Neues vom braunen Imperium

 

Volk im Zwielicht einer Schande
die Du nicht begangen hast;
unterdrückt im eignen Lande,
trägst Du schwer an Deiner Last.
Zweifelst an den Idealen,
die Dir einst von höchstem Wert;
stehst nicht an den Ehrenmalen
derer, die nicht heimgekehrt…

Fühlt sich Kissel in seinen zahlreichen Publikationen gewöhnlich spröder Prosa verpflichtet, entdeckte die freie Journalistin und Autorin Franziska Hundseder nun, daß er für die braune Sache auch schon mal das Genre wechselt: Wie z.B. zu Weihnachten 1984, als er ein Gedicht (Titel: Mein Deutsches Volk) der Blut-und-Boden-Dichterin Renate Schütte (Kissel: ”diesen prächtigen Menschen”) an seine Geschäftsfreunde verschickte.

Franziska Hundseder recherchierte akribisch im rechtsextremistischen Lager. In ihrem unlängst erschienenem Buch ”Rechte machen Kasse” geht es um Finanzierungsquellen und -mittel der rechtsextremistischen Szene. Es handelt von Verflechtungen und Querverbindungen innerhalb der Rechten, Biographien ihrer Exponenten. Natürlich findet auch unser ”ehrbarer Bürger” G. Kissel respektive seine Aktivitäten vielfache Erwähnung.

Kissels stramme „Herrenrunde“

Allmonatlich lädt G. Kissel nebst eines gewissen Professors Carl Zimmerer, des Werbeberaters Hans Martin Hock sowie des Rechtsanwalts Theobald Münch nationalkonservativ gesinnte Wirtschaftsführer und Rechtsextreme zu Diskussionsabenden ins Düsseldorfer Nobelhotel ”Nikko”. Alle vier zählen zum Vorstand der dubiosen ”Düsseldorfer Herrenrunde”. Die Liste der Referenten der strammen MännergeselIschaft reicht vom rechtsextremen Lager bis hin zur nationalen Politprominenz. Auf ihr finden sich Namen wie Franz Schönhuber, Manfred Brunner vom Bund Freier Bürger, Ex-NPD-Chef Adolf von Thadden, Jörg Haider genauso wie Konrad Porzner (Präsident des BND), Gerhard Boeden (Ex-Präsident des Bundesverfassungsschutzes), Ex-NATO-Generalsekretärs Manfred Wörner, Bundespostminister Wolfgang Bötsch sowie Außenminister Klaus Kinkel und Jürgen Möllemann. Auch der Nazi-Generalmajor a.D. Otto-Ernst Remer, einer der eifrigsten Holocaust-Leugner, war mal kurzzeitig als Referent vorgesehen worden. Zu den ständigen Teilnehmern zählen Führungskader von NPD, Republikanern und Deutscher Liga für Volk und Heimat. Unter ihnen auch ein weiterer Solinger Bürger: der Heilpraktiker und Hobbyjäger Wolfgang Frenz. Frenz, Jahrgang 1936, ist stellvertretender NPD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen sowie Mitglied der Redaktionsgemeinschaften der Deutschen Zukunft – Landesspiegel NRW der NPD und der Parteizeitung Deutsche Stimme.
Das Gedankengut der Herrenrunde läßt sich eindrucksvoll an der Person des Vorsitzenden, des reputierten Finanzspezialisten Carl Zimmerers, explizieren. Zimmerer ist nicht nur ein ambitionierter Wirtschaftsführer, sondern auch ein emsiger, sich omnipotent gebärdender Publizist im rechtsextremistischen Blätterwald. Zum Thema Asyl schlägt er im rechtsextremistischen Blatt Unabhängige Nachrichten unter dem Titel ”Pfarrer geht voran!” vor, man sollte doch von Pfarrern verlangen, daß sie selbst diese Asylanten aufnehmen. Und weiter heißt es. ”Aber wenn die tüchtigen Völker zur Arbeitszeitverkürzung gezwungen werden und keine Überschüsse mehr für die faulen Nationen erwirtschaften, wird die Hungernot in der Dritten Welt so groß werden, daß mit der Bevölkerungsvermehrung Schluß ist.” In der extremistischen Zeitschrift Nation Europa vom September 1992 beschäftigt er sich mit einem ”vierten Stand”, unter dem er ”Drogenbesessene”, ”Ausgeflippte” und ”Taugenichtse” versteht. Nachdem ”wir” nur begrenzte Möglichkeiten der Aussiedlung und der Umerziehung hätten, sei Ausgrenzung das einzige Rezept. ”Wir müssen einfach streng voneinander trennen die sozialen Deutschen, die da arbeiten, sparen, Steuern zahlen, Militär- oder Zivildienst leisten, Kinder aufziehen, freiwillige Sozialdienste erfüllen, von denen, die das alles nicht tun. Daß dann bestimmte Wohnquartiere entstehen werden, die nur mehr für die Taugenichtse da sind, weiß ich auch.” Bedenke man aber beispielsweise, was aus den weißen Wohngebieten geworden ist, nachdem schwarze Nichtstuer eingezogen seien, dann sei die Ausgrenzung als zweitschlechtestes Mittel in Kauf zu nehmen. In einem 1993 erschienenen Artikel in der renommierten Fachzeitschrift Wirtschaftswoche schließt er unverblümt an nationalsozialistisches Gedankengut an: ”Vielleicht sollte man überlegen, ob man nicht die Aufzucht mongoloider Kinder finanziell weitgehend privatisieren sollte; es scheint, daß sie heute zu sehr fokussiert werden, so daß die Erziehung lebenstüchtiger Kinder diskriminiert wird.”

