Häuserkampf!

Rückblick auf die Teschestraße

Wir schreiben das Jahr 1995. Ganz Solingen  ist  beherrscht. Ganz Solingen? Nein! Ein kleines Häuflein Unerschrockener   leistet Widerstand und erlaubt sich einen Freiraum zu schaffen: Das besetzte Haus in der Teschestraße.

Hier werden Konzerte veranstaltet und Vorträge gehalten, wird diskutiert und gemeinsam gekocht, gewohnt und gelebt – all dies bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, die aber durch flugs installierte Öfen erträglich werden. Geplant ist ein Veranstaltungsort, eine Kneipe, Wohnraum und ein antifaschistisches Begegnungszentrum unter einem Dach. Unter dem Gefrierpunkt ist auch die Laune der lokalen Machthaber, denn der ständige Hinweis auf eine verfehlte Wohnungsbaupolitik ist ihnen ein Pfahl im Fleische. Franz Haug von der Stahlhelm-Fraktion der CDU fordert kühn „Die Häuser gehören schnellstmöglich geräumt und dann abgerissen!”, während ihn Stadtdirektor Dehl noch mit der intelligenten Bemerkung übertrifft: „Im Kernbereich ist Wohnen unerwünscht.” Doch damit hat er große Teile der im Kernbereich angesiedelten Bevölkerung automatisch zu Unerwünschten erklärt, denn dieser Umstand muß ihnen beim Unterschreiben der Mietverträge wohl entgangen sein.
Es folgen zwei Demonstrationen mit etlichen Teilnehmenden durch die Innenstadt, wo die unerwünschten  EinwohnerInnen  informiert werden. Der Verdacht erhärtet sich zunehmend, daß sich führende Persönlichkeiten der Verwaltungsprominenz wünschen, als Auto geboren zu sein, denn ihr Streben ist danach gerichtet, diesen den Aufenthalt in Solingen so angenehm wie möglich zu machen. Ein von Menschen bewohntes Haus muß einem Parkplatz weichen, damit die im benachbartem Hotel geparkten Besitzerinnen der Nobelkarossen den Blick auf selbige vom Hotel genießen können. Doch das kleine Häuflein Unerschrockener, selbstlos der lokalen Verwaltungs-/Investitions-/SpekuIationsmafia die Stirn bietend, erfährt eine breite Unterstützung: Anwohnerlnnen unterstützen sie mit Sachspenden und Solidaritätsbekundungen, auf zwei Konzerten sind jeweils mehrere hundert Gäste anwesend, und viele Menschen suchen und finden den Kontakt zu den Unerschrockenen. CDUIer Franz Haug fordert die „Gemeinsamkeit der Demokraten” gegen „Linksradikale”; SPD-Fraktionschef Uibel kann sich den „Sachargumenten” von Oberstadtdirektor Dr. Ingolf „Autofahren!” Deubel nicht entziehen und hofft auf eine friedliche Räumung, und so endet tragisch, was fröhlich begann. Am 25.1.1995 stürmen die Schergen der Verwaltungs-/lnvestitions-/ Spekulationsmafia die Tesche und nehmen sechs anwesende Unerschrockene fest. Vier davon sind weiblich. Um dies zu prüfen, müssen sie sich auf der Polizeiwache ausziehen; alle sechs werden erkennungsdienstlich behandelt und mit einer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs wieder entlassen. Nachdem eine schwangere Hündin die Treppe heruntergeschleift wurde, wird sie mit drei ebenfalls anwesenden Hunden ins Tierheim zwangseingewiesen. Aber niemand soll sagen, die Beamten behandeln Menschen schlechter als Hunde. Deshalb beschimpft man die Besetzerlnnen als „Zecken” bzw. „Dosen”, und legt ihnen, da sie keine Gegenwehr leisten, Handschellen an. Wir alle wissen, wie es weitergeht: Das Widerstandsnest in der Teschestraße wird abgerissen, und verwandelt sich in einen schönen Parkplatz, wo in hellen Mondnächten Oberstadtdirektor Dr. lngolf „Autofahren!” Deubel alles zuparkt. In der Folgezeit werden, öffentlich beschwiegen mehrere Häuser von Unerschrockenen scheinbesetzt. Keiner der Besetzerlnnen geht den Häscherlnnen ins Netz. Bei einer Veranstaltung im Theater wird den anwesenden LokaldiktatorInnen aus Protest einiges an Bauschutt vom besetzten Haus vor die Füße geschüttet, was den Anwesenden nicht behagt. Aufrechte Bürger sorgen für die Entfernung der zwielichtigen Elemente, wie es sich für gute Lakaien gehört.

Und die Moral von der Geschicht´?

Oben erwähnter Stadtdirektor Dehl entblödet sich im Nachhinein nicht, vorzuschlagen, leerstehende Häuser künftig vor einem Abrißbeschluß Obdachlosen zur Verfügung zu stellen. Hatte Investoren-Hanswurst Deubel nicht behauptet, Hausbesetzungen würden nichts ändern? Wer stellt den nun obdachlosen Menschen von der Teschestraße Wohnraum zur Verfügung? Fragen sie Ex-Stadtdirektor Dehl. Die Provinzposse hat ein vorläufiges Ende.

Punk Anderson