Das Klima in den Städten für die „ganz unten” wird rauher. Auf dem Mühlenhof wird der größte öffentliche Platz mit Geschäften für den “gehobenen Bedarf” bebaut, in vielen Städten wird der Druck auf Randgruppen verstärkt. Welche Entwicklungsdynamik, welche Umbrüche im kapitalistischen Verwertungsprozeß verbergen sich hinter dieser Entwicklung, die in vielen deutschen Großstädten, aber nicht nur dort, zu beobachten ist?Bis in die 70er/80er Jahre war das sogenannte ”fordistische” Produktions- und Gesellschaftsmodell für die Entwicklung prägend. Dazu gehörte industrielle Massengüterproduktion von Konsumgütern mittels Arbeitszerlegung und Automatisierung. Weiterhin gehörte ein starker öffentlicher Sektor und Vollbeschäftigung bzw. ein starkes soziales Netz zur Absicherung des von der Arbeiterbewegung erkämpften Klassenkompromisses des Sozialstaates in den westlichen Industrieländern. Der Fordismus war strukturell auf starkes Wachstum angewiesen. Der Raum wurde strukturiert durch die Trennung von Arbeiten und Wohnen. In der Bundesrepublik wurde versucht, innerhalb des gesamten nationalen Raumes bestehende räumliche Ungleichheiten aufzuheben und den Raum zu homogenisieren.
Globale Konzerne ”verschlanken” ihre Produktion, nicht jedoch die Profite
In den 70er Jahren entstand eine Krise der arbeitsplatzintensiven Industrie. Darauf reagierte das Kapital mit einer alle Bereiche umfassenden “Modernisierungsstrategie”. Hauptziel ist dabei die ‘Verschlankung’ (mit möglichst wenig Arbeitskräften) der Produktion und die Senkung der Kosten. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wurden für Rationalisierungen der Produktion genutzt, die nicht durch den Zuwachs im Dienstleistungsbereich aufgefangen wurde. Die rapide Beschleunigung der Produktion führt zu weiterer Zentralisation von Konzernen, in deren Kommandozentralen die Fäden von Experten zusammengehalten werden.
Die Konzerne können andererseits durch die Senkung der Kosten für den Transport von Waren (EU-Binnenmarkt und Euro / Ausbau der Autobahnnetze) und von Informationen ihre Fabrik in scheinbar selbständige Unternehmensteile oder pro forma unabhängige Firmen aufspalten, die weltweit angesiedelt werden. Mit der räumlichen Generalisierung des Kapitals wird die Standortwahl zunehmend bestimmt von den Vorleistungszusagen der Ansiedlungsregionen
Der nationale Wettbewerbsstaat regionalisiert und kontrolliert
Die räumliche Polarisierung wird in der BRD und weltweit verstärkt. Die Form der staatlichen Regulation wandelt sich. Als ”nationaler Wettbewerbsstaat” setzt der Staat jetzt verstärkt auf Städte und Regionen und fordert die Kommunen auf, unternehmerisches Profil zu zeigen. Sie sollen möglichst günstige Bedingungen für die international agierenden Konzerne sichern. Es differenziert sich ein internationales Städtesystem aus. Es gibt ”Global Cities” wie Frankfurt und Hamburg, die die Steuerungszentralen der Konzerne an sich ziehen wollen, es gibt schrumpfende und wachsende Regionen. Städte stellen sich als Kampfeinheiten dar. Die Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung werden jetzt bewußt für den Wettbewerb der Standorte genutzt. Selbst das Sozialsystem soll regionalisiert werden. Der Arme soll ärmer werden. Die Rolle des Staates wandelt sich zu dem eines repressiven Ordnungsfaktors, der optimale Verwertungsbedingungen sichert, während das ”soziale Netz” aufgegeben wird.
Die Rolle der Städte wird verändert
Die städtischen Verwaltungen definieren sich zunehmend als städtisches Management. Dabei fühlen sie sich nicht mehr für die kommunale Daseinsvorsorge verantwortlich sondern sehen sich als Konzern. So beschloß der Stadtrat in Solingen, daß die Stadtverwaltung, ihre Eigenbetriebe und GmbHs künftig unter dem Begriff Konzern Stadt Solingen firmieren sollen. Ein Konzern aber will Profite machen und stößt die Teile ab, die Kosten verursachen.