„Wem die Zukunft unseres Vaterlandes…“

Aber nun zurück zu Günther Kissel. Zum fünfzigjährigen Firmenjubiläum beschenkte G. Kissel seine Mitarbeiter mit etwas ganz Besonderem: Es handelte sich um die Memoiren von Helmut Sündermann, des stellvertretenden Pressechefs der Reichsregierung (erschienen 1975 im Druffel-Verlag), inklusive persönlichem Geleitwort Kissels. Jeder Deutschbewußte, schreibt Kissel dort, solle dieses Buch lesen, insbesondere die Jugend. Er habe Sündermann persönlich kennen- und schätzengelernt. ”Wem die Zukunft unseres Vaterlandes am Herzen” läge, der müsse sich mit diesem Buch beschäftigen. Von Helmut Sündermann stammt das quer durch alle ultrarechten Reihen beliebte Durchhaltezitat. ”Wir sind nicht die Letzten von gestern, sondern die Ersten von morgen.” Er gilt als Symbolfigur der Kampfzeit der NSDAP.
Im November letzten Jahres fand auf dem Firmengelände Kissel-Rapid die Hauptversammlung des Vereins ”Gedächtnisstätte für die Opfer des Zweiten Weltkrieges durch Bomben, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern” statt. Ein gewisser Dr. Burkhard Schöbener, Mitglied der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt, dozierte zum Thema ”Besetzt – besiegt – befreit? Das Schicksal deutscher Kriegsgefangener und Zivil internierter in der unmittelbaren Nachkriegszeit”. Vizevorsitzender des in Vlotho ansässigen Vereins ist Prof. Dr. Theodor Schmidt-Kaler vom Astronomischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Aufgrund der Zuwanderung von ”Scheinasylanten” und der sinkenden Geburtenzahl bei der einheimischen Bevölkerung prognostizierte er für 1990 einen ”Bürgerkrieg”. Enge personelle Verbindungen bestehen zum gemeinnützig und jugendfördernd anerkannten ”Collegium Humanum”, ebenfalls ansässig in Vlotho-Valdorf. 1984 veranstaltete das Collegium ein ”Seminar über Umweltfragen und Naturreligionen”. Tatsächlich tagte jedoch das ”Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers” (KAH).

Nationalsozialist – ein Staatsverbrechen?

