Kosten der Unterkunft

Angemessene Wohnungen statistisch vorhanden, aber real nicht verfügbar

Jede Woche finden in Solingen mindestens zwei Wohnungs-Zwangsräumungen  statt. Die Notunterkünfte für Obdachlose sind voll. Seit langer Zeit sind dort wieder mehrere Kinder und noch mehr Jugendliche untergebracht.Die Situation hilfsbedürftiger Menschen wird auch in unserer Stadt, gerade auf dem Hintergrund eines für sie immer enger werdenden Wohnungsmarktes, zunehmend unerträglicher. Dies hat auch nicht unerheblich, etwas mit den Regelungen des sogenannten Schlüssigen Konzeptes zu tun, in dem die Mietobergrenzen für Arbeitslosengeld-II- und Grundsicherungs-EmpfängerInnen festgelegt wurden.

Schon für Ende des alten und Anfang des neuen Jahres, dann für Mitte dieses Jahres, sollte eine Überprüfung der KDU-Regelung eintreten. Jetzt sieht es so aus, dass hier erst im dritten Quartal des Jahres etwas passieren wird. Das ist eigentlich nicht akzeptabel, denn fast jeder weiß, dass wir ein erhebliches soziales Problem haben und es wegen der zu erwartenden finanziellen Haushalts-Mehrausgaben nur darum geht, wann eine neue Regelung in Kraft tritt. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass die zuständige Verwaltung, auf dem Rücken der Betroffenen, auf Zeit spielt. Der versprochene Bestandsschutz war zunächst nahezu wirkungslos, wurde dann etwas nachgebessert, hat aber an dem Problem kaum etwas geändert. Im Arbeitslosenzentrum SALZ erscheinen jeden Tag zwei drei Hilfeempfänger die aus ihrem Regelsatz zum Leben 20 bis 200 Euro fürs Wohnen aufbringen müssen, die dann beim alltäglichen Lebensunterhalt fehlen.

Mindestens 2520 HilfeempfängerInnen zahlen zu

Viele schaffen es nicht innerhalb der Frist von 6 Monaten ihre Unterkunftskosten zu senken, weil sie keine angemessene neue Wohnung finden. Im Jahr 2012 mussten bundesweit knapp 800.000 Bedarfsgemeinschaften im Durchschnitt 64 Euro für die Miete selbst aufbringen (BT-Drs. 17/11946,7). Inzwischen ist das sicherlich mehr geworden. Stand Januar 2016 mussten in Solingen von insgesamt 7499 Bedarfsgemeinschaften (eine Bedarfsgemeinschaft hat durchschnittlich 1,9 Personen) im ALG-II-Bezug, 1056 Bedarfsgemeinschaften zur Miete hinzuzahlen. Bei einem Ein-Personen-Haushalt betrug dies durchschnittlich 71,12 Euro. Bei den Bedarfsgemeinschaften der Grundsicherung im Alter oder Erwerbsunfähigkeit beim Sozialamt müssen derzeit 270 HilfeempfängerInnen zuzahlen. Somit leben in dieser Stadt mindestens 2520 HilfempfängerInnen, die aus dem Regelsatz für das alltägliche Leben (404 bzw. 364 Euro bei Paaren) zur Miete hinzuzahlen müssen, weit unter dem Existenzminimum
Vielen davon bleibt für den monatlichen Lebensunterhalt weniger übrig als ein starker Raucher allein für seine Rauchwaren ausgibt.

Ein konkretes Beispiel: Eine alleinerziehende Mutter hat 20 Jahre auf der Couch in ihrem Wohnzimmer geschlafen und auf vieles verzichtet, damit die drei Kinder u. a. ein eigenes Zimmer hatten. Sie ist stolz darauf, dass aus allen Kindern etwas geworden ist. Jetzt ist das letzte Kind aus der SBV-Wohnung ausgezogen und sie soll 160 Euro zur Miete hinzuzahlen, weil sie auch im Bauverein bislang keine preiswertere Wohnung gefunden hat. Ihr bleiben dann noch 244 Euro monatlich zum Leben.

Von 10 freien Wohnungen nur 2 verfügbar

Rechtlich ist die Kommune verpflichtet, „höhere als die als angemessen geltende Mieten anzuerkennen, wenn es im öffentlich geförderten Wohnraum solche Wohnungen nicht gibt“ (SG Köln, 30.01.2006 – S 14 AS 41/05 ER), oder zumindest, wenn nachweisbar ist, dass kein entsprechender angemessener Wohnraum verfügbar ist, muss die tatsächliche Miete anerkannt werden. Die zuständige Verwaltung zeigt aber keine klare Regelung auf, in welcher Weise dieser Nachweis erbracht werden kann und muss, obwohl sie dazu rechtlich verpflichtet ist.