Privatisierungen werden nicht nur auf Bundesebene wie z. B. bei Bahn und Post durchgeführt. Es werden auch immer mehr kommunale Einrichtungen der Daseinsvorsorge privatisiert. So wurde in Solingen der weitaus größte Teil der städtischen Mietwohnungen privatisiert, CDU und FDP wollen die Teilprivatisierung der Stadtwerke. Einrichtungen wie die Musikschule werden aus der Stadtverwaltung entlassen und sollen ihr Glück auf dem Markt suchen. Der Prozeß der Ausgliederung von Teilen der Stadtverwaltung scheint noch lange nicht abgeschlossen. Er hängt aber immer auch vom Widerstand der Betroffenen und der Bevölkerung gegen die Aufgabe immer größerer Teile der Daseinsvorsorge ab.
Das Modell der “modernisierten” Stadt sieht die Städte als Wettbewerber um Standortvorteile. Dafür spielt eine neue Form von “urbaner Lebensqualität” eine wichtige Rolle. Damit ist nicht die Lebensqualität der BewohnerInnen gemeint sondern die Attraktivität der Stadt für spezifische Gruppen.
Dazu gehören die neuen ExpertInnen. Die Innenstädte werden jedoch auch für weitere Gruppen “modernisiert”. Abgewanderte reiche BürgerInnen sollen zurückgewonnen werden, auswärtige EinkäuferInnen und Touristen sollen gewonnen werden. Die Orte werden so umgebaut, daß sie internationalen Konsumstandards genügen – sie werden homogenisiert. Die Kernbereiche werden zu Konsumlandschaften, die eine hohe Verweildauer der KonsumentInnen bewirken und in denen Sicherheitsdienste alle unerwünschten Personen fernhalten. Die Unterhaltungsbranche ist mit CinemaxX und Musicalhallen Teil dieser neuen geschlossenen Konsumlandschaften. Handelsketten leben auf und verdrängen den angestammten Einzelhandel. Die Städte leisten erhebliche finanzielle Zuschüsse, um die Projekte mitzufinanzieren und gleichen die dadurch erhöhte eigene Schuldenbelastung durch Kürzungen in der sozialen und kulturellen Infrastruktur an anderer Stelle aus.
Am Beispiel Clemens Galerien wird diese Politik deutlich: So sollen hier ausschließlich Geschäfte des mittleren und gehobenen Bedarfs angesiedelt werden, also Güter, die die ärmeren Bevölkerungsschichten ausdrücklich ausschließen.
Es ist absehbar, daß in der Clemensgalerie der geplante große Buchhandel einer Buchhandelskette ebenso wie die geplante Filiale eines Unterhaltungselektronikkonzerns örtliche Einzelhändler zum Aufgeben zwingen wird. Das geplante CinemaxX der Flebbe-Kette wird vermutlich dem Residenz- und dem Mühlenhofkino den Garaus machen.
Die Stadt machte den Investoren ihre Planung mit den Kundenströmen aus den beim neuen Centrum angesiedelten Neubau von Stadtbücherei und VHS schmackhaft. Die Stadt kostet das 32 Mio. Dieses Geld belastet den verschuldeten Haushalt und soll jetzt u.a. durch die Schließung der Büchereizweigstellen in Ohligs und Wald wieder hereingeholt werden.
Auf dem Mühlenhof wurden die Jugendlichen, SchachspielerInnen, RentnerInnen, AusländerInnen und Drogenabhängige zunächst statt durch Sicherheitskräfte erst mal vom Bauzaun verdrängt. Damit ist der öffentliche Raum in der Innenstadt stark geschrumpft.
