige Strategie der “Linken” bedeutet.

Sowohl anhand der Geschichte der Sozialdemokratie, als auch an der der Grünen läßt sich ein Verselbständigungsprozess der jeweiligen Parteieliten beobachten. Je größer der Einfluß einer Partei wird, desto notwendiger scheint die Herausbildung einer berufsmäßigen Führung und hauptamtlicher Verankerung in Organisationen und Institutionen zu werden. Nach dem Gesetz, wonach eine gewisse Quantität in eine neue Qualität umschlagen kann, entsteht so – u.a. auch durch die Verschmelzung mit den Eliten anderer Parteien – eine eigene politische Klasse mit gemeinsamen Interessen. Die Erhaltung der Bedingungen, die eine solche Karriere ermöglichten, wird zum Inhalt ihrer Politik. Von nun an geht es nicht mehr um Emanzipation und die Durchsetzung der ursprünglichen politischen Ziele, sondern um Machterhaltung.

Ein Politikertyp, der noch geboren werden muß.

Natürlich funktioniert dieser Prozeß nicht so, wie er in diesem Schwarz-Weiß-Schema geschildert wurde, aber er passiert. Bezeichnend für die Politik der Grünen war z.B. die vor den Bundestagswahlen, von “oben” verbreitete Befürchtung, daß wenn die Grünen nicht in die Regierung kämen, die Partei zerfallen würde. Wenn eine Partei nichts mehr zusammenhält als der gemeinsame Drang zur Macht, dann hat sie ihre Existenzberechtigung sowieso verloren. Politik ist nämlich nicht nur Kampf um die Macht. Die Macht darf nicht mehr und nicht weniger sein als ein ungeliebtes, aber leider notwendiges Vehikel, um politische Inhalte zu verwirklichen, die den Gebrauch der Macht möglichst schnell überflüssig macht. Doch der professionelle Politikertyp, der eine solche Haltung verkörpert, muß erst noch geboren werden.

Aus einem kleinen Sätzchen im Grundgesetz leiten die Parteien ihren Alleinvertretungsanspruch ab.

In den sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien hat man früher versucht, die Verselbständigung des hauptamtlichen Apparates dadurch zu verhindern, daß Berufspolitiker nicht mehr verdienen durften als ein durchschnittlicher Facharbeiter. Die Anzahl der Politprofis in parteiinternen Entscheidungsgremien wurde statuarisch auf ein Minimum begrenzt. Der von den Mitgliedern bezahlte Funktionär sollte sich als “Diener” der Partei verstehen, nicht als “Führer”. Die Grünen haben es mit Basisdemokratie, Rotationsprinzip und Frauenquote probiert. Alle diese lobenswerten Versuche scheiterten an der Macht des Faktischen. Einmal aufgenommen in den Kreis der potentiellen oder tatsächlich Regierenden, verlangt der Moloch Staat nach der Produktion von immer mehr integrationsbereiten Entscheidungsträgern in Politik, Verwaltung und Verbänden. Das System erweist sich als stärker wie der Mensch. Der Mechanismus des Parlamentarismus, welcher “Gottseidank” dem Volk ermöglicht, alle vier Jahre über Wahlen an den Entscheidungsprozessen teilzunehmen, verliert seinen ursprünglich demokratischen Inhalt dadurch, daß via Institutionen und vor allem Parteien die absolute Mehrheit der Menschen aus der aktiven Politik ausgeschlossen wird. Aus dem kleinen Sätzchen des Grundgesetzes, wonach die Parteien verpflichtet sind, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken, leiteten die Parteistrategen einen Alleinvertretungsanspruch ab.

Was tun?

Die Antwort auf die Frage “Was tun?” fällt schwer. Parlamente und Parteien ignorieren? Das wäre linke Traumtänzerei, weil so etwas völlig am Bewußtseinsstand der Menschen in Deutschland vorbei geht. Außerparlamentarische, parteiunabhängige oder parteiübergreifende, gewerkschaftliche und genossenschaftliche Bewegungen stärken? Ist immer richtig und sollte sogar Priorität haben. Parteien reformieren? Kostet viel Kraft, wer es sich zutraut, sollte es tun. Ein alter,aber nicht überholter Vorschlag wäre  die Schaffung eines neuen Bündnisses zwischen den emanzipatorischen Kräften in den verschiedenen Parteien links von CDU/CSU und FDP, mit den außerparlamentarischen Bewegungen und zur Stärkung derselben. Denn wer sonst sollte die neue Nach-Kohl-Regierung dazu bringen, die Reformen, welche sie versprochen hat, auch durchzusetzen?

“Das Problem der Verstaatlichung betrifft viele soziale Bewegungen. Einerseits nehmen die Basisaktivitäten ab, andererseits nimmt die Institutionalisierung und Verstaatlichung der Bewegung zu. Nur, wenn sich die emanzipatorischen Teile der unterschiedlichen Bewegungen zusammensetzen und gemeinsam eine Perspektive erarbeiten, kann diese Entwicklung gestoppt werden.“

Jörg Bergstedt, Radikalökologe