Was sonst noch in Solingen geschah

Ein subjektiver Rückblick auf die letzten drei Monate

Zwei Ereignisse, die in der tacheles keine Beachtung finden, bestimmten den Solinger Blätterwald während der letzten drei Monate. Erstens, die geplante Fusion der Stadtwerke von Solingen, Remscheid, Wuppertal, Velbert und Hilden und deren Folge für die Beschäftigten und den Verbraucher. Zweitens, der Verkauf von städtischen Wohnungen, und dessen Auswirkungen auf die Mieter. Beides sind eigentlich Ereignisse, die von einer alternativen Stadtzeitung kritisch beleuchtet werden sollten. Leider konnten wir dieses bisher noch nicht leisten, da in diesen beiden Fällen der Sachverhalt sehr komplex ist. Wir, die MacherInnen der tacheles,  erstellen die Zeitung in unserer knapp bemessenen Freizeit, deshalb war es uns bis jetzt noch nicht möglich, eine unseren nicht knapp bemessenen Ansprüchen gerecht werdende Analyse zu liefern.

Drei Ereignisse in Solingen fanden auch Beachtung in der überregionalen Presse. Bei der Schadenersatzklage von Bekir Genc vor dem Landgericht Wuppertal werden die Ereignisse des Solinger Brandanschlages nochmals aufgerollt. Ebenfalls vor dem Landgericht Wuppertal wurde ein Prozeß gegen sechs rechtsradikale Männer geführt. Sie machten sich während eines Auftritts einer rechtsradikalen Band in einem Gräfrather Lokal durch Sprüche und Lieder der Straftatbestände der Volksverhetzung, der Beleidigung, der Billigung von Straftaten und des Tragens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig. Der Sänger der Band erhielt eine Haftstrafe von zwei Jahren, vier Angeklagte erhielten Bewährungsstrafen und einer wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem erzeugte die Wahl der Solinger Landtagsabgeordneten Sylvia Löhrmann zur Geschäftsführerin der Grünen überregionales Aufsehen. Frau Löhrmann setzte sich in einer Abstimmung mit 13 zu 10 Stimmen gegen ihre Gegenkandidatin durch. Diese Wahl wurde deshalb zu einem Politikum, weil die Gegenkandidatin der Reala Löhrmann der Fraktionslinken angehört. Die Linken sahen in der Wahl ein weiteren Beleg dafür, daß ihre Minder-heitenpositionen in der Fraktion keine Chancen haben. Frau Löhrmann meint laut Morgenpost dazu: „Ich will mein Amt neutral ausüben“. Erst waren sie weder rechts noch links sondern vorn, jetzt sind sie neutral, wenn sie Politik machen, meine geliebten Realos.

Der Firma Kieserling gelang es nicht, 150 Jahre Mehrwert aus ihren Arbeitern herauszupressen. Vier Tage vorher wurde auf diesem Gelände die Produktion eingestellt. Man ließ es sich aber nicht nehmen das nicht erreichte Jubiläum trotzdem zu feiern. Die Beschäftigten Kieserlings, die keine neue Arbeit gefunden haben, beteiligen sich jetzt hoffentlich an den einmal monatlich auch in Solingen stattfindenden Arbeitslosendemos. In einer der kommenden Ausgaben werden wir über die Proteste der Arbeitslosen berichten. Eine Aktion gegen den Castor beeinträchtigte den Zugverkehr in Richtung Köln immens. Atomkraftgegner hatten ein Transparent über eine Eisenbahnbrücke, auf dem sie einen Stopp des Castors forderten, gehängt. Keine Proteste gab es bis jetzt gegen das Bestreben in der Stadt, private Sicherheitsdienste insbesondere in der Turmpassage zu engagieren.

Wesentlich mehr erregt die Gemüter in Solingen, an welchem Ort ein Tierfriedhof seinen Platz finden soll. Die ausführliche Berichterstattung über dieses Thema erklärt, warum es mir morgens immer ein Genuß ist, die tägliche Lektüre der beiden Solinger Blätter schnell zu beenden, um eine richtige Zeitung zu lesen. Als jedoch eines traurigen Tages meine gewohnte Tageszeitung nicht kam, sah ich mich gezwungen, diese an einem Kiosk zu kaufen. Doch dies ist in Solingen ein Problem. Kaum ein Kiosk führt eine überregionale Zeitung, die diesen Namen auch verdient. Weder die Süddeutsche, noch die Frankfurter Rundschau oder die TAZ  und erst recht nicht die junge Welt sind überall erhältlich. Nur einige wenige führen die ersten drei. Ich frage mich, was lesen die Solinger Lehrer? Erziehen sie die Kinder zu Analphabeten?

Wenn wir schon bei meinen Gewohnheiten der Zeitungslektüre sind, so gestehe ich willig, daß mein erster Blick natürlich dem Sportteil gehört. Und gerade auch hier zeigt sich die Provinzialität unser Stadt. Die Handballer vom Sportring spielen immerhin noch zweitklassig in einer Sportart (Verzeihung liebe Handballfreunde) die vom Zuschaueraufkommen gesehen auch nur zweitklassig ist. Ob für einen Aufstieg in die Bundesliga die Rahmenbedingungen in Solingen geschaffen werden können, muß leider bezweifelt werden. In welcher Klasse der ortsansässige Eishockey Verein spielt, verstehen nur noch Eingeweihte. Aber, daß die Union nach dem erneuten Abstieg jetzt 6-klassig (!!!) ist, ist mehr als ein Trauerspiel, drückt vielleicht aber den wahren Stellenwert dieser Stadt genau aus. Auch deshalb Coco, ziere dich nicht, mach endlich wieder auf, wenigstens an ein akzeptables Kinoangebot haben wir uns gewöhnt. Wir wollen nicht auch noch die Stadtgrenzen verlassen, um ins Kino zugehen.

Um Fußball zu sehen, tue ich dies natürlich schon längst. Und da gibt es auch einmal eine erfreuliche Nachricht. Borussia Mönchengladbach ist nicht abgestiegen. Und wenn nächstes Jahr Dortmund absteigt, wird vielleicht doch noch alles gut.

Gerd Kunde