Die Innenstadt wird für den touristischen Blick gesäubert
In den 90ern werden die Städte verändert, sie sind nicht mehr vorrangig Arbeits- und Lebensort sondern die Menschen werden als KonsumentIn und TouristIn angesprochen. Dies verändert den Blick: Ein Tourist ist immer in “sicherer Distanz” Der touristische Blick sieht die Stadt als Freizeit und Kulissenlandschaft. “Störende Elemente fallen dabei viel negativer auf. Die Sichtbarkeit von Armut und die Anwesenheit von nonkonformen Menschen wird zum zu verdrängenden Problem. So sagt der Handel in Frankfurt, das Bahnhofsviertel soll zur no-go-area (Verbotszone) für Obdachlose, Alkoholiker, Junkies etc. definiert werden. In Stuttgart wird Betteln jetzt mit Bussgeldbescheid und Platzverweis versehen, in Bremen gibt es für aufgefallene DrogenkonsumentInnen Stadtteilverbot. In Köln wurde auf der Domplatte und am Neumarkt ein rigides Vertreibungsregime gegen unerwünschte Randgruppen durchgesetzt. Öffentliche Räume werden zunehmend mit privatem Hausrecht belegt, das heißt, es kommt nicht mehr auf nachweisbare Ordnungsverstöße an, sondern der Zugang kann ohne Grund verweigert werden. Private Sicherheitsdienste kontrollieren zunehmend zuvor öffentliche Räume. Bahnhöfe als wichtiger Aufenthaltsort von Obdachlosen wurden privatisiert Die Absperrung der Innenstädte für unerwünschte Gruppen ist in den Metropolen schon weiter vorangeschritten. In Solingen zeigen sich jedoch erste Ansätze einer ähnlichen Politik: -So äußerte Bürgermeister Bernd Krebs (CDU): “Am Ohligser Bahnhof und am Mühlenhof ist eine Art rechtsfreier Raum entstanden, der sich ohne Beobachtung und Einschreiten der Polizei bald auf unerträgliche Weise weiter negativ entwickeln wird” Damit wird versucht, Treffpunkte von Randgruppen zu kriminalisieren.
-Künftig soll in den drei bergischen Großstädten eine “Ordnungspartnerschaft” zwischen Polizei, Städten und Handel umgesetzt werden. Ziel ist laut Polizeipräsident Köhler: “Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung in den Fußgängerzonen”. Wer sich in den Solinger Fußgängerzonen noch nie bedroht fühlte, ahnt doch, welche Menschen hier zu unerwünschten Personen erklärt werden sollen. Derselbe Köhler machte in Wuppertal schon mal klar, gegen welche Hautfarbe er dabei besonders vorgehen will. So sagte er laut WZ vom 15.10.: “90-95% der Farbigen, die durch die Elberfelder Innenstadt ziehen, sind nach unseren Feststellungen Dealer” Der blanke Rassismus, der aus dieser Propaganda spricht, führte zu Protesten u.a. des Hochschul- Sozialwerks Wuppertal.
Soziale Aggressivität als Motor der “Modernisierung”
Die Durchsetzung des Neuen trifft auf die soziale Realität der historischen fordistischen Formation. Dabei wird soziale Aggressivität als Mittel der Durchsetzung eines komplexen sozialen Umbruchgeschehens erzeugt und gebraucht1.
Die Stigmatisierung einzelner Gruppen im Zusammenhang mit der “Modernisierung” der Städte hat eine wichtige Funktion als Integration nach Innen: Man kann bestimmten Gruppen das Recht auf soziale Ressourcen aberkennen. Die Ausgrenzung von einzelnen Gruppen zeigt allen, die sich nicht als Bestandteil dieser Gruppen fühlen, daß sie zum gesellschaftlichen „Wir“ gehören. Die Menschen sind im neoliberalen Modell in einem starken Konflikt: Sie sollen sich flexibel und marktförmig organisieren, ihre Zukunftsaussichten werden jedoch immer unsicherer. Um das Selbstwertgefühl zu stabilisieren wird rigide Ausgrenzung angeboten. Der diskriminierende Asyldiskurs war zur inneren Befriedung der Gesellschaft und zur Ablenkung von den sozialen Problemen des gesellschaftlichen Umbruchs hervorragend geeignet. Dabei kann das Feld der Diskriminierung und Ausgrenzung auf beliebige Gruppen je nach Bedarf ausgeweitet werden. Die Umstrukturierung der Innenstädte und des Ausschlusses von stigmatisierten Gruppen ist jedoch kein zwangsläufiger Prozeß. Er wird von lokalen Akteuren vorangetrieben oder behindert. Es gilt, dem Ausgrenzungsdiskurs an jeder Stelle entschieden entgegenzutreten und die Stadt als Lebens- und Wohnort zu verteidigen bzw. zurückzuerobern.
Dietmar Gaida
Literatur:
1 StadtRat (Hg.): Umkämpfte Räume. Hamburg – Berlin – Göttingen 1998.
spacelab (Walther Jahn / Stephan Lanz / Klaus Ronneberger): Macht und Raum. In: WIDERSPRÜCHE, Heft 66, 17. Jg 1997, Nr.4
Ingo Bader: Das neue Gesicht der Stadt.
In: ARRANCA! Nr. 13. Berlin 1997