Entscheidung im tacheles-Prozeß: Herrliches Eigentor von Günther Kissel

Wer andern eine Grube gräbt…

Ende 1995 wurde die tacheles ins Leben gerufen, auch gegen Nazis; da lag es nicht fern, auch über Kissel zu berichten. In Ausgabe Nr. 1 ging es um Kissels Verbindungen zum Auschwitzleugner Thies Christophersen und ein unverblümt zum Fremdenhaß aufrufendes Gedicht mit dem Titel ”Bonzen und Asylanten”, in dem ”Fremde”, die ”lügen, betrügen und prahlen”, aber ”schlau und verstohlen” in gewaltiger Flut” ”‘first class’ per Jet und per Bahn, per Taxi zur deutschen Behörde” ”hereinströmen,” nur solange ”ungeschoren” bleiben, wie das ”Volk in Wut” sich von der demokratisch gewählten Regierung ”in Fron” halten läßt. Der genaue Wortlaut kann in tacheles Nr. 1 nachgelesen werden. Kissel, der das Machwerk ”zur Aufmunterung” an seine Belegschaft verteilt hatte, handelte sich beim tacheles-Autor jedenfalls Titel wie ”aktiver rechtsextremistischer Drahtzieher”, ”Volxverhetzer” und ”Auschwitzleugner” ein. Es folgte eine Strafanzeige Kissels.

… ob mit der Staatsanwaltschaft Wuppertal…

Und es folgten Ermittlungen und Anklageschrift: ”Diese Ausführungen erfüllen in nicht zu rechtfertigendem Wert den Tatbestand der Beleidigung des Günter Kissel”, dazu auch angeblich noch unter strafwürdigem Impressum. Für Ausführungen etwa der Art, warum oder inwiefern in den Worten des Autors der Beleidigungstatbestand erfüllt sei, hatte die Staatsanwaltschaft wohl keine Zeit.

… oder dem Amtsgericht Solingen…

8.8.96: Das Amtsgericht Solingen machte kurzen Prozeß. Supertrick: Alle Beweisanträge über Kissel-Sprüche (mit Holocaust-Leugnungen, Aufruf zu Fremdenhatz und Rassismus, Verherrlichung des Angriffskriegs usw. usw.) wurden als wahr unterstellt, damit Kissel nicht als Zeuge geladen werden mußte. Auf diesem Weg mußte der Richter zwar zugestehen, daß Kissel ”Auschwitzleugnung” betreibe. Verhandungsführung und Richterton hatten aber schon vorweggenommen, daß tacheles verurteilt würde: Aus dem ”Gesamtkontext des Artikels”, ansonsten aber völlig unerfindlich, ”ergibt sich, daß hier der Begriff der Volksverhetzung im Sinne des Strafgesetzbuches verwandt werden soll”. ”Die Grenze” sei ”erreicht, wenn jemand zu Unrecht einer Straftat bezichtigt wird” (Urteil S. 8; 10). Oberschlaues Fazit: Also habe tacheles die Menschenwürde Kissels ”übersehen” – und ab dafür! 30 Tagessätze zu 30 DM plus Verfahrenskosten, danke, tschüs.

Mit der Urteilsbegründung des Amtsgerichts Solingen hätte sogar das Strafgesetzbuch neu geschrieben werden müssen: ”Daß Herr Kissel die historisch unangreifbar belegten Vorgänge in Auschwitz nicht wahrhaben will, stellt keinen Angriff auf die Menschenwürde von bestimmten Bevölkerungskreisen dar.” (Urteil S. 10)

Warum sollten wir uns von derartigen zynischen Irrungen ins Boxhorn jagen lassen? Erst recht forcierten wir nun Presse-, Solidaritäts- und Spendenaktionen, die teilweise recht erfolgreich waren. Einige Spendenbeiträge gingen ein; Monitor und NDR-Panorama liefen sich regelrecht den Rang ab, als wir anfragten, ob sie über Kissel senden wollten – Panorama machte das Rennen, weil der Sendetermin bereits kurz bevorstand. Am 12.9.96 flimmerte der Fall Kissel über die deutschen Bildschirme…

…fällt selbst hinein

9.9.97: Berufungsverhandlung am Landgericht Wuppertal – der Vors. Richter kam sofort zur Sache, las das Gedicht und weitere Kissel-Zitate vor, wie z. B.: ”…hält sich die 6-Mill.-Behauptung immer noch weltweit, obwohl zumindest die Zahlenreduzierung in Auschwitz um 2,9 Mill. doch offenkundig ist. Nach meinem Empfinden kann es nicht mehr lange dauern, bis das gesamte Lügengebäude zusammenbricht und die Handlanger des Zionismus in Bonn ihre Koffer packen können.” (Kissel in Die Bauernschaft 3/93)

Beweisfähige Schriftstücke werden am Richtertisch im Original vorgelegt. Der Richter rümpft Stirn und Nase, macht Bemerkungen der Art, daß Volksverhetzung und Auschwitzleugnung zweifellos vorliegen. Hierbei bezieht er sich auf ein Urteil des Bayerischen Oberlandesgerichtshofs, in dem ein ähnliches Gedicht, noch nicht einmal so faschistisch wie das von Kissel verbreitete, als eindeutig volksverhetzend eingestuft wurde. Anschließend zitiert der Richter einen Auszug aus einem historischen Standardwerk über Judenverfolgung und –vernichtung im 3. Reich, die Kammer erklärt die Inhalte des Berichts als durch Offenkundigkeit bewiesen – Ende der Beweisaufnahme.

Dann das Plädoyer unseres Rechtsanwalts Hartmann, Köln. Einfach glänzend, der Mann. Sein Thema: ”The Making Of Fashism” und entsprechende Optionen Günther Kissels, den er als neuen, modernen Nazi bezeichnete, der alles andere als ein ”Ewig-Gestriger” sei. Kissel habe die Nervenpunkte erkannt und leiste gezielt strategische Arbeit für eine neue Naziherrschaft. Mit den Ergebnissen moderner Forschung sei klargestellt, daß Hetze gegen Flüchtlinge à la Kissel keineswegs zufällig am Anfang aller faschistischen Politik stehe, im Gegenteil: Der rassistische Angriff auf ”Fremde” sei für die Herstellung des Faschismus elementar und zentral, bilde sich doch nur über die allgegenwärtige Stigmatisierung des Fremden das Gefühl des Herr-Seins und das ”nazistisch-völkische Selbst” (Hannah Arendt), die Grundlage aller faschistischen Gewaltherrschaft, heraus. Völlig absurd sei, daß tacheles vor Gericht stehe und nicht der Nazi Kissel.

Sichtlich unwohl war dem Staatsanwalt bei seinem Plädoyer. Trotz des brisanten Themas mehr oder weniger hohles Gebrabbel – aber der Antrag stimmte: Freispruch!

Den verkündete der Richter nach kurzer Beratung. Kissels Auschwitzleugnung sei ohnehin zweifelsfrei, und Volksverhetzung geschehe immer dann, wenn Fremden das ”soziale Lebensrecht” abgesprochen wird. Genau!

Seit dem 9. 9. 1997 darf Günther Kissel Volksverhetzer und Auschwitzleugner genannt werden.

Da ist der Kissel also in einen klassischen Konter gelaufen. Juchhu, fast wie im Märchen. Wir danken allen MitmacherInnen und UnterstützerInnen auf das allerherzlichste. Weiter im Kampf gegen rechts!

Otto Mann