Neue Innerlichkeit: Von Gurus, Meistern und spirituellen Zentren in Solingen

Kein Zweifel: Wir leben in einem religiösen Zeitalter. Zu viele Beweise für eine Neue Innerlichkeit liegen vor. Die Formen spiritueller Praxis faszinieren auf eine Weise, daß man von einer epochalen Wende sprechen muß. Noch bis in die 70er Jahre hinein sprach man kaum von Innerlichkeit. Man lebte im Wahn alles zu können und alles zu dürfen: das Weltall zu erobern, auf dem Mond herumzuspazieren. Inzwischen sind die Menschen völlig desillusioniert. Man muß der Wahrheit ins Auge schauen: Wissenschaft und Technik haben uns vor einen verschlingenden Abgrund geführt. Unser Planet gleicht einem Schiff, das auf einem reißenden Fluß immer schneller auf eine Felsklippe zutreibt, an der es zu zerschellen droht. Die Atomreaktorkatastrophe von Tschernobyl und die Chemiekatastrophe von Sandoz/Basel sind Rauchzeichen einer vergangenen und nichtigen Hoffnung geworden.
Je mehr die Hoffnungen zerbrochen sind, um so mehr wird sich dem zugewandt, was man seit alters h
er „die Seele“ nennt. Man erwartet Rettung von innen, vom Spirituellen, von einer Rückführung des Menschen an seinen tieferen Grund. Dabei trifft man auf eine ganze Angebotspalette von spirituellen Wegen: Von New Age über Reiki, Yoga bis Feldenkrais u.a… Wer oder was sich hinter diesen Angeboten versteckt ist vielen Menschen jedoch unbekannt. So will die folgende Artikelserie, in dieser und in den nächsten Ausgaben, versuchen, die verschiedenen Phänomene, die es in Solingen gibt, darzustellen und somit Hilfen zur „Unterscheidung der Geister“ anzubieten. Diese Auseinandersetzung soll in einem freien Geist und in der Achtung vor fremder Religiösität geschehen sowie in der Bereitschaft, zu lernen und sich selbst zu korrigieren,

Das Zen-Dojo Solingen

Fangen wir also mit dem Zen-Dojo in Solingen an. Zunächst einmal, was eigentlich ist Zen? Und was bedeutet das Wort Dojo? Heinz-Jürgen Metzger, ein Lehrer und seit 11 Jahren praktizierender Zen-Mönch klärt mich darüber auf: „Zen ist Zazen, wobei ZaSitzen und Zen Meditation, Konzentration bedeutet. Dabei läßt man die Bilder, die Gedanken und alle geistigen Gebilde, die aus dem Unbewußten auftauchen vorbeiziehen wie die Wolken am Himmel – ohne sich ihnen zu widersetzen, ohne sich an sie zu klammern. Einfach Hier und Jetzt Diese Form der Meditation geht auf Buddha zurück und nennt sich Shikantaza (Nur Sitzen). Jegliche Hilfsmittel wie Koans werden hierbei nicht gebraucht. Nach Europa gekommen ist diese Form der Meditation durch den japanischen Zen-Meister Taisen Deshimaru, Ende der 60er Jahre. Seit seinem Tod 1982 führen seine engsten Schüler/innen die Unterweisung fort.“
Und was bedeutet das Wort Dojo? „Ein Dojo“, so erläutert mir Heinz-Jürgen, „ist der Ort an dem Zazen geübt wird.“ Das Zen-Dojo, so erfahre ich im Laufe des Gespräches, wird getragen von einem eingetragenen, gemeinnützigen Verein, der 20 Mitglieder umfaßt. Darüber hinausgibt es ein Umfeld von ca. 10 Personen, die mehr oder weniger regelmäßig praktizieren. Gegründet wurde die Gruppe 1985. Welche Menschenkommen hierher, und worin liegt ihre Motivation? „Das sind sehr unterschiedliche Menschen“, sagt Heinz-Jürgen. „Von jemandem, der für eine Brotfabrik Brot ausfährt bis zum Unternehmensberater, Leute also, die normalerweise in anderen Umfeldern gar nicht zusammenkommen würden.“ Die einzelnen Motivationen zu beurteilen findet Heinz-Jürgen schwierig, glaubt aber, „daß ein auslösender Faktor zunächst einmal eine Unzufriedenheit ist. Das kann z. B. einfach sein, daß jemand Stille um sich herum haben will. Aber ich glaube, daß da ein tieferes Bedürfnis hintersteckt.“ Welches Bedürfnis? „Ein religiöses Bedürfnis in dem Sinne, daß man im Zazen mit Dimensionen des Lebens in Berührung kommt, die im Alltag zugeschüttet sind Beispielsweise erlebe ich, wenn ich mit anderen Menschen sitze und schweige eine tiefe Gemeinschaft, die jenseits von Handlungen und Worten liegt. Im Alltag sind wir gewohnt zu unterscheiden, zu bewerten. Ich glaube, daß wir im Zazen genau diesen unterscheidenden Geist los werden und Raum geschaffen wird für das Gemeinsame.“

Als Redakteur einer politischen Zeitung interessiere ich mich natürlich auch für die sozial-politische Perspektive des Zen-Dojos. „Dies ist ein Bereich, den wir stärker entwickeln müssen“, gibt Heinz-Jürgen zu, wobei er hiermit insbesondere neue Formen sozialer Arbeit meint. Hintergrund seiner Überlegung ist die Einsicht in die Notwendigkeit, nicht nur gemeinsam zu medtieren, sondern auch gemeinsame Arbeitsfelder zu entwickeln. Denn es ist seiner Meinung nach wichtig, auch im Alltag Achtsamkeit und Konzentration zu üben und nicht nur im Dojo. Gemeinsames Arbeiten in einem sozialen Projekt soll hierfür eine Stütze sein. Allerdings gibt er zu bedenken, „daß in Solingen die Basis dafür viel zu gering ist. Denn es muß genug Leute geben, die wissen, daß Zazen ihr Weg ist und diesen auch bis zum letzen durchgehen. Wenn man so etwas machen will, muß das deutlich über Solingen hinausgreifen. Da kann Solingen nur als Zentrum wirken.“ Dagegen lehnt er politische Aktionen des Zen-Dojos ab.
Eine kleine Bemerkung: Es gibt keine individuelle Innerlichkeit So sehr jeder den Weg in sein Inneres gehen und sich in tiefstem Beischsein erleben soll, so sehr muß er in den sozial-politischen Bereich ausgreifen. Deshalb halte ich ein soziales Engagement für sinnvoll. Jedoch ist die Frage, ob dies alleine genügt, da soziale Ungerechtigkeiten ihre Ursachen ja auch in poitischen und wirtschaftlichen Strukturen haben. Soziales Handen erfordert meines Erachtens auch die Notwendigkeit, Optionen zutreffen für die Ausgeschlossenen unserer Gesellschaft. Dies hat dann aber auch zur Konsequenz, politisch zu sein. Wer Lust hat Zazen zu üben, der kann bei Heinz-Jürgen gerne einmal anrufen (Tel: 200339).

F. Prinz