Bislang galt noch die Regelung, dass man sich beim Wohnungsamt melden muss, um freie angemessene Wohnungen angezeigt zu bekommen. Wenn dies innerhalb von drei Monaten nicht geschieht, muss die alte, nicht angemessene Wohnung weiter gezahlt werden, bzw. die Genehmigung für den Bezug einer etwas teureren, neuen Wohnung erteilt werden. Eine solche Regelung, die kaum jemanden schriftlich bekannt ist, hat sich als nicht praktikabel erwiesen. Jetzt gibt es beim Wohnungsamt die lakonische Auskunft (auch dokumentiert durch Aushänge), dass es keine angemessenen Wohnungen mehr gibt. Dies wird dort jedoch dem konkreten Hilfeempfänger nicht schriftlich bestätigt. Wie soll also nachgewiesen werden, dass theoretisch vorhandene Wohnungen (laut Schlüssigen Konzept), praktisch und real nicht verfügbar ist? Hinzu kommt da ja auch, dass von 10 freien Wohnungen nur etwa 2 für ALG-II-Beziehende konkret verfügbar sind, weil Arbeitslose oft auch verschuldet sind (Schufa), den gewünschten Gehaltsnachweis nicht vorlegen können und gerade Migranten oder Alleinerziehende mit Kindern es auf dem Wohnungsmarkt besonders schwer haben.

Verwaltung versteht das Problem nicht

Wenn jetzt das Jobcenter und der neue Sozialdezernent, Jan Welzel, das Problem herunterspielen, weil 86 Prozent der HilfeempfängerInnen ja in einem angemessenen Wohnraum leben würden und nicht hinzuzahlen müssten, dann zeigt diese Argumentation nur, dass das Problem hier nicht verstanden wird. Die aller meisten Betroffenen wohnen unter den Bedingungen von Bestandsmieten, die in den letzten Jahren nur relativ leicht erhöht wurden. Die großen Probleme entstehen aber, wenn ein Umzug notwendig wird, etwa weil die Wohnverhältnisse unzumutbar oder ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auszieht (älter gewordene Kinder, Trennung usw.) und die Wohnung für die geringere Personenzahl zu teuer wird. Bei jeder Neuvermietung erhöhen nämlich die Vermieter in der Regel die alte Grundmiete. Diese ist dann nicht mehr angemessen und die Betroffen müssen dann, weil sie nicht umziehen dürfen und können monatelang aus dem Regelsatz zuzahlen. So werden sie in die Verschuldung getrieben, was immer öfter mit Strom- und Energiesperren oder Zwangsräumungen endet.

64-Jobcenter-Pfennigfuchser
Auch die Argumentation des Wohnungsamtes, wonach die Angemessenheitsgrenzen angesichts etwa 4000 leerstehender Wohnungen in dieser Stadt, in Ordnung wären, ist grotesk. Wer die Wohnungs- und Sozialverwaltung kritisiert, dass sie – obwohl schon vor zwei Jahren von der Politik dazu aufgefordert wurde verstärkt die Unterbringung von zu uns Geflüchteten in privaten Wohnraum zu betreiben – bislang nur 167 private Wohnungen angemietet hat, der bekommt zu hören, dass diese Zahl der leerstehenden Wohnungen nicht sehr belastbar und es äußerst schwierig sei, hier Menschen mit Wohnungen zu versorgen.

Übergangslösungen und Anforderungen für eine Überprüfung

In der Sozialausschusssitzung am 05. April wurde auf Initiative von Grünen, Linken und SPD beschlossen, eine Überprüfung des sogenannten Schlüssigen Konzept, nicht wie die Verwaltung es wollte, im zweiten Halbjahr, sondern bereits im 3. Quartal des Jahres vorzunehmen. Leider fanden die Vorschläge der Grünen bezüglich einer Übergangslösung und der Kriterien an ein neues Gutachten hier noch keine Mehrheit. Hierzu werden aber noch, bevor der Auftrag vergeben wird, Beschlüsse gefasst werden müssen.

Nach Auffassung der Grünen sollten dann folgende Regelungen vereinbart werden:
– Der Faktor der Bemessung der angemessenen Unterkunftskosten, soll auf Basis der Neuvermietungen, von den Gutachtern realistisch angesetzt bewertet werden.
– Ebenso sollte ein Verfügbarkeitszuschlag geprüft werden.
– Weiterhin müsste die Situation der bereits vorhandenen Bedarfsgemeinschaften als Faktor für die Angemessenheit des verfügbaren Wohnraums berücksichtigt werden: Wie viele zahlen wieviel zur Miete hinzu?
– Die Nebenkosten, vor allem beim Wasser, sowie bei der zu erwartenden Grundsteuererhöhung sollen genauer erfasst und berücksichtigt werden.
– Die Wohnungsmarktberichte der Stadt (Engpässe bei Single- und Großfamilien-Wohnungen) und des Landes sind hierbei einzubeziehen.
– Bis zum Ergebnis dieser Überprüfung wird ein Ermessensspielraum von 20 Prozent über die bisher geltenden Angemessenheitsgrenzen eingeräumt.
– Der Stadtdienst Wohnen wird kurzfristig in die Lage versetzt, wenn dort keine angemessenen Wohnungen verfügbar sind, entsprechende Bescheinigungen auszustellen, damit das Jobcenter die Fristen bei den Mietsenkungen verlängern, bzw. Zusagen zur Anmietung von etwas teureren Wohnungen geben kann und nach Möglichkeit sollte.
– Die Stadt erarbeitet und veröffentlicht eine klare, praktikable und verständliche Regelung, wie und wann für HilfeempfängerInnen der Nachweis erbracht werden kann, dass für sie kein entsprechender angemessener Wohnraum verfügbar ist.

Frank Knoche