Kräftig ins Zeug legte sich Kissel für den notorischen Holocaust-Leugner Thies Christophersen. Kissel forderte für den vom Verfassungsschutz als ”äußerst extremistisch” eingestuften Autor der Hetzschrift ”Die Auschwitzlüge” Hafterlaß. Der Landwirt Christophersen, Jahrgang 1918, gründete 1971 die neonazistische ”Bürger- und Bauerninitiative” (BBI). Zudem verlegt er die Zeitschrift Bauernschaft und ist Eigentümer des ”Kritik-Verlages”. Sein 1973 veröffentlichter und 1978 gerichtlich verbotener ”Erlebnisbericht” mit dem Titel ”Die Auschwitzlüge” gilt inzwischen als Standardwerk im braunen Lager. Im August 1983 wurde der wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener gesuchte Christophersen inhaftiert. Damals begann das emphatische, ja sogar leidenschaftliche Engagement Kissels für Christophersen. In einem Brief an den damaligen Justizminister des Landes Schleswig-Holstein vom 6.2.84 bemerkte Kissel, daß er zwar nicht in allem mit Christophersen übereinstimme, aber sich mit vielen Aufsätzen von ihm ”persönlich identifiziere”. ”Er ist ein honoriger Mensch”, so Kissel, ”er war Nationalsozialist und bekennt sich heute noch dazu.” Ein Staatsverbrechen könne dies sicherlich nicht sein. Kissel forderte den Minister auf: ”Beenden Sie bitte diese unwürdige Situation für Christophersen und geben Sie diesen Mann frei.” Doch damit noch lange nicht genug. Kissel kämpfte noch weiter für den ”hochanständigen” Christophersen ”persönlich und in jeder Form”. Am 25. Juni 1984 schrieb er an den Leiter der Justizvollzugsanstalt Flensburg: ”Daß man einen gebildeten, honorigen und außerordentlich charaktervollen Menschen wie Thies Christophersen mit kriminellen gemeinen Verbrechern zusammen inhaftiert und von einem Gefängnis zum anderen gemeinsam in der grünen Minna transportiert, ist für mich unfaßbar.” Auch an die Landtagsabgeordneten Schleswig-Holsteins wandte sich Kissel im Juli 1984 mit der Bitte, ”sich sofort um den Fall Thies Christophersen und seine Freilassung zu bemühen”…

Kontinuititen und Traditionen

Natürlich sind auch dies wieder nur einzelne Fragmente aus dem Leben des umtriebigen Bauunternehmers. Fragmente jedoch, die sich bruchlos in die Reihe des bisher Bekannten fügen und die häßliche Fratze hinter der Maske des sozialpolitisch engagierten Bürgers immer weiter hervortreten lassen: Günter Kissel zählt zu den absoluten Top-Figuren innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Er verfügt über exzellente Kontakte im braunen Lager. Als emsiger Publizist verbreitet er emphatisch braunes Gedankengut in diversen rechtsextremen Blättern. Und wie verhält sich das ”offizielle Solingen” dazu? Für die Stadtspitze inklusive der etablierten Parteien scheint der ”Fall Kissel” nach wie vor überhaupt nicht zu existieren. Weiterhin pflegen und fördern sie aktiv das Bild vom sozial engagierten Bauunternehmer. Zum Beispiel wird Kissel im städtischen Vergabeausschuß regelmäßig auch bei beschränkten Ausschreibungen, bei denen eine Firmenauswahl formalrechtlich legitim ist, berücksichtigt. Auch in den Genuß der Wohnungsbaufördermittel des Landes kommt Günter Kissel immer wieder dank städtischer Hilfe. So gehört es zu gängigen Praxis, daß die entsprechende Kommission des Sozialausschußes der Landesregierung gegenüber den Solinger Bauunternehmer bei der Vergabe der Fördermittel empfiehlt. Das gegenwärtige Bauimperium des Günter Kissel ist ohne diese Art der Unterstützung nicht zu erklären, vielmehr fußt es wesentlich auf öffentlichen Geldern in Millionenhöhe. 1993 war Solingen Schauplatz des schlimmsten rassistischen Verbrechens in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Doch auch dies konnte die traditons- und erfolgreiche ”Pro-Kissel-Politik” der Stadt nicht erschüttern. Es bleibt zu fragen, wie viele Opfer und Fakten es eigentlich noch bedarf, bis Günther Kissel für die Stadtoberen zum Problem wird.

Grisu

Literaturhinweis:
Franziska Hundseder: Rechte machen Kasse. Gelder und Finanziers der braunen Szene. Knaur-Verlag, München 1995.

Im Januar finden mehrere Veranstaltungen unter dem Motto ”Couragiert handeln – Gegen Rechte und ihre Geldgeber statt”: 20. Januar – Infostände in der Karstadtpassage, 22. oder 23. Januar – Filmabend zum Thema, 25. Januar – Podiumsdiskussion: Eingeladen werden u.a. Franziska Hundseder und die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im Stadtrat.